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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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war auch eine Petition des Berliner Vereins "Frauenwohl" ein-
gegangen. Die Commission stellte dieses Mal (gegen eine
einzige Stimme) den Antrag: über die Petitionen, soweit sie
die Errichtung eines Mädchengymnasiums und die Zulassung
zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung über-
zugehen, dagegen soweit sie die Zulassung zum medicinischen
Studium und die Erlaubniß zur Ablegung des Maturitäts-
examens an einem Gymnasium beantragen, dieselben der könig-
lichen Staatsregierung zu überweisen.

Diesen Antrag nahm die Mehrheit des Abgeordnetenhauses
in der Sitzung vom 30. März 1892 an. Der Berichterstatter
betonte das Bedürfniß nach weiblichen Frauenärzten, wies aber
ein weitergehendes Verlangen nach wissenschaftlichen Berufsarten
und Studien zurück. Der Vertreter der Regierung sagte, daß
in den Bestrebungen der Bittstellerinnen Manches anerkannt
werden müsse. Das Verlangen nach Erweiterung der Erwerbs-
fähigkeit der Frau sei bei den gegenwärtigen Verhältnissen der
bürgerlichen Gesellschaft durchaus berechtigt; er könne aber auch
versichern, daß der Unterrichtsminister sie eifrig fördere und
desgleichen seine zuständigen Räthe. Auch das könne eingeräumt
werden, daß in weiten Kreisen Frauen und Mädchen ärztliche
Hülfe in manchen Fällen lieber von einer Frau als von einem
Manne begehrten, und daß daher eine Erweiterung der dazu
nöthigen Fähigkeiten der Frauen erwünscht wäre. Falsch aber
sei der Gedanke, daß die Mädchen ihren Bildungsgang auf
ganz demselben Wege zu nehmen haben, wie die heranwachsende
männliche Jugend. Dazu befinde sich der bestehende Knaben-
unterricht heutzutage selber viel zu sehr in einem Uebergangs-
zustande, als daß man ihn zur Norm für neue Mädchenschulen
machen dürfe. Es sei also Pflicht der Unterrichtsverwaltung,
entsprechende eigenthümliche Wege für die Mädchen zu suchen;

3*

war auch eine Petition des Berliner Vereins „Frauenwohl“ ein-
gegangen. Die Commission stellte dieses Mal (gegen eine
einzige Stimme) den Antrag: über die Petitionen, soweit sie
die Errichtung eines Mädchengymnasiums und die Zulassung
zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung über-
zugehen, dagegen soweit sie die Zulassung zum medicinischen
Studium und die Erlaubniß zur Ablegung des Maturitäts-
examens an einem Gymnasium beantragen, dieselben der könig-
lichen Staatsregierung zu überweisen.

Diesen Antrag nahm die Mehrheit des Abgeordnetenhauses
in der Sitzung vom 30. März 1892 an. Der Berichterstatter
betonte das Bedürfniß nach weiblichen Frauenärzten, wies aber
ein weitergehendes Verlangen nach wissenschaftlichen Berufsarten
und Studien zurück. Der Vertreter der Regierung sagte, daß
in den Bestrebungen der Bittstellerinnen Manches anerkannt
werden müsse. Das Verlangen nach Erweiterung der Erwerbs-
fähigkeit der Frau sei bei den gegenwärtigen Verhältnissen der
bürgerlichen Gesellschaft durchaus berechtigt; er könne aber auch
versichern, daß der Unterrichtsminister sie eifrig fördere und
desgleichen seine zuständigen Räthe. Auch das könne eingeräumt
werden, daß in weiten Kreisen Frauen und Mädchen ärztliche
Hülfe in manchen Fällen lieber von einer Frau als von einem
Manne begehrten, und daß daher eine Erweiterung der dazu
nöthigen Fähigkeiten der Frauen erwünscht wäre. Falsch aber
sei der Gedanke, daß die Mädchen ihren Bildungsgang auf
ganz demselben Wege zu nehmen haben, wie die heranwachsende
männliche Jugend. Dazu befinde sich der bestehende Knaben-
unterricht heutzutage selber viel zu sehr in einem Uebergangs-
zustande, als daß man ihn zur Norm für neue Mädchenschulen
machen dürfe. Es sei also Pflicht der Unterrichtsverwaltung,
entsprechende eigenthümliche Wege für die Mädchen zu suchen;

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[35/0051] war auch eine Petition des Berliner Vereins „Frauenwohl“ ein- gegangen. Die Commission stellte dieses Mal (gegen eine einzige Stimme) den Antrag: über die Petitionen, soweit sie die Errichtung eines Mädchengymnasiums und die Zulassung zum philosophischen Studium betreffen, zur Tagesordnung über- zugehen, dagegen soweit sie die Zulassung zum medicinischen Studium und die Erlaubniß zur Ablegung des Maturitäts- examens an einem Gymnasium beantragen, dieselben der könig- lichen Staatsregierung zu überweisen. Diesen Antrag nahm die Mehrheit des Abgeordnetenhauses in der Sitzung vom 30. März 1892 an. Der Berichterstatter betonte das Bedürfniß nach weiblichen Frauenärzten, wies aber ein weitergehendes Verlangen nach wissenschaftlichen Berufsarten und Studien zurück. Der Vertreter der Regierung sagte, daß in den Bestrebungen der Bittstellerinnen Manches anerkannt werden müsse. Das Verlangen nach Erweiterung der Erwerbs- fähigkeit der Frau sei bei den gegenwärtigen Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft durchaus berechtigt; er könne aber auch versichern, daß der Unterrichtsminister sie eifrig fördere und desgleichen seine zuständigen Räthe. Auch das könne eingeräumt werden, daß in weiten Kreisen Frauen und Mädchen ärztliche Hülfe in manchen Fällen lieber von einer Frau als von einem Manne begehrten, und daß daher eine Erweiterung der dazu nöthigen Fähigkeiten der Frauen erwünscht wäre. Falsch aber sei der Gedanke, daß die Mädchen ihren Bildungsgang auf ganz demselben Wege zu nehmen haben, wie die heranwachsende männliche Jugend. Dazu befinde sich der bestehende Knaben- unterricht heutzutage selber viel zu sehr in einem Uebergangs- zustande, als daß man ihn zur Norm für neue Mädchenschulen machen dürfe. Es sei also Pflicht der Unterrichtsverwaltung, entsprechende eigenthümliche Wege für die Mädchen zu suchen; 3*

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/51>, abgerufen am 19.04.2024.