Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

Die Entwicklung eines modernen Menschen, der
einigermaßen außergewöhnlich .. einigermaßen über
den Durchschnitt hinausragt, vollzieht sich ja ver-
hältnißmäßig sehr einfach. Das mit reichen Kräften
ausgestattete Individium entfaltet sich gewöhnlich in
der ersten Zeit unter relativ guten Bedingungen. Da-
durch wird ein ebenso hochgradiger, wie einseitiger
Idealismus provocirt -- ein Idealismus, der sich über
Alles gern in Thaten setzen möchte .. dem aber Gott
sei Dank! vorläufig noch alle Thaten allergnädigst
geschenkt bleiben. Allmählich kommt das arme-reiche
Individuum mit der Welt in Berührung ... mehr
und mehr. Natürlich stößt es an allen Ecken und
Enden an .. findet allorts Widerspruch .. und zieht
sich, in der Regel noch dazu sehr zart, sehr fein, sehr
sensitiv von Natur, wieder scheu zurück .. Aber der
heißen Schwüre, die es sich und Seinesgleichen in den
großen Schwärmertagen seiner Jugend gegeben hat,
kann es nicht vergessen. So stürzt es sich in die
Welt zurück .. und tritt jetzt gewöhnlich sehr kühn
und selbstbewußt auf -- was dann natürlich die Sipp-
schaft der guten Freunde, getreuen Nachbarn und
ähnlicher Consorten, die sich auch "Menschen" tituliren,
"brutal", "anmaßend" und weiß der Teufel! wie
noch nennen. So ein armes, wirklich ganz messianisch
veranlagtes; mit dem wüthendsten Drange zu helfen,
zu erhöhen, zu versöhnen, ausgerüstetes -- von allen
Welträthselngequältes ... von tausend Ahnungen, Stim-
mungen, Erwartungen, Hoffnungen, Entsagungen ...
von tausend Tendenzen ... von einer Unzahl von

Die Entwicklung eines modernen Menſchen, der
einigermaßen außergewöhnlich .. einigermaßen über
den Durchſchnitt hinausragt, vollzieht ſich ja ver-
hältnißmäßig ſehr einfach. Das mit reichen Kräften
ausgeſtattete Individium entfaltet ſich gewöhnlich in
der erſten Zeit unter relativ guten Bedingungen. Da-
durch wird ein ebenſo hochgradiger, wie einſeitiger
Idealismus provocirt — ein Idealismus, der ſich über
Alles gern in Thaten ſetzen möchte .. dem aber Gott
ſei Dank! vorläufig noch alle Thaten allergnädigſt
geſchenkt bleiben. Allmählich kommt das arme-reiche
Individuum mit der Welt in Berührung ... mehr
und mehr. Natürlich ſtößt es an allen Ecken und
Enden an .. findet allorts Widerſpruch .. und zieht
ſich, in der Regel noch dazu ſehr zart, ſehr fein, ſehr
ſenſitiv von Natur, wieder ſcheu zurück .. Aber der
heißen Schwüre, die es ſich und Seinesgleichen in den
großen Schwärmertagen ſeiner Jugend gegeben hat,
kann es nicht vergeſſen. So ſtürzt es ſich in die
Welt zurück .. und tritt jetzt gewöhnlich ſehr kühn
und ſelbſtbewußt auf — was dann natürlich die Sipp-
ſchaft der guten Freunde, getreuen Nachbarn und
ähnlicher Conſorten, die ſich auch „Menſchen“ tituliren,
„brutal“, „anmaßend“ und weiß der Teufel! wie
noch nennen. So ein armes, wirklich ganz meſſianiſch
veranlagtes; mit dem wüthendſten Drange zu helfen,
zu erhöhen, zu verſöhnen, ausgerüſtetes — von allen
Welträthſelngequältes ... von tauſend Ahnungen, Stim-
mungen, Erwartungen, Hoffnungen, Entſagungen ...
von tauſend Tendenzen ... von einer Unzahl von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0229" n="221"/>
Die Entwicklung eines modernen Men&#x017F;chen, der<lb/>
einigermaßen außergewöhnlich .. einigermaßen über<lb/>
den Durch&#x017F;chnitt hinausragt, vollzieht &#x017F;ich ja ver-<lb/>
hältnißmäßig &#x017F;ehr einfach. Das mit reichen Kräften<lb/>
ausge&#x017F;tattete Individium entfaltet &#x017F;ich gewöhnlich in<lb/>
der er&#x017F;ten Zeit unter relativ guten Bedingungen. Da-<lb/>
durch wird ein eben&#x017F;o hochgradiger, wie ein&#x017F;eitiger<lb/>
Idealismus provocirt &#x2014; ein Idealismus, der &#x017F;ich über<lb/>
Alles gern in Thaten &#x017F;etzen möchte .. dem aber Gott<lb/>
&#x017F;ei Dank! vorläufig noch alle Thaten allergnädig&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;chenkt bleiben. Allmählich kommt das arme-reiche<lb/>
Individuum mit der Welt in Berührung ... mehr<lb/>
und mehr. Natürlich &#x017F;tößt es an allen Ecken und<lb/>
Enden an .. findet allorts Wider&#x017F;pruch .. und zieht<lb/>
&#x017F;ich, in der Regel noch dazu &#x017F;ehr zart, &#x017F;ehr fein, &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;en&#x017F;itiv von Natur, wieder &#x017F;cheu zurück .. Aber der<lb/>
heißen Schwüre, die es &#x017F;ich und Seinesgleichen in den<lb/>
großen Schwärmertagen &#x017F;einer Jugend gegeben hat,<lb/>
kann es nicht verge&#x017F;&#x017F;en. So &#x017F;türzt es &#x017F;ich in die<lb/>
Welt zurück .. und tritt jetzt gewöhnlich &#x017F;ehr kühn<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;tbewußt auf &#x2014; was dann natürlich die Sipp-<lb/>
&#x017F;chaft der guten Freunde, getreuen Nachbarn und<lb/>
ähnlicher Con&#x017F;orten, die &#x017F;ich auch &#x201E;Men&#x017F;chen&#x201C; tituliren,<lb/>
&#x201E;brutal&#x201C;, &#x201E;anmaßend&#x201C; und weiß der Teufel! wie<lb/>
noch nennen. So ein armes, wirklich ganz me&#x017F;&#x017F;iani&#x017F;ch<lb/>
veranlagtes; mit dem wüthend&#x017F;ten Drange zu helfen,<lb/>
zu erhöhen, zu ver&#x017F;öhnen, ausgerü&#x017F;tetes &#x2014; von allen<lb/>
Welträth&#x017F;elngequältes ... von tau&#x017F;end Ahnungen, Stim-<lb/>
mungen, Erwartungen, Hoffnungen, Ent&#x017F;agungen ...<lb/>
von tau&#x017F;end Tendenzen ... von einer Unzahl von<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0229] Die Entwicklung eines modernen Menſchen, der einigermaßen außergewöhnlich .. einigermaßen über den Durchſchnitt hinausragt, vollzieht ſich ja ver- hältnißmäßig ſehr einfach. Das mit reichen Kräften ausgeſtattete Individium entfaltet ſich gewöhnlich in der erſten Zeit unter relativ guten Bedingungen. Da- durch wird ein ebenſo hochgradiger, wie einſeitiger Idealismus provocirt — ein Idealismus, der ſich über Alles gern in Thaten ſetzen möchte .. dem aber Gott ſei Dank! vorläufig noch alle Thaten allergnädigſt geſchenkt bleiben. Allmählich kommt das arme-reiche Individuum mit der Welt in Berührung ... mehr und mehr. Natürlich ſtößt es an allen Ecken und Enden an .. findet allorts Widerſpruch .. und zieht ſich, in der Regel noch dazu ſehr zart, ſehr fein, ſehr ſenſitiv von Natur, wieder ſcheu zurück .. Aber der heißen Schwüre, die es ſich und Seinesgleichen in den großen Schwärmertagen ſeiner Jugend gegeben hat, kann es nicht vergeſſen. So ſtürzt es ſich in die Welt zurück .. und tritt jetzt gewöhnlich ſehr kühn und ſelbſtbewußt auf — was dann natürlich die Sipp- ſchaft der guten Freunde, getreuen Nachbarn und ähnlicher Conſorten, die ſich auch „Menſchen“ tituliren, „brutal“, „anmaßend“ und weiß der Teufel! wie noch nennen. So ein armes, wirklich ganz meſſianiſch veranlagtes; mit dem wüthendſten Drange zu helfen, zu erhöhen, zu verſöhnen, ausgerüſtetes — von allen Welträthſelngequältes ... von tauſend Ahnungen, Stim- mungen, Erwartungen, Hoffnungen, Entſagungen ... von tauſend Tendenzen ... von einer Unzahl von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/229
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/229>, abgerufen am 27.11.2024.