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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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war .. die er noch für sie aus allen seinen früheren,
engeren oder loseren Beziehungen und "Verhältnissen"
hatte retten müssen. Der Gedanke an sie hatte doch un-
willkürlich -- jetzt wurde er sich dessen bewußt -- in den
letzten zwei Tagen die stete Unterströmung seines
Seelenlebens gebildet. Immer wieder war ihr Bild
vor ihm aufgetaucht, manchmal schärfer, deutlicher,
manchmal unklarer, schwächer, linienmatter. Er hatte
der einzelnen Gelegenheiten gedenken müssen, die ihn
mit ihr zusammengeführt. Er hatte sich die Worte ...
das Herüber und Hinüber ... das bewegte Widerspiel
der Gefühle und Gedanken wiederholen müssen, die
ihn in ihrer Gegenwart besessen, die sie ihm zu ver-
stehen gegeben, die sie ihn hatte ahnen lassen, oder
die er ihr anvermuthet. Er hatte viel an sie gedacht,
viel über sie nachgedacht ... hatte sich gefragt: wo sie
wohl in dieser Stunde wäre ... was sie thäte .. wie
sie jetzt ihr Verhältniß zu ihrem Vater auffaßte ..
ertrüge ... ob er selbst vielleicht schon eine kleine
Rolle in ihrer Welt spielte? .. Aber was zog ihn
nur zu ihr hin? Reizte sie seine Sinnlichkeit?
Eigentlich nicht. Seit jenem Abend bei Herrn
Quöck, wo der Wein sein Blut aufgejagt, wo ihm
Lydia's Raffinement und Coquetterie brennendes
Begehren in die Brust getropft .. mit berechnender
Grausamkeit langsam getropft hatte; wo er sich wohl
nur aus Trotz gegen das schöne, verführerische
Weib -- wenigstens wie er sich heute einbildete --
Hedwig genähert -- seit jenem Abend hatte deren
Gegenwart oder die Erinnerung an sie eine immer

war .. die er noch für ſie aus allen ſeinen früheren,
engeren oder loſeren Beziehungen und „Verhältniſſen“
hatte retten müſſen. Der Gedanke an ſie hatte doch un-
willkürlich — jetzt wurde er ſich deſſen bewußt — in den
letzten zwei Tagen die ſtete Unterſtrömung ſeines
Seelenlebens gebildet. Immer wieder war ihr Bild
vor ihm aufgetaucht, manchmal ſchärfer, deutlicher,
manchmal unklarer, ſchwächer, linienmatter. Er hatte
der einzelnen Gelegenheiten gedenken müſſen, die ihn
mit ihr zuſammengeführt. Er hatte ſich die Worte ...
das Herüber und Hinüber ... das bewegte Widerſpiel
der Gefühle und Gedanken wiederholen müſſen, die
ihn in ihrer Gegenwart beſeſſen, die ſie ihm zu ver-
ſtehen gegeben, die ſie ihn hatte ahnen laſſen, oder
die er ihr anvermuthet. Er hatte viel an ſie gedacht,
viel über ſie nachgedacht ... hatte ſich gefragt: wo ſie
wohl in dieſer Stunde wäre ... was ſie thäte .. wie
ſie jetzt ihr Verhältniß zu ihrem Vater auffaßte ..
ertrüge ... ob er ſelbſt vielleicht ſchon eine kleine
Rolle in ihrer Welt ſpielte? .. Aber was zog ihn
nur zu ihr hin? Reizte ſie ſeine Sinnlichkeit?
Eigentlich nicht. Seit jenem Abend bei Herrn
Quöck, wo der Wein ſein Blut aufgejagt, wo ihm
Lydia's Raffinement und Coquetterie brennendes
Begehren in die Bruſt getropft .. mit berechnender
Grauſamkeit langſam getropft hatte; wo er ſich wohl
nur aus Trotz gegen das ſchöne, verführeriſche
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[126/0134] war .. die er noch für ſie aus allen ſeinen früheren, engeren oder loſeren Beziehungen und „Verhältniſſen“ hatte retten müſſen. Der Gedanke an ſie hatte doch un- willkürlich — jetzt wurde er ſich deſſen bewußt — in den letzten zwei Tagen die ſtete Unterſtrömung ſeines Seelenlebens gebildet. Immer wieder war ihr Bild vor ihm aufgetaucht, manchmal ſchärfer, deutlicher, manchmal unklarer, ſchwächer, linienmatter. Er hatte der einzelnen Gelegenheiten gedenken müſſen, die ihn mit ihr zuſammengeführt. Er hatte ſich die Worte ... das Herüber und Hinüber ... das bewegte Widerſpiel der Gefühle und Gedanken wiederholen müſſen, die ihn in ihrer Gegenwart beſeſſen, die ſie ihm zu ver- ſtehen gegeben, die ſie ihn hatte ahnen laſſen, oder die er ihr anvermuthet. Er hatte viel an ſie gedacht, viel über ſie nachgedacht ... hatte ſich gefragt: wo ſie wohl in dieſer Stunde wäre ... was ſie thäte .. wie ſie jetzt ihr Verhältniß zu ihrem Vater auffaßte .. ertrüge ... ob er ſelbſt vielleicht ſchon eine kleine Rolle in ihrer Welt ſpielte? .. Aber was zog ihn nur zu ihr hin? Reizte ſie ſeine Sinnlichkeit? Eigentlich nicht. Seit jenem Abend bei Herrn Quöck, wo der Wein ſein Blut aufgejagt, wo ihm Lydia's Raffinement und Coquetterie brennendes Begehren in die Bruſt getropft .. mit berechnender Grauſamkeit langſam getropft hatte; wo er ſich wohl nur aus Trotz gegen das ſchöne, verführeriſche Weib — wenigſtens wie er ſich heute einbildete — Hedwig genähert — ſeit jenem Abend hatte deren Gegenwart oder die Erinnerung an ſie eine immer

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/134>, abgerufen am 13.05.2024.