Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_730.001 p2c_730.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0254" n="730"/><lb n="p2c_730.001"/> da es ein darstellendes Gedicht ist. Wir haben daher lieber <lb n="p2c_730.002"/> gesagt, es enthalte ein <hi rendition="#g">künstliches Gedankenspiel.</hi> <lb n="p2c_730.003"/> Dies muß bey allen auch ernsthaften Epigrammen seyn. <lb n="p2c_730.004"/> Z. B. Leser, steh, erbarm dich dieses Falles, Außer Gott, <lb n="p2c_730.005"/> war in der Welt, was hier liegt, mir <hi rendition="#g">Alles.</hi> ─ Die <lb n="p2c_730.006"/> Aufschrift auf dem Tempel der <hi rendition="#g">Jsis,</hi> die Grabschrift der <lb n="p2c_730.007"/> Lacedämonier bey Thermopylä so einfach erhaben sie sind, <lb n="p2c_730.008"/> so ist doch die Wendung <hi rendition="#g">künstlich,</hi> rasch und <hi rendition="#g">unvermuthet.</hi> <lb n="p2c_730.009"/> Der <hi rendition="#g">Verstand</hi> findet seine Operationen mit <lb n="p2c_730.010"/> Begriffen unter der Form der Schönheit dargestellt. Der <lb n="p2c_730.011"/> <hi rendition="#g">Plan</hi> des Epigramms muß also künstlich seyn. Der Verstand <lb n="p2c_730.012"/> soll interessirt werden durch ein Gedankenspiel. Hierzu <lb n="p2c_730.013"/> gehört eine gespannte Erwartung, die immer steigt, wie <lb n="p2c_730.014"/> sich gewisse Begriffe verbinden lassen, wie sich irgend ein <lb n="p2c_730.015"/> Problem lösen werde, und dann eine <hi rendition="#g">schnelle</hi> plötzliche <lb n="p2c_730.016"/> wenigstens scheinbar befriedigende Auflösung. Daher muß <lb n="p2c_730.017"/> das Epigramm <hi rendition="#g">kurz</hi> seyn. Daher sagt ein Kunstrichter <lb n="p2c_730.018"/> selbst in einem sehr glücklichen Epigramm: Es müsse das <lb n="p2c_730.019"/> Sinngedicht, wie die Biene, einen Stachel, Honig haben <lb n="p2c_730.020"/> und klein seyn. ─ Jnsofern der Aufschluß schnell ist, und <lb n="p2c_730.021"/> die ganze Gedankenreihe auf einen Punkt zusammendrängt, <lb n="p2c_730.022"/> nennt man ihn auch <hi rendition="#aq">acumen, <hi rendition="#g">pointe</hi></hi>. Jst er insbesondere <lb n="p2c_730.023"/> <hi rendition="#g">satyrisch,</hi> so heißt er <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">aculeus</hi>, Stachel.</hi> ─ <lb n="p2c_730.024"/> Doch kann der Aufschluß auch mehr <hi rendition="#g">stark,</hi> als spitzig ausgedrückt <lb n="p2c_730.025"/> seyn. Klopstock sagt in seiner Gelehrtenrepublik: <lb n="p2c_730.026"/> „Bald ist das Epigramm ein Pfeil, trifft mit der Spitze, <lb n="p2c_730.027"/> Jst bald ein Schwerdt, trifft mit der Schärfe, Jst manchmal <lb n="p2c_730.028"/> auch ─ die Griechen liebten so ─ ein klein <hi rendition="#g">Gemäld,</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [730/0254]
p2c_730.001
da es ein darstellendes Gedicht ist. Wir haben daher lieber p2c_730.002
gesagt, es enthalte ein künstliches Gedankenspiel. p2c_730.003
Dies muß bey allen auch ernsthaften Epigrammen seyn. p2c_730.004
Z. B. Leser, steh, erbarm dich dieses Falles, Außer Gott, p2c_730.005
war in der Welt, was hier liegt, mir Alles. ─ Die p2c_730.006
Aufschrift auf dem Tempel der Jsis, die Grabschrift der p2c_730.007
Lacedämonier bey Thermopylä so einfach erhaben sie sind, p2c_730.008
so ist doch die Wendung künstlich, rasch und unvermuthet. p2c_730.009
Der Verstand findet seine Operationen mit p2c_730.010
Begriffen unter der Form der Schönheit dargestellt. Der p2c_730.011
Plan des Epigramms muß also künstlich seyn. Der Verstand p2c_730.012
soll interessirt werden durch ein Gedankenspiel. Hierzu p2c_730.013
gehört eine gespannte Erwartung, die immer steigt, wie p2c_730.014
sich gewisse Begriffe verbinden lassen, wie sich irgend ein p2c_730.015
Problem lösen werde, und dann eine schnelle plötzliche p2c_730.016
wenigstens scheinbar befriedigende Auflösung. Daher muß p2c_730.017
das Epigramm kurz seyn. Daher sagt ein Kunstrichter p2c_730.018
selbst in einem sehr glücklichen Epigramm: Es müsse das p2c_730.019
Sinngedicht, wie die Biene, einen Stachel, Honig haben p2c_730.020
und klein seyn. ─ Jnsofern der Aufschluß schnell ist, und p2c_730.021
die ganze Gedankenreihe auf einen Punkt zusammendrängt, p2c_730.022
nennt man ihn auch acumen, pointe. Jst er insbesondere p2c_730.023
satyrisch, so heißt er aculeus, Stachel. ─ p2c_730.024
Doch kann der Aufschluß auch mehr stark, als spitzig ausgedrückt p2c_730.025
seyn. Klopstock sagt in seiner Gelehrtenrepublik: p2c_730.026
„Bald ist das Epigramm ein Pfeil, trifft mit der Spitze, p2c_730.027
Jst bald ein Schwerdt, trifft mit der Schärfe, Jst manchmal p2c_730.028
auch ─ die Griechen liebten so ─ ein klein Gemäld,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |