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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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eines Bewußtseins von dem Zusammenhang solcher Projecte
mit den Gesetzen der Bevölkerungslehre. Ein rücksichtsloser
Naturalismus der Eheschließung und Fortpflanzung soll nicht
nur entfesselt werden, es sollen obenein öffentliche Zwangsmittel
zu deren Verstärkung angewendet werden, und dieses nicht ein-
mal um seiner selbst willen, so zu sagen, das heißt um der
Vermehrung der Bevölkerung willen, sondern bloß um die
"Jungfernfrage" dadurch zu erledigen.

Dem Gedankengange desselben Naturalismus entspringt es,
wenn der Ueberschuß an weiblichen Wesen nicht nur durch früh-
zeitige und staatlich erzwungene Eheschließung und die Alimen-
tationspflicht der Männer beseitigt, sondern der dann immer
noch bleibende Rest durch die Lebensgefährdung der Frauen mittelst
zahlreicher Geburten aus der Welt geschafft werden soll. Man
könnte fragen, ob es nicht für diesen Standpunkt ein ein-
facheres Mittel gäbe - etwa, die Verheirathung der jungen
Mädchen in möglichst früher Jugend zu befördern, wobei die
Aussicht auf große Lebensgefährdung für die überschüssigen
weiblichen Wesen sich ohne die Kehrseite einer sinnlosen Zu-
nahme der Bevölkerung eröffnen würde.

Jm Vergleiche zu der - Unbefangenheit dieser Grund-
anschauung sind die einzelnen Zumuthungen an die Gesetzgebung,
die in jenen Vorschlägen Hartmann's ausgesprochen sind, ver-
hältnißmäßig Kleinigkeiten. Daß kein Mann so etwas vor-
schlagen wird, der von der wirklichen Gesetzgebung und Staats-
verwaltung, von dem, was hier möglich und durchführbar ist,
irgend eine nähere Kenntniß hat, versteht sich freilich von selbst.

Ob Löhne und Gehälter sich wieder (!) so stellen werden,
daß jeder Mann heirathen kann, sobald die weibliche Con-
currenz in männlichen Berufsarten aufhört, muß schon darum
bezweifelt werden, weil es sich (ich verweise auf das oben Ge-

eines Bewußtseins von dem Zusammenhang solcher Projecte
mit den Gesetzen der Bevölkerungslehre. Ein rücksichtsloser
Naturalismus der Eheschließung und Fortpflanzung soll nicht
nur entfesselt werden, es sollen obenein öffentliche Zwangsmittel
zu deren Verstärkung angewendet werden, und dieses nicht ein-
mal um seiner selbst willen, so zu sagen, das heißt um der
Vermehrung der Bevölkerung willen, sondern bloß um die
„Jungfernfrage“ dadurch zu erledigen.

Dem Gedankengange desselben Naturalismus entspringt es,
wenn der Ueberschuß an weiblichen Wesen nicht nur durch früh-
zeitige und staatlich erzwungene Eheschließung und die Alimen-
tationspflicht der Männer beseitigt, sondern der dann immer
noch bleibende Rest durch die Lebensgefährdung der Frauen mittelst
zahlreicher Geburten aus der Welt geschafft werden soll. Man
könnte fragen, ob es nicht für diesen Standpunkt ein ein-
facheres Mittel gäbe – etwa, die Verheirathung der jungen
Mädchen in möglichst früher Jugend zu befördern, wobei die
Aussicht auf große Lebensgefährdung für die überschüssigen
weiblichen Wesen sich ohne die Kehrseite einer sinnlosen Zu-
nahme der Bevölkerung eröffnen würde.

Jm Vergleiche zu der – Unbefangenheit dieser Grund-
anschauung sind die einzelnen Zumuthungen an die Gesetzgebung,
die in jenen Vorschlägen Hartmann's ausgesprochen sind, ver-
hältnißmäßig Kleinigkeiten. Daß kein Mann so etwas vor-
schlagen wird, der von der wirklichen Gesetzgebung und Staats-
verwaltung, von dem, was hier möglich und durchführbar ist,
irgend eine nähere Kenntniß hat, versteht sich freilich von selbst.

Ob Löhne und Gehälter sich wieder (!) so stellen werden,
daß jeder Mann heirathen kann, sobald die weibliche Con-
currenz in männlichen Berufsarten aufhört, muß schon darum
bezweifelt werden, weil es sich (ich verweise auf das oben Ge-

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[72/0088] eines Bewußtseins von dem Zusammenhang solcher Projecte mit den Gesetzen der Bevölkerungslehre. Ein rücksichtsloser Naturalismus der Eheschließung und Fortpflanzung soll nicht nur entfesselt werden, es sollen obenein öffentliche Zwangsmittel zu deren Verstärkung angewendet werden, und dieses nicht ein- mal um seiner selbst willen, so zu sagen, das heißt um der Vermehrung der Bevölkerung willen, sondern bloß um die „Jungfernfrage“ dadurch zu erledigen. Dem Gedankengange desselben Naturalismus entspringt es, wenn der Ueberschuß an weiblichen Wesen nicht nur durch früh- zeitige und staatlich erzwungene Eheschließung und die Alimen- tationspflicht der Männer beseitigt, sondern der dann immer noch bleibende Rest durch die Lebensgefährdung der Frauen mittelst zahlreicher Geburten aus der Welt geschafft werden soll. Man könnte fragen, ob es nicht für diesen Standpunkt ein ein- facheres Mittel gäbe – etwa, die Verheirathung der jungen Mädchen in möglichst früher Jugend zu befördern, wobei die Aussicht auf große Lebensgefährdung für die überschüssigen weiblichen Wesen sich ohne die Kehrseite einer sinnlosen Zu- nahme der Bevölkerung eröffnen würde. Jm Vergleiche zu der – Unbefangenheit dieser Grund- anschauung sind die einzelnen Zumuthungen an die Gesetzgebung, die in jenen Vorschlägen Hartmann's ausgesprochen sind, ver- hältnißmäßig Kleinigkeiten. Daß kein Mann so etwas vor- schlagen wird, der von der wirklichen Gesetzgebung und Staats- verwaltung, von dem, was hier möglich und durchführbar ist, irgend eine nähere Kenntniß hat, versteht sich freilich von selbst. Ob Löhne und Gehälter sich wieder (!) so stellen werden, daß jeder Mann heirathen kann, sobald die weibliche Con- currenz in männlichen Berufsarten aufhört, muß schon darum bezweifelt werden, weil es sich (ich verweise auf das oben Ge-

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/88>, abgerufen am 28.03.2024.