Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

nur mit geringen Sinnlichkeitsaffecten verbundene
Sympathie in ihm ausgelöst. Nun denn! -- so
mußte es eben ihr Schicksal sein, was ihn reizte.
Oder etwa ihre Sprödigkeit? Ihre Art, kalt und
bestimmt abzuweisen ... ihre wie selbstverständlich
dargestellte ... Selbständigkeit? Es war doch merk-
würdig! Und da! ... da schäumte es auch in
ihm auf ... da begehrte er plötzlich, diese Unge-
berdigkeit zu zähmen, diesen Trotz zu brechen, diese
Kälte zu bezwingen ... Da mußte er, wie süß
und berauschend es sein müßte ... es wahr und
wahrhaftig sein würde, diese herben Lippen zu
küssen ... diesen verschlossenen Mund zu köstlichen
Geständnissen zu bewegen ... Ein fanatischer Sehn-
suchtsrausch war jäh über ihn gekommen. Ein
starkes Leben durchpulste ihn ... ein einziges
Wollen erfüllte ihn ganz. Seine Phantasie umhing
die Geliebte mit Reizen, die sie kaum besaß. Aus
allen Poren strömte Adam der Drang ... quoll
ihm das glühende Begehren der entfesselten Leiden-
schaft heraus ... Aber da verflüchtigte sich auch
die heiße Sehnsucht des Blutes schon wieder. Eben
war Adam noch der Gedanke gekommen, daß es
doch eigentlich ganz praktisch sei, in dieser sinnlich-
empfänglichen Stimmung zu Lydia zu gehen.
Hedwig ... oh! Die Erinnerung an sie konnte seine
Phantasie wohl mit tausend verführerisch-reizvollen
Bildern speisen. Aber die Wirklichkeit? Die Dame
war doch eigentlich schon zu eingefroren, zu steif, zu
erkaltet. Und Adam liebte das Spontane, das Tu-

nur mit geringen Sinnlichkeitsaffecten verbundene
Sympathie in ihm ausgelöſt. Nun denn! — ſo
mußte es eben ihr Schickſal ſein, was ihn reizte.
Oder etwa ihre Sprödigkeit? Ihre Art, kalt und
beſtimmt abzuweiſen ... ihre wie ſelbſtverſtändlich
dargeſtellte ... Selbſtändigkeit? Es war doch merk-
würdig! Und da! ... da ſchäumte es auch in
ihm auf ... da begehrte er plötzlich, dieſe Unge-
berdigkeit zu zähmen, dieſen Trotz zu brechen, dieſe
Kälte zu bezwingen ... Da mußte er, wie ſüß
und berauſchend es ſein müßte ... es wahr und
wahrhaftig ſein würde, dieſe herben Lippen zu
küſſen ... dieſen verſchloſſenen Mund zu köſtlichen
Geſtändniſſen zu bewegen ... Ein fanatiſcher Sehn-
ſuchtsrauſch war jäh über ihn gekommen. Ein
ſtarkes Leben durchpulſte ihn ... ein einziges
Wollen erfüllte ihn ganz. Seine Phantaſie umhing
die Geliebte mit Reizen, die ſie kaum beſaß. Aus
allen Poren ſtrömte Adam der Drang ... quoll
ihm das glühende Begehren der entfeſſelten Leiden-
ſchaft heraus ... Aber da verflüchtigte ſich auch
die heiße Sehnſucht des Blutes ſchon wieder. Eben
war Adam noch der Gedanke gekommen, daß es
doch eigentlich ganz praktiſch ſei, in dieſer ſinnlich-
empfänglichen Stimmung zu Lydia zu gehen.
Hedwig ... oh! Die Erinnerung an ſie konnte ſeine
Phantaſie wohl mit tauſend verführeriſch-reizvollen
Bildern ſpeiſen. Aber die Wirklichkeit? Die Dame
war doch eigentlich ſchon zu eingefroren, zu ſteif, zu
erkaltet. Und Adam liebte das Spontane, das Tu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="127"/>
nur mit geringen Sinnlichkeitsaffecten verbundene<lb/>
Sympathie in ihm ausgelö&#x017F;t. Nun denn! &#x2014; &#x017F;o<lb/>
mußte es eben ihr Schick&#x017F;al &#x017F;ein, was ihn reizte.<lb/>
Oder etwa ihre Sprödigkeit? Ihre Art, kalt und<lb/>
be&#x017F;timmt abzuwei&#x017F;en ... ihre wie &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich<lb/>
darge&#x017F;tellte ... Selb&#x017F;tändigkeit? Es war doch merk-<lb/>
würdig! Und da! ... da &#x017F;chäumte es auch in<lb/>
ihm auf ... da begehrte er plötzlich, die&#x017F;e Unge-<lb/>
berdigkeit zu zähmen, die&#x017F;en Trotz zu brechen, die&#x017F;e<lb/>
Kälte zu bezwingen ... Da mußte er, wie &#x017F;üß<lb/>
und berau&#x017F;chend es &#x017F;ein müßte ... es wahr und<lb/>
wahrhaftig &#x017F;ein würde, die&#x017F;e herben Lippen zu<lb/>&#x017F;&#x017F;en ... die&#x017F;en ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Mund zu kö&#x017F;tlichen<lb/>
Ge&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;en zu bewegen ... Ein fanati&#x017F;cher Sehn-<lb/>
&#x017F;uchtsrau&#x017F;ch war jäh über ihn gekommen. Ein<lb/>
&#x017F;tarkes Leben durchpul&#x017F;te ihn ... ein einziges<lb/>
Wollen erfüllte ihn ganz. Seine Phanta&#x017F;ie umhing<lb/>
die Geliebte mit Reizen, die &#x017F;ie kaum be&#x017F;aß. Aus<lb/>
allen Poren &#x017F;trömte Adam der Drang ... quoll<lb/>
ihm das glühende Begehren der entfe&#x017F;&#x017F;elten Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft heraus ... Aber da verflüchtigte &#x017F;ich auch<lb/>
die heiße Sehn&#x017F;ucht des Blutes &#x017F;chon wieder. Eben<lb/>
war Adam noch der Gedanke gekommen, daß es<lb/>
doch eigentlich ganz prakti&#x017F;ch &#x017F;ei, in die&#x017F;er &#x017F;innlich-<lb/>
empfänglichen Stimmung zu Lydia zu gehen.<lb/>
Hedwig ... oh! Die Erinnerung an &#x017F;ie konnte &#x017F;eine<lb/>
Phanta&#x017F;ie wohl mit tau&#x017F;end verführeri&#x017F;ch-reizvollen<lb/>
Bildern &#x017F;pei&#x017F;en. Aber die Wirklichkeit? Die Dame<lb/>
war doch eigentlich &#x017F;chon zu eingefroren, zu &#x017F;teif, zu<lb/>
erkaltet. Und Adam liebte das Spontane, das Tu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0135] nur mit geringen Sinnlichkeitsaffecten verbundene Sympathie in ihm ausgelöſt. Nun denn! — ſo mußte es eben ihr Schickſal ſein, was ihn reizte. Oder etwa ihre Sprödigkeit? Ihre Art, kalt und beſtimmt abzuweiſen ... ihre wie ſelbſtverſtändlich dargeſtellte ... Selbſtändigkeit? Es war doch merk- würdig! Und da! ... da ſchäumte es auch in ihm auf ... da begehrte er plötzlich, dieſe Unge- berdigkeit zu zähmen, dieſen Trotz zu brechen, dieſe Kälte zu bezwingen ... Da mußte er, wie ſüß und berauſchend es ſein müßte ... es wahr und wahrhaftig ſein würde, dieſe herben Lippen zu küſſen ... dieſen verſchloſſenen Mund zu köſtlichen Geſtändniſſen zu bewegen ... Ein fanatiſcher Sehn- ſuchtsrauſch war jäh über ihn gekommen. Ein ſtarkes Leben durchpulſte ihn ... ein einziges Wollen erfüllte ihn ganz. Seine Phantaſie umhing die Geliebte mit Reizen, die ſie kaum beſaß. Aus allen Poren ſtrömte Adam der Drang ... quoll ihm das glühende Begehren der entfeſſelten Leiden- ſchaft heraus ... Aber da verflüchtigte ſich auch die heiße Sehnſucht des Blutes ſchon wieder. Eben war Adam noch der Gedanke gekommen, daß es doch eigentlich ganz praktiſch ſei, in dieſer ſinnlich- empfänglichen Stimmung zu Lydia zu gehen. Hedwig ... oh! Die Erinnerung an ſie konnte ſeine Phantaſie wohl mit tauſend verführeriſch-reizvollen Bildern ſpeiſen. Aber die Wirklichkeit? Die Dame war doch eigentlich ſchon zu eingefroren, zu ſteif, zu erkaltet. Und Adam liebte das Spontane, das Tu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/135
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/135>, abgerufen am 13.05.2024.