Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_640.001 p2c_640.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0164" n="640"/><lb n="p2c_640.001"/> der Handlung, keine Menge von Schauspielern sey, sondern <lb n="p2c_640.002"/> daß er ein <hi rendition="#g">wunderbares,</hi> ideales, lyrisches Wesen <lb n="p2c_640.003"/> sey, welches die Theile der Handlung zu Einem poetischen <lb n="p2c_640.004"/> Ganzen verbindet. 3) Nimmt man auf den Bau des griechischen <lb n="p2c_640.005"/> Theaters Rücksicht, betrachtet man z. B. das Theater <lb n="p2c_640.006"/> des Bachus, wie dessen Plan von Reisenden nach den <lb n="p2c_640.007"/> alten Schriftstellern wieder hergestellt worden ist, so findet <lb n="p2c_640.008"/> man, daß sich das Proscenion, wo die eigentlichen Schauspieler <lb n="p2c_640.009"/> standen, um eine ziemliche Höhe über das Logeion <lb n="p2c_640.010"/> oder die Thymele bey den Griechen erhob. Das Logeion, <lb n="p2c_640.011"/> der Ort des Chors war also niedriger. Der Chor stand also <lb n="p2c_640.012"/> auch im physischen Sinne nicht auf der Höhe der Handlung. <lb n="p2c_640.013"/> Er glich mehr einem im Sinne des Stücks decorirten Orchester. <lb n="p2c_640.014"/> Als <hi rendition="#g">lyrisches</hi> Orchester, als eine Gesellschaft von <lb n="p2c_640.015"/> Sängern ertheilte er der Handlung eine gewisse <hi rendition="#g">Jdealität</hi> <lb n="p2c_640.016"/> und verhinderte einen zu groben Begriff von Jllusion. Er <lb n="p2c_640.017"/> verwandelte die theatralische Handlung in eine Art Concert <lb n="p2c_640.018"/> und Oratorium. Als <hi rendition="#g">decorirtes</hi> Orchester gab es doch <lb n="p2c_640.019"/> dem Auge eine Art von <hi rendition="#g">Jllusion,</hi> indem die Sänger im <lb n="p2c_640.020"/> Sinne des Stücks angekleidet waren, und sich also desto <lb n="p2c_640.021"/> eher in die Reden der Schauspieler mischen konnten. So ist <lb n="p2c_640.022"/> also auch Horaz zu verstehn, wenn er sagt <hi rendition="#aq">tibicen traxit <lb n="p2c_640.023"/> vagus per pulpita vestem</hi>. Der Chor war ein decorirtes <lb n="p2c_640.024"/> Orchester. Uebrigens mag bey den Römern (Vitruv ist <lb n="p2c_640.025"/> freylich in Angebung der Maaße nicht bestimmt und läßt <lb n="p2c_640.026"/> also die Sache dunkel) das <hi rendition="#aq">pulpitum</hi>, der Ort des Chors <lb n="p2c_640.027"/> etwas anders gewesen seyn, als bey den Griechen das Logeion, <lb n="p2c_640.028"/> weswegen einige Alterthumsforscher auch behaupten, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [640/0164]
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der Handlung, keine Menge von Schauspielern sey, sondern p2c_640.002
daß er ein wunderbares, ideales, lyrisches Wesen p2c_640.003
sey, welches die Theile der Handlung zu Einem poetischen p2c_640.004
Ganzen verbindet. 3) Nimmt man auf den Bau des griechischen p2c_640.005
Theaters Rücksicht, betrachtet man z. B. das Theater p2c_640.006
des Bachus, wie dessen Plan von Reisenden nach den p2c_640.007
alten Schriftstellern wieder hergestellt worden ist, so findet p2c_640.008
man, daß sich das Proscenion, wo die eigentlichen Schauspieler p2c_640.009
standen, um eine ziemliche Höhe über das Logeion p2c_640.010
oder die Thymele bey den Griechen erhob. Das Logeion, p2c_640.011
der Ort des Chors war also niedriger. Der Chor stand also p2c_640.012
auch im physischen Sinne nicht auf der Höhe der Handlung. p2c_640.013
Er glich mehr einem im Sinne des Stücks decorirten Orchester. p2c_640.014
Als lyrisches Orchester, als eine Gesellschaft von p2c_640.015
Sängern ertheilte er der Handlung eine gewisse Jdealität p2c_640.016
und verhinderte einen zu groben Begriff von Jllusion. Er p2c_640.017
verwandelte die theatralische Handlung in eine Art Concert p2c_640.018
und Oratorium. Als decorirtes Orchester gab es doch p2c_640.019
dem Auge eine Art von Jllusion, indem die Sänger im p2c_640.020
Sinne des Stücks angekleidet waren, und sich also desto p2c_640.021
eher in die Reden der Schauspieler mischen konnten. So ist p2c_640.022
also auch Horaz zu verstehn, wenn er sagt tibicen traxit p2c_640.023
vagus per pulpita vestem. Der Chor war ein decorirtes p2c_640.024
Orchester. Uebrigens mag bey den Römern (Vitruv ist p2c_640.025
freylich in Angebung der Maaße nicht bestimmt und läßt p2c_640.026
also die Sache dunkel) das pulpitum, der Ort des Chors p2c_640.027
etwas anders gewesen seyn, als bey den Griechen das Logeion, p2c_640.028
weswegen einige Alterthumsforscher auch behaupten,
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