Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].Aber wir stellen diese Gefühle zumeist in den Dienst Aber wir ſtellen dieſe Gefühle zumeiſt in den Dienſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="220"/> Aber wir ſtellen dieſe Gefühle zumeiſt in den Dienſt<lb/> des Intellekts, wenn ich mich ſo ausdrücken darf.<lb/> Wir haben die hiſtoriſche Entwicklung der Philoſophie<lb/> vom Dogmatismus über den Skeptizismus zum Kri-<lb/> tizismus in unſerem individuellen Sonderleben in<lb/> ſchneidender Schärfe und Betonung durchgemacht. So<lb/> ſind wir — und mag das noch ſo widerſpruchsvoll<lb/> klingen — hagebüchene Individualiſten — geblieben<lb/> .. und doch zugleich auch Poſitiviſten und Phaeno-<lb/> menaliſten geworden. Sie haben ſich gerade umgekehrt<lb/> entwickelt, Herr Doctor. Und .. offen herausgeſagt:<lb/> von der ſocial-ethiſchen Bedeutung Ihres Reſignations-<lb/> ſtandpunktes verſpreche ich mir nicht viel — mögen<lb/> Sie Ihre Anſchauungen nun im Sinne Schopen-<lb/> hauers, Hartmanns oder Mainländers krönen ..<lb/> Kann ſein, daß das ſogenannte „Volk“ für die Ethik<lb/> eines Hartmanns eines Tages „reif“ geworden iſt —<lb/> ich wüßte nicht, ob ich mich darüber freuen, oder<lb/> ob ich es bedauern ſollte .. Sie ſind Ariſtokrat,<lb/> Herr Doctor — wir ſind auch Ariſtokraten. Aber<lb/> wir ſind Ariſtokraten der Zukunft .. vielleicht der<lb/> nächſten — Sie dürfen höchſtens erſt am jüngſten<lb/> Tage in die Urne greifen und das große Loos der<lb/> geiſtigen Weltherrſchaft ziehen ... Nun ja! Sie<lb/> können uns bemitleiden .. Sie können über unſere Be-<lb/> ſcheidenheit .. über unſeren „praktiſchen“, „realiſtiſchen“<lb/> Sinn mit ſouveräner Erhabenheit lächeln .. Wir<lb/> verſtehen Sie verhältnißmäßig ſehr gut, Herr Doctor.<lb/> Denn wir haben einmal <hi rendition="#aq">mutatis mutandis</hi> Ihnen<lb/> ſehr ähnlich gedacht und gefühlt. Mein Gott!<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0228]
Aber wir ſtellen dieſe Gefühle zumeiſt in den Dienſt
des Intellekts, wenn ich mich ſo ausdrücken darf.
Wir haben die hiſtoriſche Entwicklung der Philoſophie
vom Dogmatismus über den Skeptizismus zum Kri-
tizismus in unſerem individuellen Sonderleben in
ſchneidender Schärfe und Betonung durchgemacht. So
ſind wir — und mag das noch ſo widerſpruchsvoll
klingen — hagebüchene Individualiſten — geblieben
.. und doch zugleich auch Poſitiviſten und Phaeno-
menaliſten geworden. Sie haben ſich gerade umgekehrt
entwickelt, Herr Doctor. Und .. offen herausgeſagt:
von der ſocial-ethiſchen Bedeutung Ihres Reſignations-
ſtandpunktes verſpreche ich mir nicht viel — mögen
Sie Ihre Anſchauungen nun im Sinne Schopen-
hauers, Hartmanns oder Mainländers krönen ..
Kann ſein, daß das ſogenannte „Volk“ für die Ethik
eines Hartmanns eines Tages „reif“ geworden iſt —
ich wüßte nicht, ob ich mich darüber freuen, oder
ob ich es bedauern ſollte .. Sie ſind Ariſtokrat,
Herr Doctor — wir ſind auch Ariſtokraten. Aber
wir ſind Ariſtokraten der Zukunft .. vielleicht der
nächſten — Sie dürfen höchſtens erſt am jüngſten
Tage in die Urne greifen und das große Loos der
geiſtigen Weltherrſchaft ziehen ... Nun ja! Sie
können uns bemitleiden .. Sie können über unſere Be-
ſcheidenheit .. über unſeren „praktiſchen“, „realiſtiſchen“
Sinn mit ſouveräner Erhabenheit lächeln .. Wir
verſtehen Sie verhältnißmäßig ſehr gut, Herr Doctor.
Denn wir haben einmal mutatis mutandis Ihnen
ſehr ähnlich gedacht und gefühlt. Mein Gott!
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