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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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ihrem Tode an seine Freundin: "Sie war an Geisteskräften
gewiß eine der vorzüglichsten Frauen ihrer Zeit; sie wußte auch
sehr viel, hatte unendlich viel gelesen und besaß einen sehr
hohen Grad von intellectueller Bildung. Allein das alles
wurde überstrahlt durch die inneren angeborenen Geisteskräfte
und durch die Fülle einer reichen, schöpferischen Phantasie.
Dabei hatte sie mit ihren Kindern, wie sie noch klein waren,
die liebenswürdigste weibliche Einfachheit... Bis an ihr Ende
hat sie mit rastloser Anstrengung gearbeitet." Und diese Arbeit,
fügt ihr Biograph hinzu, war keineswegs bloß die Schrift-
stellerei, sondern sie nähte, was nur im Hause zu nähen war,
sie machte Betten und bügelte; ja gelegentlich erfahren wir
auch, daß sie am Waschtrog gestanden. Sie bezeugt oft, daß
ihr diese Arbeiten mehr Freude machten, als das Bücher-
schreiben. Sie unterrichtete ihre Kinder, pflegte Kranke, zu-
mal arme.

Dieses in unsere classische Literatur hineinragende Beispiel
besitzt typische Wahrheit für viele andere, die am Wege wachsen!
Freilich kann es gegen den Ernst und die Tiefe der neuen
Bestrebungen für eine ganz andere Fundamentirung der weib-
lichen Bildung keine Waffe geben, die der Beschränktheit vor
dem mächtigen Forum der Beschränkten so hülfreiche Dienste
leistet, wie die Fabel von dem inneren Gegensatze derjenigen
Fähigkeiten, welche die eminent weiblichen sind und bleiben
sollen, zu einer höheren Entwickelung geistiger Fähigkeiten des
Weibes. Beliebte Beispiele von gelehrten Frauen, Blau-
strümpfen u. s. w. stehen zur Verfügung. Welch ein niemals
auszuschöpfender Trost für die Armen am Geiste! Welch eine
Stütze für die Weltanschauung der heranreifenden Zöglinge der
höheren Töchterschule, die darauf gebaut ist, daß man nichts
zu lernen brauche, wenn man nur gut kochen könne!

ihrem Tode an seine Freundin: „Sie war an Geisteskräften
gewiß eine der vorzüglichsten Frauen ihrer Zeit; sie wußte auch
sehr viel, hatte unendlich viel gelesen und besaß einen sehr
hohen Grad von intellectueller Bildung. Allein das alles
wurde überstrahlt durch die inneren angeborenen Geisteskräfte
und durch die Fülle einer reichen, schöpferischen Phantasie.
Dabei hatte sie mit ihren Kindern, wie sie noch klein waren,
die liebenswürdigste weibliche Einfachheit… Bis an ihr Ende
hat sie mit rastloser Anstrengung gearbeitet.“ Und diese Arbeit,
fügt ihr Biograph hinzu, war keineswegs bloß die Schrift-
stellerei, sondern sie nähte, was nur im Hause zu nähen war,
sie machte Betten und bügelte; ja gelegentlich erfahren wir
auch, daß sie am Waschtrog gestanden. Sie bezeugt oft, daß
ihr diese Arbeiten mehr Freude machten, als das Bücher-
schreiben. Sie unterrichtete ihre Kinder, pflegte Kranke, zu-
mal arme.

Dieses in unsere classische Literatur hineinragende Beispiel
besitzt typische Wahrheit für viele andere, die am Wege wachsen!
Freilich kann es gegen den Ernst und die Tiefe der neuen
Bestrebungen für eine ganz andere Fundamentirung der weib-
lichen Bildung keine Waffe geben, die der Beschränktheit vor
dem mächtigen Forum der Beschränkten so hülfreiche Dienste
leistet, wie die Fabel von dem inneren Gegensatze derjenigen
Fähigkeiten, welche die eminent weiblichen sind und bleiben
sollen, zu einer höheren Entwickelung geistiger Fähigkeiten des
Weibes. Beliebte Beispiele von gelehrten Frauen, Blau-
strümpfen u. s. w. stehen zur Verfügung. Welch ein niemals
auszuschöpfender Trost für die Armen am Geiste! Welch eine
Stütze für die Weltanschauung der heranreifenden Zöglinge der
höheren Töchterschule, die darauf gebaut ist, daß man nichts
zu lernen brauche, wenn man nur gut kochen könne!

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[143/0159] ihrem Tode an seine Freundin: „Sie war an Geisteskräften gewiß eine der vorzüglichsten Frauen ihrer Zeit; sie wußte auch sehr viel, hatte unendlich viel gelesen und besaß einen sehr hohen Grad von intellectueller Bildung. Allein das alles wurde überstrahlt durch die inneren angeborenen Geisteskräfte und durch die Fülle einer reichen, schöpferischen Phantasie. Dabei hatte sie mit ihren Kindern, wie sie noch klein waren, die liebenswürdigste weibliche Einfachheit… Bis an ihr Ende hat sie mit rastloser Anstrengung gearbeitet.“ Und diese Arbeit, fügt ihr Biograph hinzu, war keineswegs bloß die Schrift- stellerei, sondern sie nähte, was nur im Hause zu nähen war, sie machte Betten und bügelte; ja gelegentlich erfahren wir auch, daß sie am Waschtrog gestanden. Sie bezeugt oft, daß ihr diese Arbeiten mehr Freude machten, als das Bücher- schreiben. Sie unterrichtete ihre Kinder, pflegte Kranke, zu- mal arme. Dieses in unsere classische Literatur hineinragende Beispiel besitzt typische Wahrheit für viele andere, die am Wege wachsen! Freilich kann es gegen den Ernst und die Tiefe der neuen Bestrebungen für eine ganz andere Fundamentirung der weib- lichen Bildung keine Waffe geben, die der Beschränktheit vor dem mächtigen Forum der Beschränkten so hülfreiche Dienste leistet, wie die Fabel von dem inneren Gegensatze derjenigen Fähigkeiten, welche die eminent weiblichen sind und bleiben sollen, zu einer höheren Entwickelung geistiger Fähigkeiten des Weibes. Beliebte Beispiele von gelehrten Frauen, Blau- strümpfen u. s. w. stehen zur Verfügung. Welch ein niemals auszuschöpfender Trost für die Armen am Geiste! Welch eine Stütze für die Weltanschauung der heranreifenden Zöglinge der höheren Töchterschule, die darauf gebaut ist, daß man nichts zu lernen brauche, wenn man nur gut kochen könne!

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/159>, abgerufen am 16.04.2024.