Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

gewonnen wird zufolge der Einseitigkeit der Bildung, das kann
natürlich nicht geleugnet werden. Nur ist dies eine Erscheinung,
die nicht an dem weiblichen Geschlechte hängt; sie zeigt sich
leider in Exemplaren von hervorragender Verkrüppelung auch
bei dem männlichen Geschlechte. Und all die Merkmale der
Mißbildung, die man dem "Blaustrumpf" vorzuwerfen gewohnt
ist, finden sich bei Männern in monströsem Grade. Nur mit
dem Unterschiede, daß den Blaustrümpfen zur Entschuldigung
gereicht die Neuheit ihrer Situation, die Kampfesstellung, die
daraus folgende Verschiebung des psychischen Ebenmaßes; wäh-
rend bei den Männern sich in der Fülle vielhundertjährigen
Besitzstandes diese ungekämmten und ungewaschenen Existenzen
aufgethan haben.

Fragt man aber, wo sich solch hohe geistige Fähigkeiten,
ohne über die Schranken des Hauses hinauszudringen, ja das
Weib dem Hause zu entfremden, bethätigen können, so ist zu
antworten: vor allem in dem eigentlichsten Gebiete weiblichen
Berufes - in der Erziehung der Kinder und in der des Haus-
gesindes. Keinem Widerspruche dürfte die Behauptung be-
gegnen, daß in der Erziehung der heranwachsenden Jugend ein
Maß von weiblicher Jntelligenz und Bildung sich zu bethätigen
Gelegenheit hat, dessen Schranken nach oben schwer zu ziehen,
dessen thatsächliche Schranken in der heutigen Erfahrung desto
handgreiflicher zu finden sind. Diese größte, schwierigste, wichtigste
Berufsarbeit des Weibes - welche Zumuthungen macht sie
nicht an ihre seelischen und geistigen Kräfte? Und wie oft
haben die hier in erster Reihe sachverständigen Frauen sich
über diesen Gegenstand in solchem Sinne geäußert!

Was das Hausgesinde anlangt, so wird unseren Frauen
heutzutage ihr eigenes Theil an der socialen Frage aufgebürdet,
ob sie wollen oder nicht, in den Forderungen, welche der Zu-

Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 10

gewonnen wird zufolge der Einseitigkeit der Bildung, das kann
natürlich nicht geleugnet werden. Nur ist dies eine Erscheinung,
die nicht an dem weiblichen Geschlechte hängt; sie zeigt sich
leider in Exemplaren von hervorragender Verkrüppelung auch
bei dem männlichen Geschlechte. Und all die Merkmale der
Mißbildung, die man dem „Blaustrumpf“ vorzuwerfen gewohnt
ist, finden sich bei Männern in monströsem Grade. Nur mit
dem Unterschiede, daß den Blaustrümpfen zur Entschuldigung
gereicht die Neuheit ihrer Situation, die Kampfesstellung, die
daraus folgende Verschiebung des psychischen Ebenmaßes; wäh-
rend bei den Männern sich in der Fülle vielhundertjährigen
Besitzstandes diese ungekämmten und ungewaschenen Existenzen
aufgethan haben.

Fragt man aber, wo sich solch hohe geistige Fähigkeiten,
ohne über die Schranken des Hauses hinauszudringen, ja das
Weib dem Hause zu entfremden, bethätigen können, so ist zu
antworten: vor allem in dem eigentlichsten Gebiete weiblichen
Berufes – in der Erziehung der Kinder und in der des Haus-
gesindes. Keinem Widerspruche dürfte die Behauptung be-
gegnen, daß in der Erziehung der heranwachsenden Jugend ein
Maß von weiblicher Jntelligenz und Bildung sich zu bethätigen
Gelegenheit hat, dessen Schranken nach oben schwer zu ziehen,
dessen thatsächliche Schranken in der heutigen Erfahrung desto
handgreiflicher zu finden sind. Diese größte, schwierigste, wichtigste
Berufsarbeit des Weibes – welche Zumuthungen macht sie
nicht an ihre seelischen und geistigen Kräfte? Und wie oft
haben die hier in erster Reihe sachverständigen Frauen sich
über diesen Gegenstand in solchem Sinne geäußert!

Was das Hausgesinde anlangt, so wird unseren Frauen
heutzutage ihr eigenes Theil an der socialen Frage aufgebürdet,
ob sie wollen oder nicht, in den Forderungen, welche der Zu-

Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="145"/>
gewonnen wird zufolge der Einseitigkeit der Bildung, das kann<lb/>
natürlich nicht geleugnet werden. Nur ist dies eine Erscheinung,<lb/>
die nicht an dem weiblichen Geschlechte hängt; sie zeigt sich<lb/>
leider in Exemplaren von hervorragender Verkrüppelung auch<lb/>
bei dem männlichen Geschlechte. Und all die Merkmale der<lb/>
Mißbildung, die man dem &#x201E;Blaustrumpf&#x201C; vorzuwerfen gewohnt<lb/>
ist, finden sich bei Männern in monströsem Grade. Nur mit<lb/>
dem Unterschiede, daß den Blaustrümpfen zur Entschuldigung<lb/>
gereicht die Neuheit ihrer Situation, die Kampfesstellung, die<lb/>
daraus folgende Verschiebung des psychischen Ebenmaßes; wäh-<lb/>
rend bei den Männern sich in der Fülle vielhundertjährigen<lb/>
Besitzstandes diese ungekämmten und ungewaschenen Existenzen<lb/>
aufgethan haben.</p><lb/>
          <p>Fragt man aber, wo sich solch hohe geistige Fähigkeiten,<lb/>
ohne über die Schranken des Hauses hinauszudringen, ja das<lb/>
Weib dem Hause zu entfremden, bethätigen können, so ist zu<lb/>
antworten: vor allem in dem eigentlichsten Gebiete weiblichen<lb/>
Berufes &#x2013; in der Erziehung der Kinder und in der des Haus-<lb/>
gesindes. Keinem Widerspruche dürfte die Behauptung be-<lb/>
gegnen, daß in der Erziehung der heranwachsenden Jugend ein<lb/>
Maß von weiblicher Jntelligenz und Bildung sich zu bethätigen<lb/>
Gelegenheit hat, dessen Schranken nach oben schwer zu ziehen,<lb/>
dessen thatsächliche Schranken in der heutigen Erfahrung desto<lb/>
handgreiflicher zu finden sind. Diese größte, schwierigste, wichtigste<lb/>
Berufsarbeit des Weibes &#x2013; welche Zumuthungen macht sie<lb/>
nicht an ihre seelischen und geistigen Kräfte? Und wie oft<lb/>
haben die hier in erster Reihe sachverständigen Frauen sich<lb/>
über diesen Gegenstand in solchem Sinne geäußert!</p><lb/>
          <p>Was das Hausgesinde anlangt, so wird unseren Frauen<lb/>
heutzutage ihr eigenes Theil an der socialen Frage aufgebürdet,<lb/>
ob sie wollen oder nicht, in den Forderungen, welche der Zu-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Cohn</hi>, Die deutsche Frauenbewegung. 10</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0161] gewonnen wird zufolge der Einseitigkeit der Bildung, das kann natürlich nicht geleugnet werden. Nur ist dies eine Erscheinung, die nicht an dem weiblichen Geschlechte hängt; sie zeigt sich leider in Exemplaren von hervorragender Verkrüppelung auch bei dem männlichen Geschlechte. Und all die Merkmale der Mißbildung, die man dem „Blaustrumpf“ vorzuwerfen gewohnt ist, finden sich bei Männern in monströsem Grade. Nur mit dem Unterschiede, daß den Blaustrümpfen zur Entschuldigung gereicht die Neuheit ihrer Situation, die Kampfesstellung, die daraus folgende Verschiebung des psychischen Ebenmaßes; wäh- rend bei den Männern sich in der Fülle vielhundertjährigen Besitzstandes diese ungekämmten und ungewaschenen Existenzen aufgethan haben. Fragt man aber, wo sich solch hohe geistige Fähigkeiten, ohne über die Schranken des Hauses hinauszudringen, ja das Weib dem Hause zu entfremden, bethätigen können, so ist zu antworten: vor allem in dem eigentlichsten Gebiete weiblichen Berufes – in der Erziehung der Kinder und in der des Haus- gesindes. Keinem Widerspruche dürfte die Behauptung be- gegnen, daß in der Erziehung der heranwachsenden Jugend ein Maß von weiblicher Jntelligenz und Bildung sich zu bethätigen Gelegenheit hat, dessen Schranken nach oben schwer zu ziehen, dessen thatsächliche Schranken in der heutigen Erfahrung desto handgreiflicher zu finden sind. Diese größte, schwierigste, wichtigste Berufsarbeit des Weibes – welche Zumuthungen macht sie nicht an ihre seelischen und geistigen Kräfte? Und wie oft haben die hier in erster Reihe sachverständigen Frauen sich über diesen Gegenstand in solchem Sinne geäußert! Was das Hausgesinde anlangt, so wird unseren Frauen heutzutage ihr eigenes Theil an der socialen Frage aufgebürdet, ob sie wollen oder nicht, in den Forderungen, welche der Zu- Cohn, Die deutsche Frauenbewegung. 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-02-18T15:54:56Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/161
Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/161>, abgerufen am 19.04.2024.