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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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Ein Scheibchen Pökelrippe -- ja? Oder ein
Wenig Dessert? Lassen Sie sich nicht nöthigen!
Schlimm genug, daß man selbst Ihnen gegenüber
die alten, abgestandenen Redensarten gebrauchen
muß! Aber Sie sind gar nicht originell! Sie
bilden sich gar nichts auf sich ein! Und -- was
das Schlimmste ist -- Sie vergessen ganz, daß Sie
mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach
der Art des ersten besten Durchschnittsmenschen zu
behandeln ..."

"Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar
kein Recht, etwas Besonderes scheinen zu wollen,
sintemalen ich gar nichts Besonderes bin ... Wenigstens
momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht
Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und
Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Mensch ge-
wesen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich
erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Interessen
mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich-
gültig ... Alles ist todt, verschüttet, ausgestorben
in mir. Ein Druck liegt auf mir -- ich sage
Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ...
Nichts reißt mich aus dieser Verstumpfung heraus ...
Ich glaube ... ich fürchte: meine beste Zeit ... die
Zeit, wo ich geistig aktiv sein durfte ... wo ich
für tausend Reize empfänglich war ... wo ich nach
allen Seiten hin Anregung gab und Anregung
empfing, ist vorüber ... Und ... und gewöhn-
lich vermisse ich absolut Nichts ... das
ist das Entsetzlichste. Nur manchmal, wie eben

Ein Scheibchen Pökelrippe — ja? Oder ein
Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen!
Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber
die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen
muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie
bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und — was
das Schlimmſte iſt — Sie vergeſſen ganz, daß Sie
mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach
der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu
behandeln ...“

„Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar
kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen,
ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens
momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht
Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und
Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge-
weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich
erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen
mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich-
gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben
in mir. Ein Druck liegt auf mir — ich ſage
Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ...
Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ...
Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die
Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich
für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach
allen Seiten hin Anregung gab und Anregung
empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn-
lich vermiſſe ich abſolut Nichts ... das
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[135/0143] Ein Scheibchen Pökelrippe — ja? Oder ein Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen! Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und — was das Schlimmſte iſt — Sie vergeſſen ganz, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu behandeln ...“ „Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen, ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge- weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich- gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben in mir. Ein Druck liegt auf mir — ich ſage Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ... Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ... Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach allen Seiten hin Anregung gab und Anregung empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn- lich vermiſſe ich abſolut Nichts ... das iſt das Entſetzlichſte. Nur manchmal, wie eben

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/143>, abgerufen am 12.05.2024.