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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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keit von Volk zu Volk sichtbar werden lassen - innerhalb
dieser Gemeinschaft gibt es wichtige Verschiedenheiten, welche
die Folge der eigenthümlichen Erlebnisse jedes Volkes, seiner
besonderen Beschaffenheit, seiner Schicksale in Krieg und Frieden,
des Tempos seiner staatlichen und wirthschaftlichen Entwickelung
sind. Wenn wir Deutschland etwa mit England vergleichen,
so finden wir neben dem vielen Gleichartigen, das zumal in der
neuesten Zeit hervortritt, einen wesentlichen Unterschied zwischen
beiden. Die Muster des englischen Staatslebens und der
englischen Volkswirthschaft, die so großen Einfluß auf Deutsch-
land, auf ganz Europa und darüber hinaus geübt haben, be-
deuten, daß England vorausgegangen ist, daß die anderen
Völker gefolgt sind. Dieser Abstand der Entwickelungsstufen
ist ein hauptsächlicher Grund der Verschiedenheit. Wie für
andere Reformen, so auch für diejenigen, welche die Frauen-
bewegung anstrebt.

Dies zeigt sich darin, daß die politische Seite derselben,
die in England, in Amerika, in den englischen Colonien eine
so große Rolle spielt, für Deutschland völlig in den Hinter-
grund tritt. Jn England hat die Erweiterung der Theilnahme
am öffentlichen Leben durch die verfassungsmäßigen Mittel der
Stimmrechte in Staat und Gemeinde sich in langsamem Fort-
schritte Bahn gebrochen, indem das wachsende Recht des Volkes
seiner wachsenden Fähigkeit zu dieser Theilnahme gefolgt ist.
Es entspricht diesen Voraussetzungen und den im Ganzen
günstigen Erfahrungen, die man gemacht hat, daß fernere
Fortschritte versucht werden, vermöge deren das öffentliche Recht
über die Schranken des männlichen Geschlechts hinaus erweitert
wird.*) Die mit diesen Versuchen im Einzelnen erreichten Er-

*) Es bestehen für die Erlangung des Frauenstimmrechts in Groß-

keit von Volk zu Volk sichtbar werden lassen – innerhalb
dieser Gemeinschaft gibt es wichtige Verschiedenheiten, welche
die Folge der eigenthümlichen Erlebnisse jedes Volkes, seiner
besonderen Beschaffenheit, seiner Schicksale in Krieg und Frieden,
des Tempos seiner staatlichen und wirthschaftlichen Entwickelung
sind. Wenn wir Deutschland etwa mit England vergleichen,
so finden wir neben dem vielen Gleichartigen, das zumal in der
neuesten Zeit hervortritt, einen wesentlichen Unterschied zwischen
beiden. Die Muster des englischen Staatslebens und der
englischen Volkswirthschaft, die so großen Einfluß auf Deutsch-
land, auf ganz Europa und darüber hinaus geübt haben, be-
deuten, daß England vorausgegangen ist, daß die anderen
Völker gefolgt sind. Dieser Abstand der Entwickelungsstufen
ist ein hauptsächlicher Grund der Verschiedenheit. Wie für
andere Reformen, so auch für diejenigen, welche die Frauen-
bewegung anstrebt.

Dies zeigt sich darin, daß die politische Seite derselben,
die in England, in Amerika, in den englischen Colonien eine
so große Rolle spielt, für Deutschland völlig in den Hinter-
grund tritt. Jn England hat die Erweiterung der Theilnahme
am öffentlichen Leben durch die verfassungsmäßigen Mittel der
Stimmrechte in Staat und Gemeinde sich in langsamem Fort-
schritte Bahn gebrochen, indem das wachsende Recht des Volkes
seiner wachsenden Fähigkeit zu dieser Theilnahme gefolgt ist.
Es entspricht diesen Voraussetzungen und den im Ganzen
günstigen Erfahrungen, die man gemacht hat, daß fernere
Fortschritte versucht werden, vermöge deren das öffentliche Recht
über die Schranken des männlichen Geschlechts hinaus erweitert
wird.*) Die mit diesen Versuchen im Einzelnen erreichten Er-

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[107/0123] keit von Volk zu Volk sichtbar werden lassen – innerhalb dieser Gemeinschaft gibt es wichtige Verschiedenheiten, welche die Folge der eigenthümlichen Erlebnisse jedes Volkes, seiner besonderen Beschaffenheit, seiner Schicksale in Krieg und Frieden, des Tempos seiner staatlichen und wirthschaftlichen Entwickelung sind. Wenn wir Deutschland etwa mit England vergleichen, so finden wir neben dem vielen Gleichartigen, das zumal in der neuesten Zeit hervortritt, einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden. Die Muster des englischen Staatslebens und der englischen Volkswirthschaft, die so großen Einfluß auf Deutsch- land, auf ganz Europa und darüber hinaus geübt haben, be- deuten, daß England vorausgegangen ist, daß die anderen Völker gefolgt sind. Dieser Abstand der Entwickelungsstufen ist ein hauptsächlicher Grund der Verschiedenheit. Wie für andere Reformen, so auch für diejenigen, welche die Frauen- bewegung anstrebt. Dies zeigt sich darin, daß die politische Seite derselben, die in England, in Amerika, in den englischen Colonien eine so große Rolle spielt, für Deutschland völlig in den Hinter- grund tritt. Jn England hat die Erweiterung der Theilnahme am öffentlichen Leben durch die verfassungsmäßigen Mittel der Stimmrechte in Staat und Gemeinde sich in langsamem Fort- schritte Bahn gebrochen, indem das wachsende Recht des Volkes seiner wachsenden Fähigkeit zu dieser Theilnahme gefolgt ist. Es entspricht diesen Voraussetzungen und den im Ganzen günstigen Erfahrungen, die man gemacht hat, daß fernere Fortschritte versucht werden, vermöge deren das öffentliche Recht über die Schranken des männlichen Geschlechts hinaus erweitert wird. *) Die mit diesen Versuchen im Einzelnen erreichten Er- *) Es bestehen für die Erlangung des Frauenstimmrechts in Groß-

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/123>, abgerufen am 29.03.2024.