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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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sie sich gut zu kleiden versteht, damit sie dem Manne gefalle,
dem es allein zukommt, Bildung und Kenntnisse zu erwerben -
wer kann sie dann tadeln, wenn sie all ihren Fleiß und all
ihr Geld auf diese Vorzüge verwendet und öfters über die
Grenze hinaus, die man von ihr verlangt? ... Jch habe
öfters gelächelt, sagt Mary Astell, wenn ich Frauen über irgend
welche geringfügige Versehen ihrer Putzmacherinnen oder ihres
Schneiders mit so tiefem Ernst habe reden hören, als wenn es
sich um die wichtigsten Anliegen ihrer Seele handelte; doch
man wende das Gespräch nach dieser letzteren Seite und sie
werden ebenso stumm und kalt als sie zuvor gesprächig und
warm gewesen. Und wie lange dauert die Herrlichkeit? Die
Huldigungen schwinden eben so schnell wie die Schönheit; ent-
setzt vor dem schrecklichen Namen einer alten Jungfer, aus dem
doch nur Thoren ihr einen Vorwurf machen können, den nur
Thörinnen fürchten können, wirft sie sich in eine unvernünftige
Ehe als ihren letzten Zufluchtsort.

Statt einer Frauenakademie, wie sie Defoe vorschlägt,
will Mary Astell einen "religiösen Zufluchtsort vor den Eitel-
keiten der Welt". Hier sollen die Töchter der besseren Klassen
erzogen werden, hier sollen die reiferen und ernsteren Frauen
derselben Klassen einen Beruf finden zu ernsterer Lebensthätig-
keit, Frauen, die keine eigene Familie haben; denn "die ganze
Welt soll die Familie einer alleinstehenden Dame sein, weil
engere Verpflichtungen ihren Geist nicht einschränken."

Die kleine Schrift hat zu ihrer Zeit viele Beachtung ge-
funden; sie ist in wiederholten Auflagen erschienen*) Sie war

*) Jm British Museum findet sich eine Ausgabe von 1695, eine
andere, erweiterte (in zwei Theilen) von 1697. Der zweite Titel der
letzteren lautet: Part I, 4th edition, 1701; Part II, 1697.

sie sich gut zu kleiden versteht, damit sie dem Manne gefalle,
dem es allein zukommt, Bildung und Kenntnisse zu erwerben –
wer kann sie dann tadeln, wenn sie all ihren Fleiß und all
ihr Geld auf diese Vorzüge verwendet und öfters über die
Grenze hinaus, die man von ihr verlangt? … Jch habe
öfters gelächelt, sagt Mary Astell, wenn ich Frauen über irgend
welche geringfügige Versehen ihrer Putzmacherinnen oder ihres
Schneiders mit so tiefem Ernst habe reden hören, als wenn es
sich um die wichtigsten Anliegen ihrer Seele handelte; doch
man wende das Gespräch nach dieser letzteren Seite und sie
werden ebenso stumm und kalt als sie zuvor gesprächig und
warm gewesen. Und wie lange dauert die Herrlichkeit? Die
Huldigungen schwinden eben so schnell wie die Schönheit; ent-
setzt vor dem schrecklichen Namen einer alten Jungfer, aus dem
doch nur Thoren ihr einen Vorwurf machen können, den nur
Thörinnen fürchten können, wirft sie sich in eine unvernünftige
Ehe als ihren letzten Zufluchtsort.

Statt einer Frauenakademie, wie sie Defoe vorschlägt,
will Mary Astell einen „religiösen Zufluchtsort vor den Eitel-
keiten der Welt“. Hier sollen die Töchter der besseren Klassen
erzogen werden, hier sollen die reiferen und ernsteren Frauen
derselben Klassen einen Beruf finden zu ernsterer Lebensthätig-
keit, Frauen, die keine eigene Familie haben; denn „die ganze
Welt soll die Familie einer alleinstehenden Dame sein, weil
engere Verpflichtungen ihren Geist nicht einschränken.“

Die kleine Schrift hat zu ihrer Zeit viele Beachtung ge-
funden; sie ist in wiederholten Auflagen erschienen*) Sie war

*) Jm British Museum findet sich eine Ausgabe von 1695, eine
andere, erweiterte (in zwei Theilen) von 1697. Der zweite Titel der
letzteren lautet: Part I, 4th edition, 1701; Part II, 1697.
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[80/0096] sie sich gut zu kleiden versteht, damit sie dem Manne gefalle, dem es allein zukommt, Bildung und Kenntnisse zu erwerben – wer kann sie dann tadeln, wenn sie all ihren Fleiß und all ihr Geld auf diese Vorzüge verwendet und öfters über die Grenze hinaus, die man von ihr verlangt? … Jch habe öfters gelächelt, sagt Mary Astell, wenn ich Frauen über irgend welche geringfügige Versehen ihrer Putzmacherinnen oder ihres Schneiders mit so tiefem Ernst habe reden hören, als wenn es sich um die wichtigsten Anliegen ihrer Seele handelte; doch man wende das Gespräch nach dieser letzteren Seite und sie werden ebenso stumm und kalt als sie zuvor gesprächig und warm gewesen. Und wie lange dauert die Herrlichkeit? Die Huldigungen schwinden eben so schnell wie die Schönheit; ent- setzt vor dem schrecklichen Namen einer alten Jungfer, aus dem doch nur Thoren ihr einen Vorwurf machen können, den nur Thörinnen fürchten können, wirft sie sich in eine unvernünftige Ehe als ihren letzten Zufluchtsort. Statt einer Frauenakademie, wie sie Defoe vorschlägt, will Mary Astell einen „religiösen Zufluchtsort vor den Eitel- keiten der Welt“. Hier sollen die Töchter der besseren Klassen erzogen werden, hier sollen die reiferen und ernsteren Frauen derselben Klassen einen Beruf finden zu ernsterer Lebensthätig- keit, Frauen, die keine eigene Familie haben; denn „die ganze Welt soll die Familie einer alleinstehenden Dame sein, weil engere Verpflichtungen ihren Geist nicht einschränken.“ Die kleine Schrift hat zu ihrer Zeit viele Beachtung ge- funden; sie ist in wiederholten Auflagen erschienen *) Sie war *) Jm British Museum findet sich eine Ausgabe von 1695, eine andere, erweiterte (in zwei Theilen) von 1697. Der zweite Titel der letzteren lautet: Part I, 4th edition, 1701; Part II, 1697.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/96>, abgerufen am 24.04.2024.