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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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gewisse Stufe der Lebenshaltung innezuhalten trachten, von
der sie durch eine leichtsinnige Eheschließung nicht herabsinken
wollen. Derselbe Unterschied ist es, welcher verstärkt die höheren
Schichten von den niederen trennt, bis auf jene Gipfel der
menschlichen Gesellschaft, wo der ererbte Reichthum dieselbe
Rücksichtslosigkeit frühzeitiger Eheschließung zur Tugend macht,
die in den unteren Classen das proletarische Unglück ist.

Nun ist es - zumal in Deutschland - gerade in den
mittleren Schichten, welche für die Frauenfrage vorzugsweise in
Betracht kommen, so bestellt, daß eine wünschenswerthe, ja
unvermeidliche Erhöhung der Lebenshaltung auf unzureichende
Unterhaltungsmittel stößt, daß die freien Berufsarten, daß der
Staatsdienst spät und dürftig fließende Quellen gewähren für
den Mann, der eine Familie gründen will. Am härtesten,
gleichsam in concentrirter Gestalt zeigt sich dieser Widerspruch in
den Verhältnissen des Offizierstandes. Neben der allgemeinen
Tendenz nach einer Erhöhung der Lebenshaltung werden ihm
von Amts wegen Verpflichtungen auferlegt, denen nur in den
höheren und höchsten Chargen, niemals in den subalternen, die
Pflicht des Staates gegenübersteht, für standesgemäßen Unter-
halt ausreichend zu sorgen. Die Obrigkeit drückt dies mit un-
verrückbarer Deutlichkeit aus, indem sie zur Bedingung des
Eintritts in die Offizierslaufbahn einen Zuschuß zum Gehalt
aus privaten Mitteln, indem sie vollends zur Verehelichung des
subalternen Offiziers den Nachweis eines Vermögens von be-
stimmter Größe macht. Der Wohlstand ist nun etwa groß
genug im heutigen Deutschland, um der ersteren Anforderung
leidlich zu genügen; er ist keineswegs schon groß genug für die
andere Anforderung. Weil die Mehrzahl der Offiziere das für
die Familiengründung vorgeschriebene Vermögen nicht mitbringt,
muß sie es bei dem zu wählenden Mädchen suchen. Finden

gewisse Stufe der Lebenshaltung innezuhalten trachten, von
der sie durch eine leichtsinnige Eheschließung nicht herabsinken
wollen. Derselbe Unterschied ist es, welcher verstärkt die höheren
Schichten von den niederen trennt, bis auf jene Gipfel der
menschlichen Gesellschaft, wo der ererbte Reichthum dieselbe
Rücksichtslosigkeit frühzeitiger Eheschließung zur Tugend macht,
die in den unteren Classen das proletarische Unglück ist.

Nun ist es – zumal in Deutschland – gerade in den
mittleren Schichten, welche für die Frauenfrage vorzugsweise in
Betracht kommen, so bestellt, daß eine wünschenswerthe, ja
unvermeidliche Erhöhung der Lebenshaltung auf unzureichende
Unterhaltungsmittel stößt, daß die freien Berufsarten, daß der
Staatsdienst spät und dürftig fließende Quellen gewähren für
den Mann, der eine Familie gründen will. Am härtesten,
gleichsam in concentrirter Gestalt zeigt sich dieser Widerspruch in
den Verhältnissen des Offizierstandes. Neben der allgemeinen
Tendenz nach einer Erhöhung der Lebenshaltung werden ihm
von Amts wegen Verpflichtungen auferlegt, denen nur in den
höheren und höchsten Chargen, niemals in den subalternen, die
Pflicht des Staates gegenübersteht, für standesgemäßen Unter-
halt ausreichend zu sorgen. Die Obrigkeit drückt dies mit un-
verrückbarer Deutlichkeit aus, indem sie zur Bedingung des
Eintritts in die Offizierslaufbahn einen Zuschuß zum Gehalt
aus privaten Mitteln, indem sie vollends zur Verehelichung des
subalternen Offiziers den Nachweis eines Vermögens von be-
stimmter Größe macht. Der Wohlstand ist nun etwa groß
genug im heutigen Deutschland, um der ersteren Anforderung
leidlich zu genügen; er ist keineswegs schon groß genug für die
andere Anforderung. Weil die Mehrzahl der Offiziere das für
die Familiengründung vorgeschriebene Vermögen nicht mitbringt,
muß sie es bei dem zu wählenden Mädchen suchen. Finden

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[66/0082] gewisse Stufe der Lebenshaltung innezuhalten trachten, von der sie durch eine leichtsinnige Eheschließung nicht herabsinken wollen. Derselbe Unterschied ist es, welcher verstärkt die höheren Schichten von den niederen trennt, bis auf jene Gipfel der menschlichen Gesellschaft, wo der ererbte Reichthum dieselbe Rücksichtslosigkeit frühzeitiger Eheschließung zur Tugend macht, die in den unteren Classen das proletarische Unglück ist. Nun ist es – zumal in Deutschland – gerade in den mittleren Schichten, welche für die Frauenfrage vorzugsweise in Betracht kommen, so bestellt, daß eine wünschenswerthe, ja unvermeidliche Erhöhung der Lebenshaltung auf unzureichende Unterhaltungsmittel stößt, daß die freien Berufsarten, daß der Staatsdienst spät und dürftig fließende Quellen gewähren für den Mann, der eine Familie gründen will. Am härtesten, gleichsam in concentrirter Gestalt zeigt sich dieser Widerspruch in den Verhältnissen des Offizierstandes. Neben der allgemeinen Tendenz nach einer Erhöhung der Lebenshaltung werden ihm von Amts wegen Verpflichtungen auferlegt, denen nur in den höheren und höchsten Chargen, niemals in den subalternen, die Pflicht des Staates gegenübersteht, für standesgemäßen Unter- halt ausreichend zu sorgen. Die Obrigkeit drückt dies mit un- verrückbarer Deutlichkeit aus, indem sie zur Bedingung des Eintritts in die Offizierslaufbahn einen Zuschuß zum Gehalt aus privaten Mitteln, indem sie vollends zur Verehelichung des subalternen Offiziers den Nachweis eines Vermögens von be- stimmter Größe macht. Der Wohlstand ist nun etwa groß genug im heutigen Deutschland, um der ersteren Anforderung leidlich zu genügen; er ist keineswegs schon groß genug für die andere Anforderung. Weil die Mehrzahl der Offiziere das für die Familiengründung vorgeschriebene Vermögen nicht mitbringt, muß sie es bei dem zu wählenden Mädchen suchen. Finden

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/82>, abgerufen am 28.03.2024.