anderen Geschlechte nicht entgegenstehen. Neben der Gestaltung des Eherechts, welches in England, zum Theil auch in anderen Ländern, bekannte Härten besitzt, erörtert Mill namentlich den Anspruch und die Befähigung des weiblichen Geschlechts für die Gleichstellung in den Berufsarten des Lebens.
Er verwirft die Berufung auf die bisherige Erfahrung, durch die man die gegenwärtige Stellung der Frauen zu recht- fertigen sucht. Die Erfahrung könne für sich nicht entschieden haben zwischen zwei Wegen, von denen der eine bisher allein betreten worden sei. Aus der bisherigen Erfahrung könne man nur den bindenden Schluß ziehen, daß die Menschheit unter der bestehenden Einrichtung hat leben und das erreichen können, was sie erreicht hat; keine Erfahrung sei vorhanden über die weitere Frage, ob das Erreichte größer oder ebenso groß ist, wie das, was man auf dem anderen Wege hätte erreichen können. Jndessen dafür spreche die Erfahrung, daß mit jedem Fortschritt in der menschlichen Entwickelung die sociale Stellung des weiblichen Geschlechts erhöht worden ist.
Er verwirft die Berufung auf die "Natur" der beiden Geschlechter, welche das Bestehende rechtfertigen soll. Was man heute Natur des Weibes nennt, sei ein höchst künstliches Ding sehr zusammengesetzter Art, ein historisches Product von Jahrtausenden, und zwar herbeigeführt auf jenem einseitigen Wege, den man bis zur Stunde noch festhalte. Von den natür- lichen Gaben des Weibes und des Menschen überhaupt werde man dann erst mit wissenschaftlicher Sicherheit reden dürfen, wenn man die bisher kaum begonnenen Untersuchungen über die psychologischen Gesetze der Charakterbildung vollendet hat. Am wenigsten sollten Engländer, meint Mill, zu behaupten sich unterfangen, was natürlich und was nicht natürlich ist. Nirgends in der Welt zeige die menschliche Natur so wenig
anderen Geschlechte nicht entgegenstehen. Neben der Gestaltung des Eherechts, welches in England, zum Theil auch in anderen Ländern, bekannte Härten besitzt, erörtert Mill namentlich den Anspruch und die Befähigung des weiblichen Geschlechts für die Gleichstellung in den Berufsarten des Lebens.
Er verwirft die Berufung auf die bisherige Erfahrung, durch die man die gegenwärtige Stellung der Frauen zu recht- fertigen sucht. Die Erfahrung könne für sich nicht entschieden haben zwischen zwei Wegen, von denen der eine bisher allein betreten worden sei. Aus der bisherigen Erfahrung könne man nur den bindenden Schluß ziehen, daß die Menschheit unter der bestehenden Einrichtung hat leben und das erreichen können, was sie erreicht hat; keine Erfahrung sei vorhanden über die weitere Frage, ob das Erreichte größer oder ebenso groß ist, wie das, was man auf dem anderen Wege hätte erreichen können. Jndessen dafür spreche die Erfahrung, daß mit jedem Fortschritt in der menschlichen Entwickelung die sociale Stellung des weiblichen Geschlechts erhöht worden ist.
Er verwirft die Berufung auf die „Natur“ der beiden Geschlechter, welche das Bestehende rechtfertigen soll. Was man heute Natur des Weibes nennt, sei ein höchst künstliches Ding sehr zusammengesetzter Art, ein historisches Product von Jahrtausenden, und zwar herbeigeführt auf jenem einseitigen Wege, den man bis zur Stunde noch festhalte. Von den natür- lichen Gaben des Weibes und des Menschen überhaupt werde man dann erst mit wissenschaftlicher Sicherheit reden dürfen, wenn man die bisher kaum begonnenen Untersuchungen über die psychologischen Gesetze der Charakterbildung vollendet hat. Am wenigsten sollten Engländer, meint Mill, zu behaupten sich unterfangen, was natürlich und was nicht natürlich ist. Nirgends in der Welt zeige die menschliche Natur so wenig
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anderen Geschlechte nicht entgegenstehen. Neben der Gestaltung
des Eherechts, welches in England, zum Theil auch in anderen
Ländern, bekannte Härten besitzt, erörtert Mill namentlich den
Anspruch und die Befähigung des weiblichen Geschlechts für
die Gleichstellung in den Berufsarten des Lebens.
Er verwirft die Berufung auf die bisherige Erfahrung,
durch die man die gegenwärtige Stellung der Frauen zu recht-
fertigen sucht. Die Erfahrung könne für sich nicht entschieden
haben zwischen zwei Wegen, von denen der eine bisher allein
betreten worden sei. Aus der bisherigen Erfahrung könne man
nur den bindenden Schluß ziehen, daß die Menschheit unter
der bestehenden Einrichtung hat leben und das erreichen können,
was sie erreicht hat; keine Erfahrung sei vorhanden über die
weitere Frage, ob das Erreichte größer oder ebenso groß ist,
wie das, was man auf dem anderen Wege hätte erreichen
können. Jndessen dafür spreche die Erfahrung, daß mit jedem
Fortschritt in der menschlichen Entwickelung die sociale Stellung
des weiblichen Geschlechts erhöht worden ist.
Er verwirft die Berufung auf die „Natur“ der beiden
Geschlechter, welche das Bestehende rechtfertigen soll. Was
man heute Natur des Weibes nennt, sei ein höchst künstliches
Ding sehr zusammengesetzter Art, ein historisches Product von
Jahrtausenden, und zwar herbeigeführt auf jenem einseitigen
Wege, den man bis zur Stunde noch festhalte. Von den natür-
lichen Gaben des Weibes und des Menschen überhaupt werde
man dann erst mit wissenschaftlicher Sicherheit reden dürfen,
wenn man die bisher kaum begonnenen Untersuchungen über
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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/116>, abgerufen am 16.02.2025.
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