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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Es geschieht namentlich in der englischen Literatur zu
Ende des siebzehnten Jahrhunderts, daß jener Abstand der
Bildung betont wird, in einer Weise, die uns sehr modern klingt.

So ist es Daniel Defoe, der in seinem Büchlein über
"Projecte", das von hellen Gedanken neuer Reformen und
Unternehmungen voll ist, eine "Akademie für Frauen" vorschlug
und sie also begründete: "Mir ist es oft," sagt er, "als eine
ganz barbarische Sitte erschienen, daß wir, die wir in einem
civilisirten und christlichen Lande zu leben behaupten, dem
weiblichen Geschlechte die Vortheile des Lernens verweigern.
Wir machen den Frauen jeden Tag ihre Einfalt zum Vor-
wurf, während sie doch, wenn sie die Vortheile einer gleichen
Erziehung wie das männliche Geschlecht genießen würden, gewiß
jenen Vorwurf weniger verdienten, als das letztere. Ja, man
sollte sich vielmehr wundern, wie weit die Frauen es bringen
mit dem Wenigen, was sie lernen. Jn ihren jungen Jahren
lehrt man sie einfache Handarbeiten, dann etwas Lesen, und
wenn sie ihren Namen schreiben können, so ist das der Gipfel
der weiblichen Bildung. Und ich möchte an alle die Männer,
welche auf den Verstand des weiblichen Geschlechts herabblicken,
die Frage richten: was wohl ein Mann leisten kann, der nicht
mehr gelernt hat? ... Wenn Wissen und Verstand über-
flüssige Zuthaten für das weibliche Geschlecht wären, so hätte
ihnen Gott nicht die Fähigkeiten dazu verliehen. Und was sie
durch Bildung erreichen können, das wird uns klar an einzelnen
Beispielen von weiblichem Geiste, die unser Zeitalter kennt,
und die uns Männer dem Verdachte aussetzen, wir verweigerten
den Frauen die Vortheile des Unterrichts aus Furcht vor ihrer
Nebenbuhlerschaft."

Um dieselbe Zeit wie Defoe's Schrift erschien die anonyme
Schrift einer englischen Dame, völlig unabhängig von der

Es geschieht namentlich in der englischen Literatur zu
Ende des siebzehnten Jahrhunderts, daß jener Abstand der
Bildung betont wird, in einer Weise, die uns sehr modern klingt.

So ist es Daniel Defoe, der in seinem Büchlein über
„Projecte“, das von hellen Gedanken neuer Reformen und
Unternehmungen voll ist, eine „Akademie für Frauen“ vorschlug
und sie also begründete: „Mir ist es oft,“ sagt er, „als eine
ganz barbarische Sitte erschienen, daß wir, die wir in einem
civilisirten und christlichen Lande zu leben behaupten, dem
weiblichen Geschlechte die Vortheile des Lernens verweigern.
Wir machen den Frauen jeden Tag ihre Einfalt zum Vor-
wurf, während sie doch, wenn sie die Vortheile einer gleichen
Erziehung wie das männliche Geschlecht genießen würden, gewiß
jenen Vorwurf weniger verdienten, als das letztere. Ja, man
sollte sich vielmehr wundern, wie weit die Frauen es bringen
mit dem Wenigen, was sie lernen. Jn ihren jungen Jahren
lehrt man sie einfache Handarbeiten, dann etwas Lesen, und
wenn sie ihren Namen schreiben können, so ist das der Gipfel
der weiblichen Bildung. Und ich möchte an alle die Männer,
welche auf den Verstand des weiblichen Geschlechts herabblicken,
die Frage richten: was wohl ein Mann leisten kann, der nicht
mehr gelernt hat? … Wenn Wissen und Verstand über-
flüssige Zuthaten für das weibliche Geschlecht wären, so hätte
ihnen Gott nicht die Fähigkeiten dazu verliehen. Und was sie
durch Bildung erreichen können, das wird uns klar an einzelnen
Beispielen von weiblichem Geiste, die unser Zeitalter kennt,
und die uns Männer dem Verdachte aussetzen, wir verweigerten
den Frauen die Vortheile des Unterrichts aus Furcht vor ihrer
Nebenbuhlerschaft.“

Um dieselbe Zeit wie Defoe's Schrift erschien die anonyme
Schrift einer englischen Dame, völlig unabhängig von der

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[78/0094] Es geschieht namentlich in der englischen Literatur zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts, daß jener Abstand der Bildung betont wird, in einer Weise, die uns sehr modern klingt. So ist es Daniel Defoe, der in seinem Büchlein über „Projecte“, das von hellen Gedanken neuer Reformen und Unternehmungen voll ist, eine „Akademie für Frauen“ vorschlug und sie also begründete: „Mir ist es oft,“ sagt er, „als eine ganz barbarische Sitte erschienen, daß wir, die wir in einem civilisirten und christlichen Lande zu leben behaupten, dem weiblichen Geschlechte die Vortheile des Lernens verweigern. Wir machen den Frauen jeden Tag ihre Einfalt zum Vor- wurf, während sie doch, wenn sie die Vortheile einer gleichen Erziehung wie das männliche Geschlecht genießen würden, gewiß jenen Vorwurf weniger verdienten, als das letztere. Ja, man sollte sich vielmehr wundern, wie weit die Frauen es bringen mit dem Wenigen, was sie lernen. Jn ihren jungen Jahren lehrt man sie einfache Handarbeiten, dann etwas Lesen, und wenn sie ihren Namen schreiben können, so ist das der Gipfel der weiblichen Bildung. Und ich möchte an alle die Männer, welche auf den Verstand des weiblichen Geschlechts herabblicken, die Frage richten: was wohl ein Mann leisten kann, der nicht mehr gelernt hat? … Wenn Wissen und Verstand über- flüssige Zuthaten für das weibliche Geschlecht wären, so hätte ihnen Gott nicht die Fähigkeiten dazu verliehen. Und was sie durch Bildung erreichen können, das wird uns klar an einzelnen Beispielen von weiblichem Geiste, die unser Zeitalter kennt, und die uns Männer dem Verdachte aussetzen, wir verweigerten den Frauen die Vortheile des Unterrichts aus Furcht vor ihrer Nebenbuhlerschaft.“ Um dieselbe Zeit wie Defoe's Schrift erschien die anonyme Schrift einer englischen Dame, völlig unabhängig von der

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/94>, abgerufen am 18.04.2024.