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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Minder erfreulich scheint das, was in Deutschland während
der letzten Jahrhunderte als das "gelehrte Frauenzimmer" be-
kannt und berüchtigt geworden ist - ein Seitenstück der männ-
lichen Gelahrtheit des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts*).
Wo es denn sich ereignete, daß in der Gelehrsamkeit Frau
Gottsched mit ihrem Gatten wetteiferte, oder in Greifswald
Anna Christine Balthasar, der Weltweisheit Baccalaurea, in
öffentlichem Actus sich rhetorisch präsentirte.

Einen etwas anderen Eindruck macht die Frau Dorothee
Christiane Erxleben, die Gattin des Diakonus in Quedlinburg,
welche am 12. Juni 1754 von der medicinischen Facultät der
Universität Halle zum Doctor promovirt wurde. Sie war die
Tochter eines Arztes, der ihre Jugendbildung und ihre Er-
ziehung für den ärztlichen Beruf leitete, verfaßte auch im Jahre
1742 eine größere Schrift über das gelehrte Studium der
Frauen, erhielt vom Könige den Dispens zur Promotion und
legte das mündliche Examen in lateinischer Sprache "mit einer
solchen gründlichen Genauigkeit und bescheidenen Beredtsamkeit"
ab, daß "alle Anwesenden damit vollkommen vergnügt waren".

Die neuerdings öfters hervorgezogene Promotion der Doro-
thea Schlözer zu Göttingen möchte ich, nach einem Einblick in
die Acten unserer philosophischen Facultät, nicht gar zu ernst-
haft genommen wissen. An wissenschaftlichem Ernst mag sie
vielleicht mit manchen anderen Promotionen der damaligen Zeit
sich vergleichen können, nicht aber mit dem, was jetzt - ein
Jahrhundert später - in derselben Facultät gefordert wird und
auch von weiblichen Candidaten geleistet worden ist.

Allein diese flüchtigen Andeutungen sind kein Ersatz für
eine zusammenhängende historische Darstellung des Gegen-

*) G. Steinhausen in "Nord und Süd", October 1895.

Minder erfreulich scheint das, was in Deutschland während
der letzten Jahrhunderte als das „gelehrte Frauenzimmer“ be-
kannt und berüchtigt geworden ist – ein Seitenstück der männ-
lichen Gelahrtheit des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts*).
Wo es denn sich ereignete, daß in der Gelehrsamkeit Frau
Gottsched mit ihrem Gatten wetteiferte, oder in Greifswald
Anna Christine Balthasar, der Weltweisheit Baccalaurea, in
öffentlichem Actus sich rhetorisch präsentirte.

Einen etwas anderen Eindruck macht die Frau Dorothee
Christiane Erxleben, die Gattin des Diakonus in Quedlinburg,
welche am 12. Juni 1754 von der medicinischen Facultät der
Universität Halle zum Doctor promovirt wurde. Sie war die
Tochter eines Arztes, der ihre Jugendbildung und ihre Er-
ziehung für den ärztlichen Beruf leitete, verfaßte auch im Jahre
1742 eine größere Schrift über das gelehrte Studium der
Frauen, erhielt vom Könige den Dispens zur Promotion und
legte das mündliche Examen in lateinischer Sprache „mit einer
solchen gründlichen Genauigkeit und bescheidenen Beredtsamkeit“
ab, daß „alle Anwesenden damit vollkommen vergnügt waren“.

Die neuerdings öfters hervorgezogene Promotion der Doro-
thea Schlözer zu Göttingen möchte ich, nach einem Einblick in
die Acten unserer philosophischen Facultät, nicht gar zu ernst-
haft genommen wissen. An wissenschaftlichem Ernst mag sie
vielleicht mit manchen anderen Promotionen der damaligen Zeit
sich vergleichen können, nicht aber mit dem, was jetzt – ein
Jahrhundert später – in derselben Facultät gefordert wird und
auch von weiblichen Candidaten geleistet worden ist.

Allein diese flüchtigen Andeutungen sind kein Ersatz für
eine zusammenhängende historische Darstellung des Gegen-

*) G. Steinhausen in „Nord und Süd“, October 1895.
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[164/0180] Minder erfreulich scheint das, was in Deutschland während der letzten Jahrhunderte als das „gelehrte Frauenzimmer“ be- kannt und berüchtigt geworden ist – ein Seitenstück der männ- lichen Gelahrtheit des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts *). Wo es denn sich ereignete, daß in der Gelehrsamkeit Frau Gottsched mit ihrem Gatten wetteiferte, oder in Greifswald Anna Christine Balthasar, der Weltweisheit Baccalaurea, in öffentlichem Actus sich rhetorisch präsentirte. Einen etwas anderen Eindruck macht die Frau Dorothee Christiane Erxleben, die Gattin des Diakonus in Quedlinburg, welche am 12. Juni 1754 von der medicinischen Facultät der Universität Halle zum Doctor promovirt wurde. Sie war die Tochter eines Arztes, der ihre Jugendbildung und ihre Er- ziehung für den ärztlichen Beruf leitete, verfaßte auch im Jahre 1742 eine größere Schrift über das gelehrte Studium der Frauen, erhielt vom Könige den Dispens zur Promotion und legte das mündliche Examen in lateinischer Sprache „mit einer solchen gründlichen Genauigkeit und bescheidenen Beredtsamkeit“ ab, daß „alle Anwesenden damit vollkommen vergnügt waren“. Die neuerdings öfters hervorgezogene Promotion der Doro- thea Schlözer zu Göttingen möchte ich, nach einem Einblick in die Acten unserer philosophischen Facultät, nicht gar zu ernst- haft genommen wissen. An wissenschaftlichem Ernst mag sie vielleicht mit manchen anderen Promotionen der damaligen Zeit sich vergleichen können, nicht aber mit dem, was jetzt – ein Jahrhundert später – in derselben Facultät gefordert wird und auch von weiblichen Candidaten geleistet worden ist. Allein diese flüchtigen Andeutungen sind kein Ersatz für eine zusammenhängende historische Darstellung des Gegen- *) G. Steinhausen in „Nord und Süd“, October 1895.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/180>, abgerufen am 25.04.2024.