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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern regelt, die gesetz-
liche Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere, in
sich selbst falsch und gegenwärtig eines der Haupthindernisse
für den menschlichen Fortschritt sei, und daß es durch ein Princip
vollkommener Gleichheit ersetzt werden müsse, welches kein Vor-
recht auf der einen Seite, keine rechtliche Unfähigkeit auf der
anderen zulasse. Mill hatte bereits in seinen älteren Werken,
so in seinen Grundsätzen der politischen Oekonomie, in den
Betrachtungen über die Repräsentativregierung, in dem (seiner
Gattin gewidmeten) Büchlein "über die Freiheit" sich leiden-
schaftlich für die volle Gleichstellung der Frauen ausgesprochen.
Jm Jahre 1851 hatte Mill's Gattin in der "Westminster
Review
" einen Aufsatz für das Frauenstimmrecht veröffent-
licht - jene Gattin, von der Mill nach ihrem Tode sagte,
Alles, was er seit vielen Jahren geschrieben habe, gehöre ihr
ebenso sehr, wie ihm selber.

Nach Mill ist die sociale Unterordnung des weiblichen Ge-
schlechts eine isolirte Erscheinung inmitten der modernen gesell-
schaftlichen Einrichtungen, ein vereinsamter Bruch ihres funda-
mentalen Gesetzes, ein vereinzelter Rest aus einer alten Welt
des Denkens und Handelns. Der Hauptgegensatz der modernen
Welt gegen die vergangene, des neunzehnten Jahrhunderts gegen
alle früheren besteht nach ihm darin: daß die Menschen ferner
nicht mehr durch ihre Geburt auf den Platz gestellt werden,
welchen sie im Leben einnehmen sollen, sondern frei sind, ihre
Fähigkeiten zu bethätigen und alle Gelegenheiten zu benutzen,
um dasjenige Loos zu erreichen, welches ihnen am wünschens-
werthesten erscheint. Davon macht die rechtliche Stellung des
weiblichen Geschlechts eine schreiende Ausnahme: die Frauen
werden durch die alleinige Thatsache ihrer Geburt einer Anzahl
von Beschränkungen und Verkürzungen unterworfen, die dem

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Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern regelt, die gesetz-
liche Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere, in
sich selbst falsch und gegenwärtig eines der Haupthindernisse
für den menschlichen Fortschritt sei, und daß es durch ein Princip
vollkommener Gleichheit ersetzt werden müsse, welches kein Vor-
recht auf der einen Seite, keine rechtliche Unfähigkeit auf der
anderen zulasse. Mill hatte bereits in seinen älteren Werken,
so in seinen Grundsätzen der politischen Oekonomie, in den
Betrachtungen über die Repräsentativregierung, in dem (seiner
Gattin gewidmeten) Büchlein „über die Freiheit“ sich leiden-
schaftlich für die volle Gleichstellung der Frauen ausgesprochen.
Jm Jahre 1851 hatte Mill's Gattin in der „Westminster
Review
“ einen Aufsatz für das Frauenstimmrecht veröffent-
licht – jene Gattin, von der Mill nach ihrem Tode sagte,
Alles, was er seit vielen Jahren geschrieben habe, gehöre ihr
ebenso sehr, wie ihm selber.

Nach Mill ist die sociale Unterordnung des weiblichen Ge-
schlechts eine isolirte Erscheinung inmitten der modernen gesell-
schaftlichen Einrichtungen, ein vereinsamter Bruch ihres funda-
mentalen Gesetzes, ein vereinzelter Rest aus einer alten Welt
des Denkens und Handelns. Der Hauptgegensatz der modernen
Welt gegen die vergangene, des neunzehnten Jahrhunderts gegen
alle früheren besteht nach ihm darin: daß die Menschen ferner
nicht mehr durch ihre Geburt auf den Platz gestellt werden,
welchen sie im Leben einnehmen sollen, sondern frei sind, ihre
Fähigkeiten zu bethätigen und alle Gelegenheiten zu benutzen,
um dasjenige Loos zu erreichen, welches ihnen am wünschens-
werthesten erscheint. Davon macht die rechtliche Stellung des
weiblichen Geschlechts eine schreiende Ausnahme: die Frauen
werden durch die alleinige Thatsache ihrer Geburt einer Anzahl
von Beschränkungen und Verkürzungen unterworfen, die dem

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[99/0115] Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern regelt, die gesetz- liche Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere, in sich selbst falsch und gegenwärtig eines der Haupthindernisse für den menschlichen Fortschritt sei, und daß es durch ein Princip vollkommener Gleichheit ersetzt werden müsse, welches kein Vor- recht auf der einen Seite, keine rechtliche Unfähigkeit auf der anderen zulasse. Mill hatte bereits in seinen älteren Werken, so in seinen Grundsätzen der politischen Oekonomie, in den Betrachtungen über die Repräsentativregierung, in dem (seiner Gattin gewidmeten) Büchlein „über die Freiheit“ sich leiden- schaftlich für die volle Gleichstellung der Frauen ausgesprochen. Jm Jahre 1851 hatte Mill's Gattin in der „Westminster Review“ einen Aufsatz für das Frauenstimmrecht veröffent- licht – jene Gattin, von der Mill nach ihrem Tode sagte, Alles, was er seit vielen Jahren geschrieben habe, gehöre ihr ebenso sehr, wie ihm selber. Nach Mill ist die sociale Unterordnung des weiblichen Ge- schlechts eine isolirte Erscheinung inmitten der modernen gesell- schaftlichen Einrichtungen, ein vereinsamter Bruch ihres funda- mentalen Gesetzes, ein vereinzelter Rest aus einer alten Welt des Denkens und Handelns. Der Hauptgegensatz der modernen Welt gegen die vergangene, des neunzehnten Jahrhunderts gegen alle früheren besteht nach ihm darin: daß die Menschen ferner nicht mehr durch ihre Geburt auf den Platz gestellt werden, welchen sie im Leben einnehmen sollen, sondern frei sind, ihre Fähigkeiten zu bethätigen und alle Gelegenheiten zu benutzen, um dasjenige Loos zu erreichen, welches ihnen am wünschens- werthesten erscheint. Davon macht die rechtliche Stellung des weiblichen Geschlechts eine schreiende Ausnahme: die Frauen werden durch die alleinige Thatsache ihrer Geburt einer Anzahl von Beschränkungen und Verkürzungen unterworfen, die dem 7*

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/115>, abgerufen am 21.11.2024.