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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Jawohl, wenn man nur kochen könnte! Gewiß, das Kochen
ist eine große Angelegenheit. Treffend und schön sagt Ruskin
in seinen "Ethics of the Dust": "Was will das Kochen be-
deuten? Es bedeutet das Wissen der Medea und der Circe
und der Calypso und der Helena und der Rebekka und der
Königin von Saba. Es bedeutet Kenntniß aller Kräuter und
Früchte und Salben und Gewürze und alles dessen, was heil-
sam und lieblich in Feldern und Wäldern und schmackhaft zu
essen ist; es bedeutet Sorgsamkeit und Findigkeit und Wachsam-
keit; es bedeutet die Erfahrung Eurer Urgroßmutter und die
Wissenschaft des modernen Chemikers; es bedeutet viel Ver-
suchen und kein Vergeuden; es bedeutet englische Gediegenheit,
französischen Geschmack und arabische Gastfreundlichkeit." Und
was hier der englische Kunstkritiker vom Kochen sagt, es gilt
ebenso von den anderen häuslichen Pflichten des Weibes. Ein
hohes Maß von Jntelligenz und Bildung findet seinen Spiel-
raum in diesen Pflichten, und sie können auf sehr verschiedene
Art erfüllt werden, je nachdem man die Fähigkeiten dazu von
der Natur erhalten und geschult hat. Aber eben weil dem so
ist, besteht ein Widerspruch nicht, wie er beliebtermaßen be-
hauptet wird, und tausend Erfahrungen beweisen tagtäglich,
daß ein heller Kopf männlichen oder weiblichen Geschlechts in
allen Dingen ein besserer Führer ist, als ein bornirter. Zahl-
lose Beobachtungen des täglichen Lebens zeigen uns, daß in
dem Worte Hegel's, der Gebildete sei Derjenige, welcher Alles
kann, eine tiefe Wahrheit steckt - wie denn der gebildete
Mensch der endlosen Unzulänglichkeit unserer Handwerker nur
kurze Zeit mit wachsamem Auge zu folgen braucht, um den
Mängeln ihrer langjährigen Kunst ein Lehrer zu sein.

Daß es an Fällen nicht fehlt, in denen die richtige Har-
monie der Persönlichkeit verloren geht oder vielmehr niemals

Jawohl, wenn man nur kochen könnte! Gewiß, das Kochen
ist eine große Angelegenheit. Treffend und schön sagt Ruskin
in seinen „Ethics of the Dust“: „Was will das Kochen be-
deuten? Es bedeutet das Wissen der Medea und der Circe
und der Calypso und der Helena und der Rebekka und der
Königin von Saba. Es bedeutet Kenntniß aller Kräuter und
Früchte und Salben und Gewürze und alles dessen, was heil-
sam und lieblich in Feldern und Wäldern und schmackhaft zu
essen ist; es bedeutet Sorgsamkeit und Findigkeit und Wachsam-
keit; es bedeutet die Erfahrung Eurer Urgroßmutter und die
Wissenschaft des modernen Chemikers; es bedeutet viel Ver-
suchen und kein Vergeuden; es bedeutet englische Gediegenheit,
französischen Geschmack und arabische Gastfreundlichkeit.“ Und
was hier der englische Kunstkritiker vom Kochen sagt, es gilt
ebenso von den anderen häuslichen Pflichten des Weibes. Ein
hohes Maß von Jntelligenz und Bildung findet seinen Spiel-
raum in diesen Pflichten, und sie können auf sehr verschiedene
Art erfüllt werden, je nachdem man die Fähigkeiten dazu von
der Natur erhalten und geschult hat. Aber eben weil dem so
ist, besteht ein Widerspruch nicht, wie er beliebtermaßen be-
hauptet wird, und tausend Erfahrungen beweisen tagtäglich,
daß ein heller Kopf männlichen oder weiblichen Geschlechts in
allen Dingen ein besserer Führer ist, als ein bornirter. Zahl-
lose Beobachtungen des täglichen Lebens zeigen uns, daß in
dem Worte Hegel's, der Gebildete sei Derjenige, welcher Alles
kann, eine tiefe Wahrheit steckt – wie denn der gebildete
Mensch der endlosen Unzulänglichkeit unserer Handwerker nur
kurze Zeit mit wachsamem Auge zu folgen braucht, um den
Mängeln ihrer langjährigen Kunst ein Lehrer zu sein.

Daß es an Fällen nicht fehlt, in denen die richtige Har-
monie der Persönlichkeit verloren geht oder vielmehr niemals

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[144/0160] Jawohl, wenn man nur kochen könnte! Gewiß, das Kochen ist eine große Angelegenheit. Treffend und schön sagt Ruskin in seinen „Ethics of the Dust“: „Was will das Kochen be- deuten? Es bedeutet das Wissen der Medea und der Circe und der Calypso und der Helena und der Rebekka und der Königin von Saba. Es bedeutet Kenntniß aller Kräuter und Früchte und Salben und Gewürze und alles dessen, was heil- sam und lieblich in Feldern und Wäldern und schmackhaft zu essen ist; es bedeutet Sorgsamkeit und Findigkeit und Wachsam- keit; es bedeutet die Erfahrung Eurer Urgroßmutter und die Wissenschaft des modernen Chemikers; es bedeutet viel Ver- suchen und kein Vergeuden; es bedeutet englische Gediegenheit, französischen Geschmack und arabische Gastfreundlichkeit.“ Und was hier der englische Kunstkritiker vom Kochen sagt, es gilt ebenso von den anderen häuslichen Pflichten des Weibes. Ein hohes Maß von Jntelligenz und Bildung findet seinen Spiel- raum in diesen Pflichten, und sie können auf sehr verschiedene Art erfüllt werden, je nachdem man die Fähigkeiten dazu von der Natur erhalten und geschult hat. Aber eben weil dem so ist, besteht ein Widerspruch nicht, wie er beliebtermaßen be- hauptet wird, und tausend Erfahrungen beweisen tagtäglich, daß ein heller Kopf männlichen oder weiblichen Geschlechts in allen Dingen ein besserer Führer ist, als ein bornirter. Zahl- lose Beobachtungen des täglichen Lebens zeigen uns, daß in dem Worte Hegel's, der Gebildete sei Derjenige, welcher Alles kann, eine tiefe Wahrheit steckt – wie denn der gebildete Mensch der endlosen Unzulänglichkeit unserer Handwerker nur kurze Zeit mit wachsamem Auge zu folgen braucht, um den Mängeln ihrer langjährigen Kunst ein Lehrer zu sein. Daß es an Fällen nicht fehlt, in denen die richtige Har- monie der Persönlichkeit verloren geht oder vielmehr niemals

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/160>, abgerufen am 28.03.2024.