Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Zweiter Theil. Leipzig, 1804.p2c_600.001 p2c_600.001 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0124" n="600"/><lb n="p2c_600.001"/> Schicksal der Liebenden. Allein man hätte vorher einen Blick <lb n="p2c_600.002"/> auf seinen ganzen Plan thun müssen, um dies nicht zu <lb n="p2c_600.003"/> mährchenhaft zu finden. ─ Jm Oedipus entwickelt sich <lb n="p2c_600.004"/> das Schicksal wunderbar, aber man ahnt gleich von vorn <lb n="p2c_600.005"/> herein und nach und nach immer deutlicher den Gang der <lb n="p2c_600.006"/> Begebenheiten. Es ist alles in einander nach Naturgesetzen <lb n="p2c_600.007"/> gegründet, wenn gleich eine höhere wunderbare Natur zum <lb n="p2c_600.008"/> Grunde liegt. ─ Zur <hi rendition="#g">kosmischen</hi> Wahrscheinlichkeit <lb n="p2c_600.009"/> kann man auch bey Gedichten, wo wirkliche Geschichte zu <lb n="p2c_600.010"/> Grunde liegt, die Beobachtung eines gewissen <hi rendition="#g">Kostüme</hi> <lb n="p2c_600.011"/> d. h. Ueblichen in äußerer Decoration des Gedichts rechnen, <lb n="p2c_600.012"/> und daß man dem Geiste der dargestellten Zeit gleich bleibe. <lb n="p2c_600.013"/> Wo man voraussetzen kann, daß die Geschichte genau bekannt <lb n="p2c_600.014"/> ist, wird der Zuhörer durch Widersprüche verwirrt. <lb n="p2c_600.015"/> Wenn Kamoens in seinem Gedichte die <hi rendition="#g">heidnischen</hi> Götter <lb n="p2c_600.016"/> mit katholischen Helden zusammenstellt, ist dies wider die <hi rendition="#g">kosmische</hi> <lb n="p2c_600.017"/> Wahrscheinlichkeit. ─ Milton braucht die Fabel nur <lb n="p2c_600.018"/> zu Vergleichungen. Das geht. Endlich gehört zur <hi rendition="#g">Totalität</hi> <lb n="p2c_600.019"/> einer Handlung eine gehörig vorbereitete <hi rendition="#g">befriedigende <lb n="p2c_600.020"/> Auflösung,</hi> die nichts zu wünschen übrig lasse. Der <lb n="p2c_600.021"/> <hi rendition="#g">Verstand</hi> muß Alles, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet <lb n="p2c_600.022"/> war, enträthselt haben. Das Gedicht darf hier weder <lb n="p2c_600.023"/> zu wenig noch zu viel enthalten. Tod und Begräbniß <lb n="p2c_600.024"/> des Hektors in der Jliade, gehört noch zum Plan des Ganzen, <lb n="p2c_600.025"/> wenn man auch den <hi rendition="#g">Zorn</hi> des <hi rendition="#g">Achilles</hi> als den <lb n="p2c_600.026"/> Stoff des Gedichts und überhaupt das Gedicht als ein Ganzes <lb n="p2c_600.027"/> annimmt. Denn erst mit dem Begräbniß des Hectors <lb n="p2c_600.028"/> konnte die gespannte Aufmerksamkeit ganz befriedigt werden. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [600/0124]
p2c_600.001
Schicksal der Liebenden. Allein man hätte vorher einen Blick p2c_600.002
auf seinen ganzen Plan thun müssen, um dies nicht zu p2c_600.003
mährchenhaft zu finden. ─ Jm Oedipus entwickelt sich p2c_600.004
das Schicksal wunderbar, aber man ahnt gleich von vorn p2c_600.005
herein und nach und nach immer deutlicher den Gang der p2c_600.006
Begebenheiten. Es ist alles in einander nach Naturgesetzen p2c_600.007
gegründet, wenn gleich eine höhere wunderbare Natur zum p2c_600.008
Grunde liegt. ─ Zur kosmischen Wahrscheinlichkeit p2c_600.009
kann man auch bey Gedichten, wo wirkliche Geschichte zu p2c_600.010
Grunde liegt, die Beobachtung eines gewissen Kostüme p2c_600.011
d. h. Ueblichen in äußerer Decoration des Gedichts rechnen, p2c_600.012
und daß man dem Geiste der dargestellten Zeit gleich bleibe. p2c_600.013
Wo man voraussetzen kann, daß die Geschichte genau bekannt p2c_600.014
ist, wird der Zuhörer durch Widersprüche verwirrt. p2c_600.015
Wenn Kamoens in seinem Gedichte die heidnischen Götter p2c_600.016
mit katholischen Helden zusammenstellt, ist dies wider die kosmische p2c_600.017
Wahrscheinlichkeit. ─ Milton braucht die Fabel nur p2c_600.018
zu Vergleichungen. Das geht. Endlich gehört zur Totalität p2c_600.019
einer Handlung eine gehörig vorbereitete befriedigende p2c_600.020
Auflösung, die nichts zu wünschen übrig lasse. Der p2c_600.021
Verstand muß Alles, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet p2c_600.022
war, enträthselt haben. Das Gedicht darf hier weder p2c_600.023
zu wenig noch zu viel enthalten. Tod und Begräbniß p2c_600.024
des Hektors in der Jliade, gehört noch zum Plan des Ganzen, p2c_600.025
wenn man auch den Zorn des Achilles als den p2c_600.026
Stoff des Gedichts und überhaupt das Gedicht als ein Ganzes p2c_600.027
annimmt. Denn erst mit dem Begräbniß des Hectors p2c_600.028
konnte die gespannte Aufmerksamkeit ganz befriedigt werden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |