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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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Schreyton, Götterton, Vernunftton u. s. w. so ist dabey p1c_438.002
das eigentlich Aesthetische der Deklamation von dem p1c_438.003
Jnhalt desjenigen, was vorgetragen wird, und oft ein p1c_438.004
Gegenstand nur der Wohlredenheit ist, nicht gehörig unterschieden. p1c_438.005
Man nimmt dabey zu viel auf Begriffe Rücksicht. p1c_438.006
2) Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß die Vocale, wie p1c_438.007
wir schon oben bemerkten, eine Höhe und Tiefe des Tons p1c_438.008
anzeigen, mithin eine Art Scala für jene Tonarten der Rede p1c_438.009
angeben, so kann man doch in Unterabtheilung der Töne, p1c_438.010
die dazwischen liegen, zu weit gehen. Wenn auch gleich p1c_438.011
Musik in der Rede ist, so ist die Musik doch Nebensache. p1c_438.012
Wollte man also vielleicht mehrere hundert Töne unterscheiden, p1c_438.013
sie musikalisch bezeichnen, so würde man ins kleinliche p1c_438.014
fallen. Man würde die freye Genialität des Deklamators zu p1c_438.015
sehr binden, wenn er sich immer kunstmäßig bewußt werden p1c_438.016
sollte, auf welcher von den vielen hundert Sprossen der Tonleiter p1c_438.017
er stünde. Die Subtilität würde hier weit größer werden, p1c_438.018
wie bey dem eigentlichen Gesange, weil die Modificationen p1c_438.019
der Rede weit feiner sind. 3) Die poetische p1c_438.020
Deklamation,
die vom Vorlesen verschieden ist, bezieht p1c_438.021
sich ganz auf die Darstellung der musikalischen p1c_438.022
Eigenschaften der Sprache. Will man Regeln für sie aufstellen, p1c_438.023
muß man diese Regeln nicht auf Begriffe, nicht p1c_438.024
blos auf Höhe und Tiefe der Töne nach einer gewissen Scala, p1c_438.025
sondern auf die vier Vernunftideen, wie sie ästhetisch p1c_438.026
durch Töne ausgedrückt werden, beziehen. Die poetische p1c_438.027
Deklamation
muß also betrachtet werden in Absicht auf p1c_438.028
Rhythmus, Wohlklang, Metrum und Harmonie. Der

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Schreyton, Götterton, Vernunftton u. s. w. so ist dabey p1c_438.002
das eigentlich Aesthetische der Deklamation von dem p1c_438.003
Jnhalt desjenigen, was vorgetragen wird, und oft ein p1c_438.004
Gegenstand nur der Wohlredenheit ist, nicht gehörig unterschieden. p1c_438.005
Man nimmt dabey zu viel auf Begriffe Rücksicht. p1c_438.006
2) Wenn auch nicht zu läugnen ist, daß die Vocale, wie p1c_438.007
wir schon oben bemerkten, eine Höhe und Tiefe des Tons p1c_438.008
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die dazwischen liegen, zu weit gehen. Wenn auch gleich p1c_438.011
Musik in der Rede ist, so ist die Musik doch Nebensache. p1c_438.012
Wollte man also vielleicht mehrere hundert Töne unterscheiden, p1c_438.013
sie musikalisch bezeichnen, so würde man ins kleinliche p1c_438.014
fallen. Man würde die freye Genialität des Deklamators zu p1c_438.015
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durch Töne ausgedrückt werden, beziehen. Die poetische p1c_438.027
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/496>, abgerufen am 18.06.2024.