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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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herb, zu nuancirt gefaltet, die Haut zerrissen und
porös, als ob sie früher stark geschminkt worden
wäre.

Neue Gäste kamen. Handwerker mit den breit-
spurigen Gerüchen ihrer Werkstätten, Arbeiter: ge-
bückt, gekrümmt, nachlässig, schleppend und schwerfällig
im Gang, unreinlich, abgeschunden, zerrissen, rußig,
allenthalben mit Fabriksspuren und Arbeitsnarben
besät, in den Gesichtern Gleichgültigkeit, Stumpfsinn,
oft auch zehrenden Gram, der sich in den Physiog-
nomie'n seinen bestimmten Ausdruck geschaffen, hier
und da Spuren einstiger Intelligenz, aber stark ver-
wischt und verkümmert. Ab und zu erschien wohl
auch Einer, der nach Kleidung und Benehmen einer
"besseren" Gesellschaftsklasse angehörte. Das Sprechen
wurde lauter, schriller, die Stimmen vermischten und
verwirrten sich. Jetzt brannten alle Gasflammen,
das letzte Streifchen, das letzte Pünktchen müden,
graublauen Abendlichts war aufgezehrt. Man hatte
in den Eingeweiden der Häuser keine Zeit, auf das
völlige Hinsterben des Tages zu warten. Der konnte
sich draußen auf der Straße, wo die breiten, schwarzen
Schatten lagen, auf dem Felde, im Walde mit der
siegenden Finsterniß abfinden. Hier lechzte das Leben
nach neuen Krystallen. Verblutende läßt man allein.
Auch das Licht, das verblutet. Und so bleibt es
keusch und makellos. --

Hinter dem Buffet war der Wirth erschienen.
Die Kellnerin lief auf und ab. Sie behandelte die
Gäste schroff, herb. Das gefiel Adam. Er ließ sie

herb, zu nuancirt gefaltet, die Haut zerriſſen und
porös, als ob ſie früher ſtark geſchminkt worden
wäre.

Neue Gäſte kamen. Handwerker mit den breit-
ſpurigen Gerüchen ihrer Werkſtätten, Arbeiter: ge-
bückt, gekrümmt, nachläſſig, ſchleppend und ſchwerfällig
im Gang, unreinlich, abgeſchunden, zerriſſen, rußig,
allenthalben mit Fabriksſpuren und Arbeitsnarben
beſät, in den Geſichtern Gleichgültigkeit, Stumpfſinn,
oft auch zehrenden Gram, der ſich in den Phyſiog-
nomie'n ſeinen beſtimmten Ausdruck geſchaffen, hier
und da Spuren einſtiger Intelligenz, aber ſtark ver-
wiſcht und verkümmert. Ab und zu erſchien wohl
auch Einer, der nach Kleidung und Benehmen einer
„beſſeren“ Geſellſchaftsklaſſe angehörte. Das Sprechen
wurde lauter, ſchriller, die Stimmen vermiſchten und
verwirrten ſich. Jetzt brannten alle Gasflammen,
das letzte Streifchen, das letzte Pünktchen müden,
graublauen Abendlichts war aufgezehrt. Man hatte
in den Eingeweiden der Häuſer keine Zeit, auf das
völlige Hinſterben des Tages zu warten. Der konnte
ſich draußen auf der Straße, wo die breiten, ſchwarzen
Schatten lagen, auf dem Felde, im Walde mit der
ſiegenden Finſterniß abfinden. Hier lechzte das Leben
nach neuen Kryſtallen. Verblutende läßt man allein.
Auch das Licht, das verblutet. Und ſo bleibt es
keuſch und makellos. —

Hinter dem Buffet war der Wirth erſchienen.
Die Kellnerin lief auf und ab. Sie behandelte die
Gäſte ſchroff, herb. Das gefiel Adam. Er ließ ſie

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[400/0408] herb, zu nuancirt gefaltet, die Haut zerriſſen und porös, als ob ſie früher ſtark geſchminkt worden wäre. Neue Gäſte kamen. Handwerker mit den breit- ſpurigen Gerüchen ihrer Werkſtätten, Arbeiter: ge- bückt, gekrümmt, nachläſſig, ſchleppend und ſchwerfällig im Gang, unreinlich, abgeſchunden, zerriſſen, rußig, allenthalben mit Fabriksſpuren und Arbeitsnarben beſät, in den Geſichtern Gleichgültigkeit, Stumpfſinn, oft auch zehrenden Gram, der ſich in den Phyſiog- nomie'n ſeinen beſtimmten Ausdruck geſchaffen, hier und da Spuren einſtiger Intelligenz, aber ſtark ver- wiſcht und verkümmert. Ab und zu erſchien wohl auch Einer, der nach Kleidung und Benehmen einer „beſſeren“ Geſellſchaftsklaſſe angehörte. Das Sprechen wurde lauter, ſchriller, die Stimmen vermiſchten und verwirrten ſich. Jetzt brannten alle Gasflammen, das letzte Streifchen, das letzte Pünktchen müden, graublauen Abendlichts war aufgezehrt. Man hatte in den Eingeweiden der Häuſer keine Zeit, auf das völlige Hinſterben des Tages zu warten. Der konnte ſich draußen auf der Straße, wo die breiten, ſchwarzen Schatten lagen, auf dem Felde, im Walde mit der ſiegenden Finſterniß abfinden. Hier lechzte das Leben nach neuen Kryſtallen. Verblutende läßt man allein. Auch das Licht, das verblutet. Und ſo bleibt es keuſch und makellos. — Hinter dem Buffet war der Wirth erſchienen. Die Kellnerin lief auf und ab. Sie behandelte die Gäſte ſchroff, herb. Das gefiel Adam. Er ließ ſie

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/408>, abgerufen am 23.11.2024.