etwas Egoismus ist meinerseits dabei wohl auch im Spiele. Ich bin, wie schon bemerkt, gänzlich abhängig von meiner Tochter .. Wir arbeiten zusammen, sie liest mir vor .. ich dictire ihr .. wenn sie mich verließe -- ich könnte nicht weiterleben .. Wenn sie der Welt noch einmal zum Opfer fiele -- sie müßte erst mich .. erst meinen Sarg bei Seite schieben .. er würde ihr den Weg versperren ..." Das war noch leiser, noch unverständlicher, undeutlicher ge- sprochen, als gewöhnlich. Irmer hatte das Haupt schwer, tiefgebeugt auf die Brust fallen lassen .. als würde es von den Henkersknechten des Schicksals niedergedrückt. Der Mann schaute starr vor sich hin.
Adam erhob sich und griff nach seinem Hute.
"Ich danke Ihnen, Herr Doctor, für die An- regung, die Sie mir gegeben .. Und hoffentlich .. hoffentlich ist es nicht das letzte Mal, das wir zusammengeplaudert. Die Welt ist gemein .. ganz Recht! .. und die Menschen sind Bestien .. sie schwatzen und klatschen und kritisiren und .. keifen und ... zucken die Achseln und treten einander todt ..
"Hülfreich ist der Mensch, Edel und gut -- Doch zuweilen, wenn er gerade Durscht hat, Säuft er seines ,Nächsten' Blut ..."
Eh bien! . Das ist eine bekannte Geschichte .. Doch das ist der Pessimismus der Jugend, der zwanziger Jahre ... Man findet Alles gemein, weil man Alles noch zu allgemein findet ... finden
etwas Egoismus iſt meinerſeits dabei wohl auch im Spiele. Ich bin, wie ſchon bemerkt, gänzlich abhängig von meiner Tochter .. Wir arbeiten zuſammen, ſie lieſt mir vor .. ich dictire ihr .. wenn ſie mich verließe — ich könnte nicht weiterleben .. Wenn ſie der Welt noch einmal zum Opfer fiele — ſie müßte erſt mich .. erſt meinen Sarg bei Seite ſchieben .. er würde ihr den Weg verſperren ...“ Das war noch leiſer, noch unverſtändlicher, undeutlicher ge- ſprochen, als gewöhnlich. Irmer hatte das Haupt ſchwer, tiefgebeugt auf die Bruſt fallen laſſen .. als würde es von den Henkersknechten des Schickſals niedergedrückt. Der Mann ſchaute ſtarr vor ſich hin.
Adam erhob ſich und griff nach ſeinem Hute.
„Ich danke Ihnen, Herr Doctor, für die An- regung, die Sie mir gegeben .. Und hoffentlich .. hoffentlich iſt es nicht das letzte Mal, das wir zuſammengeplaudert. Die Welt iſt gemein .. ganz Recht! .. und die Menſchen ſind Beſtien .. ſie ſchwatzen und klatſchen und kritiſiren und .. keifen und ... zucken die Achſeln und treten einander todt ..
„Hülfreich iſt der Menſch, Edel und gut — Doch zuweilen, wenn er gerade Durſcht hat, Säuft er ſeines ‚Nächſten‘ Blut ...“
Eh bien! . Das iſt eine bekannte Geſchichte .. Doch das iſt der Peſſimismus der Jugend, der zwanziger Jahre ... Man findet Alles gemein, weil man Alles noch zu allgemein findet ... finden
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etwas Egoismus iſt meinerſeits dabei wohl auch im
Spiele. Ich bin, wie ſchon bemerkt, gänzlich abhängig
von meiner Tochter .. Wir arbeiten zuſammen, ſie
lieſt mir vor .. ich dictire ihr .. wenn ſie mich
verließe — ich könnte nicht weiterleben .. Wenn
ſie der Welt noch einmal zum Opfer fiele — ſie
müßte erſt mich .. erſt meinen Sarg bei Seite ſchieben ..
er würde ihr den Weg verſperren ...“ Das war
noch leiſer, noch unverſtändlicher, undeutlicher ge-
ſprochen, als gewöhnlich. Irmer hatte das Haupt
ſchwer, tiefgebeugt auf die Bruſt fallen laſſen ..
als würde es von den Henkersknechten des Schickſals
niedergedrückt. Der Mann ſchaute ſtarr vor ſich hin.
Adam erhob ſich und griff nach ſeinem Hute.
„Ich danke Ihnen, Herr Doctor, für die An-
regung, die Sie mir gegeben .. Und hoffentlich ..
hoffentlich iſt es nicht das letzte Mal, das wir
zuſammengeplaudert. Die Welt iſt gemein .. ganz
Recht! .. und die Menſchen ſind Beſtien .. ſie
ſchwatzen und klatſchen und kritiſiren und .. keifen
und ... zucken die Achſeln und treten einander
todt ..
„Hülfreich iſt der Menſch,
Edel und gut —
Doch zuweilen, wenn er gerade Durſcht hat,
Säuft er ſeines ‚Nächſten‘ Blut ...“
Eh bien! . Das iſt eine bekannte Geſchichte ..
Doch das iſt der Peſſimismus der Jugend, der
zwanziger Jahre ... Man findet Alles gemein,
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/129>, abgerufen am 09.01.2025.
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