Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, daß
man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten
würde... Von einer aparten, bewußten "Emancipation" ist
gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand.
Die Frau von Stande mußte damals ganz wie der Mann nach
einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit
streben... Das Ruhmvollste, was damals von den großen
Jtalienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist,
ein männliches Gemüth hätten... Frauen dieser Gattung
konnten dann freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen
lassen, wie die des Bandello, ohne daß darunter die Gesellig-
keit Schaden litt.

Wie anders in Deutschland oder wohl überhaupt in andern
Ländern außer Jtalien, zumal in den folgenden Jahrhunderten.
Die italienische Renaissance, die so viele hochgebildete Frauen
hervorbrachte, erweckte nur schwache Nachklänge auf deutschem
Boden. Gegenüber den wenigen Ausnahmen tritt die große
Masse völlig zurück. Der Durchschnitt der Frauen war ohne
jedes höhere geistige Jnteresse. Jn häuslicher Abgeschlossenheit
wuchs das weibliche Geschlecht heran und seine Erziehung und
Bildung wurden vernachlässigt.*) Vom deutschen Mittelalter
vollends wissen wir, daß die Frauenklöster, welche die Er-
ziehung den reicheren Mädchen gewährten, nichts mehr boten
als die Kenntniß des Katechismus, der Gebetformeln, kirchlicher
Gesänge und einiger biblischer Geschichten und Legenden nebst
weiblichen feineren Handarbeiten.**)

*) Georg Steinhausen, Das gelehrte Frauenzimmer, in der
Monatsschrift "Nord und Süd", October 1895.
**) Karl Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter.
Zweite Auflage. Wien 1882. Bd. I, 124 ff.

sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, daß
man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten
würde… Von einer aparten, bewußten „Emancipation“ ist
gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand.
Die Frau von Stande mußte damals ganz wie der Mann nach
einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit
streben… Das Ruhmvollste, was damals von den großen
Jtalienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist,
ein männliches Gemüth hätten… Frauen dieser Gattung
konnten dann freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen
lassen, wie die des Bandello, ohne daß darunter die Gesellig-
keit Schaden litt.

Wie anders in Deutschland oder wohl überhaupt in andern
Ländern außer Jtalien, zumal in den folgenden Jahrhunderten.
Die italienische Renaissance, die so viele hochgebildete Frauen
hervorbrachte, erweckte nur schwache Nachklänge auf deutschem
Boden. Gegenüber den wenigen Ausnahmen tritt die große
Masse völlig zurück. Der Durchschnitt der Frauen war ohne
jedes höhere geistige Jnteresse. Jn häuslicher Abgeschlossenheit
wuchs das weibliche Geschlecht heran und seine Erziehung und
Bildung wurden vernachlässigt.*) Vom deutschen Mittelalter
vollends wissen wir, daß die Frauenklöster, welche die Er-
ziehung den reicheren Mädchen gewährten, nichts mehr boten
als die Kenntniß des Katechismus, der Gebetformeln, kirchlicher
Gesänge und einiger biblischer Geschichten und Legenden nebst
weiblichen feineren Handarbeiten.**)

*) Georg Steinhausen, Das gelehrte Frauenzimmer, in der
Monatsschrift „Nord und Süd“, October 1895.
**) Karl Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter.
Zweite Auflage. Wien 1882. Bd. I, 124 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0093" n="77"/>
sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, daß<lb/>
man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten<lb/>
würde&#x2026; Von einer aparten, bewußten &#x201E;Emancipation&#x201C; ist<lb/>
gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand.<lb/>
Die Frau von Stande mußte damals ganz wie der Mann nach<lb/>
einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit<lb/>
streben&#x2026; Das Ruhmvollste, was damals von den großen<lb/>
Jtalienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist,<lb/>
ein männliches Gemüth hätten&#x2026; Frauen dieser Gattung<lb/>
konnten dann freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen<lb/>
lassen, wie die des Bandello, ohne daß darunter die Gesellig-<lb/>
keit Schaden litt.</p><lb/>
            <p>Wie anders in Deutschland oder wohl überhaupt in andern<lb/>
Ländern außer Jtalien, zumal in den folgenden Jahrhunderten.<lb/>
Die italienische Renaissance, die so viele hochgebildete Frauen<lb/>
hervorbrachte, erweckte nur schwache Nachklänge auf deutschem<lb/>
Boden. Gegenüber den wenigen Ausnahmen tritt die große<lb/>
Masse völlig zurück. Der Durchschnitt der Frauen war ohne<lb/>
jedes höhere geistige Jnteresse. Jn häuslicher Abgeschlossenheit<lb/>
wuchs das weibliche Geschlecht heran und seine Erziehung und<lb/>
Bildung wurden vernachlässigt.<note place="foot" n="*)">Georg Steinhausen, Das gelehrte Frauenzimmer, in der<lb/>
Monatsschrift &#x201E;Nord und Süd&#x201C;, October 1895.</note> Vom deutschen Mittelalter<lb/>
vollends wissen wir, daß die Frauenklöster, welche die Er-<lb/>
ziehung den reicheren Mädchen gewährten, nichts mehr boten<lb/>
als die Kenntniß des Katechismus, der Gebetformeln, kirchlicher<lb/>
Gesänge und einiger biblischer Geschichten und Legenden nebst<lb/>
weiblichen feineren Handarbeiten.<note place="foot" n="**)">Karl Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter.<lb/>
Zweite Auflage. Wien 1882. Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>, 124 ff.</note></p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0093] sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, daß man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde… Von einer aparten, bewußten „Emancipation“ ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand. Die Frau von Stande mußte damals ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben… Das Ruhmvollste, was damals von den großen Jtalienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüth hätten… Frauen dieser Gattung konnten dann freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen lassen, wie die des Bandello, ohne daß darunter die Gesellig- keit Schaden litt. Wie anders in Deutschland oder wohl überhaupt in andern Ländern außer Jtalien, zumal in den folgenden Jahrhunderten. Die italienische Renaissance, die so viele hochgebildete Frauen hervorbrachte, erweckte nur schwache Nachklänge auf deutschem Boden. Gegenüber den wenigen Ausnahmen tritt die große Masse völlig zurück. Der Durchschnitt der Frauen war ohne jedes höhere geistige Jnteresse. Jn häuslicher Abgeschlossenheit wuchs das weibliche Geschlecht heran und seine Erziehung und Bildung wurden vernachlässigt. *) Vom deutschen Mittelalter vollends wissen wir, daß die Frauenklöster, welche die Er- ziehung den reicheren Mädchen gewährten, nichts mehr boten als die Kenntniß des Katechismus, der Gebetformeln, kirchlicher Gesänge und einiger biblischer Geschichten und Legenden nebst weiblichen feineren Handarbeiten. **) *) Georg Steinhausen, Das gelehrte Frauenzimmer, in der Monatsschrift „Nord und Süd“, October 1895. **) Karl Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. Zweite Auflage. Wien 1882. Bd. I, 124 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/93
Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/93>, abgerufen am 28.11.2024.