p2c_757.001 tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre. p2c_757.002 Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu p2c_757.003 den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre p2c_757.004 Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand,p2c_757.005 als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt p2c_757.006 die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf p2c_757.007 die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den p2c_757.008 allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches p2c_757.009 sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie p2c_757.010 in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichenp2c_757.011 Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit, p2c_757.012 so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen p2c_757.013 brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der p2c_757.014 Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter, p2c_757.015 der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste p2c_757.016 erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt, p2c_757.017 das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle. p2c_757.018 Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die p2c_757.019 Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles p2c_757.020 du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen? p2c_757.021 Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die p2c_757.022 Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen p2c_757.023 Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach p2c_757.024 Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen p2c_757.025 sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im p2c_757.026 Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem p2c_757.027 Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln p2c_757.028 zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen=
p2c_757.001 tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre. p2c_757.002 Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu p2c_757.003 den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre p2c_757.004 Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand,p2c_757.005 als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt p2c_757.006 die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf p2c_757.007 die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den p2c_757.008 allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches p2c_757.009 sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie p2c_757.010 in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichenp2c_757.011 Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit, p2c_757.012 so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen p2c_757.013 brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der p2c_757.014 Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter, p2c_757.015 der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste p2c_757.016 erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt, p2c_757.017 das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle. p2c_757.018 Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die p2c_757.019 Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles p2c_757.020 du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen? p2c_757.021 Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die p2c_757.022 Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen p2c_757.023 Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach p2c_757.024 Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen p2c_757.025 sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im p2c_757.026 Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem p2c_757.027 Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln p2c_757.028 zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen=
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik02_1804/281>, abgerufen am 16.02.2025.
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