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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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bezeichnet, daß sie die staatsrechtliche Seite dieser Gleichstellung
hintangesetzt habe, verschieden von dem Auslande, von England,
den englischen Colonien, den Vereinigten Staaten von Amerika,
wo gerade auf diese Seite des Gegenstandes sich ein wesent-
licher Theil der Bewegung richtet. Wenn also an diesem
Punkte Verschiedenheit der Bestrebungen des eigenen Landes
gegenüber den anderen Ländern Weisheit ist, warum nicht auch
an jenem?

Wäre diese Consequenz richtig, so würde ihr die allgemeine
Wahrheit entsprechen, daß Entwickelungen innerhalb der euro-
päischen Völkerfamilie und ihrer gemeinsamen Cultur überhaupt
nicht anzuerkennen sind, daß eine Nutzanwendung vorausgehender
Erlebnisse und Bestrebungen des einen Volkes auf das andere
überhaupt eine Verkehrtheit ist, daß jedes Volk sein eigenes
Leben lebt und keines von dem anderen etwas zu lernen hat.
Niemand wird es heutzutage wagen, so etwas zu behaupten.
Wissenschaft und Erfahrung, ja die täglichen Erlebnisse strafen
eine solche Ansicht Lügen. Es gibt bereits so viel Gemeinsames
in den Einrichtungen des politischen und socialen Lebens der
Völker, dieses Gemeinsame ist im Laufe des neuen Zeitalters
so mächtig angewachsen, daß die Hauptsache nicht bestritten
werden kann. Streitig kann nur das Einzelne sein und die
Beweiskraft des Einzelnen in den Vorgängen des einen Landes
gegenüber dem anderen Lande. Wir haben in diesem Sinne
bestritten, daß es wünschenswerth sei, das Beispiel der englisch-
amerikanischen Bewegung für Frauenstimmrecht in Deutschland
zu befolgen, oder vielmehr die Thatsache mit Genugthuung
hervorgehoben, daß innerhalb der deutschen Frauenbewegung
(in der Begrenzung, die wir kennen) ein solches Bestreben sich
nicht geltend gemacht hat. Der Grund dafür war der, daß
trotz der unverkennbaren Bedeutung des englischen Vorbildes

bezeichnet, daß sie die staatsrechtliche Seite dieser Gleichstellung
hintangesetzt habe, verschieden von dem Auslande, von England,
den englischen Colonien, den Vereinigten Staaten von Amerika,
wo gerade auf diese Seite des Gegenstandes sich ein wesent-
licher Theil der Bewegung richtet. Wenn also an diesem
Punkte Verschiedenheit der Bestrebungen des eigenen Landes
gegenüber den anderen Ländern Weisheit ist, warum nicht auch
an jenem?

Wäre diese Consequenz richtig, so würde ihr die allgemeine
Wahrheit entsprechen, daß Entwickelungen innerhalb der euro-
päischen Völkerfamilie und ihrer gemeinsamen Cultur überhaupt
nicht anzuerkennen sind, daß eine Nutzanwendung vorausgehender
Erlebnisse und Bestrebungen des einen Volkes auf das andere
überhaupt eine Verkehrtheit ist, daß jedes Volk sein eigenes
Leben lebt und keines von dem anderen etwas zu lernen hat.
Niemand wird es heutzutage wagen, so etwas zu behaupten.
Wissenschaft und Erfahrung, ja die täglichen Erlebnisse strafen
eine solche Ansicht Lügen. Es gibt bereits so viel Gemeinsames
in den Einrichtungen des politischen und socialen Lebens der
Völker, dieses Gemeinsame ist im Laufe des neuen Zeitalters
so mächtig angewachsen, daß die Hauptsache nicht bestritten
werden kann. Streitig kann nur das Einzelne sein und die
Beweiskraft des Einzelnen in den Vorgängen des einen Landes
gegenüber dem anderen Lande. Wir haben in diesem Sinne
bestritten, daß es wünschenswerth sei, das Beispiel der englisch-
amerikanischen Bewegung für Frauenstimmrecht in Deutschland
zu befolgen, oder vielmehr die Thatsache mit Genugthuung
hervorgehoben, daß innerhalb der deutschen Frauenbewegung
(in der Begrenzung, die wir kennen) ein solches Bestreben sich
nicht geltend gemacht hat. Der Grund dafür war der, daß
trotz der unverkennbaren Bedeutung des englischen Vorbildes

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[166/0182] bezeichnet, daß sie die staatsrechtliche Seite dieser Gleichstellung hintangesetzt habe, verschieden von dem Auslande, von England, den englischen Colonien, den Vereinigten Staaten von Amerika, wo gerade auf diese Seite des Gegenstandes sich ein wesent- licher Theil der Bewegung richtet. Wenn also an diesem Punkte Verschiedenheit der Bestrebungen des eigenen Landes gegenüber den anderen Ländern Weisheit ist, warum nicht auch an jenem? Wäre diese Consequenz richtig, so würde ihr die allgemeine Wahrheit entsprechen, daß Entwickelungen innerhalb der euro- päischen Völkerfamilie und ihrer gemeinsamen Cultur überhaupt nicht anzuerkennen sind, daß eine Nutzanwendung vorausgehender Erlebnisse und Bestrebungen des einen Volkes auf das andere überhaupt eine Verkehrtheit ist, daß jedes Volk sein eigenes Leben lebt und keines von dem anderen etwas zu lernen hat. Niemand wird es heutzutage wagen, so etwas zu behaupten. Wissenschaft und Erfahrung, ja die täglichen Erlebnisse strafen eine solche Ansicht Lügen. Es gibt bereits so viel Gemeinsames in den Einrichtungen des politischen und socialen Lebens der Völker, dieses Gemeinsame ist im Laufe des neuen Zeitalters so mächtig angewachsen, daß die Hauptsache nicht bestritten werden kann. Streitig kann nur das Einzelne sein und die Beweiskraft des Einzelnen in den Vorgängen des einen Landes gegenüber dem anderen Lande. Wir haben in diesem Sinne bestritten, daß es wünschenswerth sei, das Beispiel der englisch- amerikanischen Bewegung für Frauenstimmrecht in Deutschland zu befolgen, oder vielmehr die Thatsache mit Genugthuung hervorgehoben, daß innerhalb der deutschen Frauenbewegung (in der Begrenzung, die wir kennen) ein solches Bestreben sich nicht geltend gemacht hat. Der Grund dafür war der, daß trotz der unverkennbaren Bedeutung des englischen Vorbildes

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/182>, abgerufen am 18.12.2024.