Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_347.001
gemacht und dadurch an Wohlklang zugenommen. Das p1c_347.002
Griechische hat ebenfalls im Nominativ das o. Aus dem p1c_347.003
oben festgestellten Grundsatze fließt ferner die Bemerkung, p1c_347.004
je mehr Modificationen in Ansehung der Vocale eine Sprache p1c_347.005
hat, desto musikalischer ist sie. Denn die Uebergänge aus p1c_347.006
einem Tone in den andern sind genauer bestimmt. Hier ist p1c_347.007
keine Sprache der griechischen gleich zu setzen, wegen p1c_347.008
ihres Reichthums an Modification der Vocalen. Apollon p1c_347.009
ist musikalischer als Apollo, muria musikalischer als infinita. p1c_347.010
Die Diphthongen tragen hier viel dazu bey. Daher p1c_347.011
suchen die Dichter oft alte Endungen hervor, die Diphthongen p1c_347.012
haben, z. B. frugiferenteis. Aus diesem Grunde ist p1c_347.013
auch die Erasmische Aussprache der Reuchlinischen beym Lesen p1c_347.014
der griechischen Dichter vorzuziehen. Man lese eelioio p1c_347.015
nach der Erasmischen Art, welch ein Reichthum von Modificationen p1c_347.016
des Tons, die bey der andern Art zu lesen wegfallen. p1c_347.017
Um die Worte, wie Quinctilian sagt, vocaliora p1c_347.018
zu machen, thut nun besonders der Uebergang aus einem p1c_347.019
Vocal in den andern sehr viel. Die Natur liebt den Sprung p1c_347.020
nicht. Das Schöne in der Tonreihe in Absicht auf Höhe p1c_347.021
und Tiefe wird durch kein gewaltsames, sondern ein allmähliges p1c_347.022
Steigen und Sinken bewirkt. Wurdi, der Name p1c_347.023
einer alten deutschen Göttin, den Klopstock braucht, ist kein p1c_347.024
so musikalisches Wort, als tromba. Warum? Fürs erste p1c_347.025
wird bey Wurdi aus der Tiefe sogleich in das Höchste übergegangen, p1c_347.026
weswegen auch ui kein so musikalischer Diphthong p1c_347.027
ist, als oi, oder ei. Fürs andre sind hier gerade die Gränzen p1c_347.028
der Tonleiter angegeben, und der Ton selbst hat nichts

p1c_347.001
gemacht und dadurch an Wohlklang zugenommen. Das p1c_347.002
Griechische hat ebenfalls im Nominativ das o. Aus dem p1c_347.003
oben festgestellten Grundsatze fließt ferner die Bemerkung, p1c_347.004
je mehr Modificationen in Ansehung der Vocale eine Sprache p1c_347.005
hat, desto musikalischer ist sie. Denn die Uebergänge aus p1c_347.006
einem Tone in den andern sind genauer bestimmt. Hier ist p1c_347.007
keine Sprache der griechischen gleich zu setzen, wegen p1c_347.008
ihres Reichthums an Modification der Vocalen. Ἀπολλων p1c_347.009
ist musikalischer als Apollo, μυρια musikalischer als infinita. p1c_347.010
Die Diphthongen tragen hier viel dazu bey. Daher p1c_347.011
suchen die Dichter oft alte Endungen hervor, die Diphthongen p1c_347.012
haben, z. B. frugiferenteis. Aus diesem Grunde ist p1c_347.013
auch die Erasmische Aussprache der Reuchlinischen beym Lesen p1c_347.014
der griechischen Dichter vorzuziehen. Man lese ἠελιοιο p1c_347.015
nach der Erasmischen Art, welch ein Reichthum von Modificationen p1c_347.016
des Tons, die bey der andern Art zu lesen wegfallen. p1c_347.017
Um die Worte, wie Quinctilian sagt, vocaliora p1c_347.018
zu machen, thut nun besonders der Uebergang aus einem p1c_347.019
Vocal in den andern sehr viel. Die Natur liebt den Sprung p1c_347.020
nicht. Das Schöne in der Tonreihe in Absicht auf Höhe p1c_347.021
und Tiefe wird durch kein gewaltsames, sondern ein allmähliges p1c_347.022
Steigen und Sinken bewirkt. Wurdi, der Name p1c_347.023
einer alten deutschen Göttin, den Klopstock braucht, ist kein p1c_347.024
so musikalisches Wort, als tromba. Warum? Fürs erste p1c_347.025
wird bey Wurdi aus der Tiefe sogleich in das Höchste übergegangen, p1c_347.026
weswegen auch ui kein so musikalischer Diphthong p1c_347.027
ist, als oi, oder ei. Fürs andre sind hier gerade die Gränzen p1c_347.028
der Tonleiter angegeben, und der Ton selbst hat nichts

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="347"/><lb n="p1c_347.001"/>
gemacht und dadurch an Wohlklang zugenommen. Das <lb n="p1c_347.002"/>
Griechische hat ebenfalls im Nominativ das <hi rendition="#aq">o</hi>. Aus dem <lb n="p1c_347.003"/>
oben festgestellten Grundsatze fließt ferner die Bemerkung, <lb n="p1c_347.004"/>
je mehr Modificationen in Ansehung der Vocale eine Sprache <lb n="p1c_347.005"/>
hat, desto musikalischer ist sie. Denn die Uebergänge aus <lb n="p1c_347.006"/>
einem Tone in den andern sind genauer bestimmt. Hier ist <lb n="p1c_347.007"/>
keine Sprache der <hi rendition="#g">griechischen</hi> gleich zu setzen, wegen <lb n="p1c_347.008"/>
ihres Reichthums an Modification der Vocalen. <foreign xml:lang="grc">&#x1F08;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD;</foreign> <lb n="p1c_347.009"/>
ist musikalischer als <hi rendition="#aq">Apollo, <foreign xml:lang="grc">&#x03BC;&#x03C5;&#x03C1;&#x03B9;&#x03B1;</foreign></hi> musikalischer als <hi rendition="#aq">infinita</hi>. <lb n="p1c_347.010"/>
Die Diphthongen tragen hier viel dazu bey. Daher <lb n="p1c_347.011"/>
suchen die Dichter oft alte Endungen hervor, die Diphthongen <lb n="p1c_347.012"/>
haben, z. B. <hi rendition="#aq">frugiferenteis</hi>. Aus diesem Grunde ist <lb n="p1c_347.013"/>
auch die Erasmische Aussprache der Reuchlinischen beym Lesen <lb n="p1c_347.014"/>
der griechischen Dichter vorzuziehen. Man lese <foreign xml:lang="grc">&#x1F20;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9;&#x03BF;</foreign> <lb n="p1c_347.015"/>
nach der Erasmischen Art, welch ein Reichthum von Modificationen <lb n="p1c_347.016"/>
des Tons, die bey der andern Art zu lesen wegfallen. <lb n="p1c_347.017"/>
Um die Worte, wie Quinctilian sagt, <hi rendition="#aq">vocaliora</hi> <lb n="p1c_347.018"/>
zu machen, thut nun besonders der Uebergang aus einem <lb n="p1c_347.019"/>
Vocal in den andern sehr viel. Die Natur liebt den Sprung <lb n="p1c_347.020"/>
nicht. Das <hi rendition="#g">Schöne</hi> in der Tonreihe in Absicht auf Höhe <lb n="p1c_347.021"/>
und Tiefe wird durch kein gewaltsames, sondern ein allmähliges <lb n="p1c_347.022"/>
Steigen und Sinken bewirkt. <hi rendition="#aq">Wurdi</hi>, der Name <lb n="p1c_347.023"/>
einer alten deutschen Göttin, den Klopstock braucht, ist kein <lb n="p1c_347.024"/>
so musikalisches Wort, als <hi rendition="#aq">tromba</hi>. Warum? Fürs erste <lb n="p1c_347.025"/>
wird bey <hi rendition="#aq">Wurdi</hi> aus der Tiefe sogleich in das Höchste übergegangen, <lb n="p1c_347.026"/>
weswegen auch <hi rendition="#aq">ui</hi> kein so musikalischer Diphthong <lb n="p1c_347.027"/>
ist, als <hi rendition="#aq">oi</hi>, oder <hi rendition="#aq">ei</hi>. Fürs andre sind hier gerade die Gränzen <lb n="p1c_347.028"/>
der Tonleiter angegeben, und der Ton selbst hat nichts
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0405] p1c_347.001 gemacht und dadurch an Wohlklang zugenommen. Das p1c_347.002 Griechische hat ebenfalls im Nominativ das o. Aus dem p1c_347.003 oben festgestellten Grundsatze fließt ferner die Bemerkung, p1c_347.004 je mehr Modificationen in Ansehung der Vocale eine Sprache p1c_347.005 hat, desto musikalischer ist sie. Denn die Uebergänge aus p1c_347.006 einem Tone in den andern sind genauer bestimmt. Hier ist p1c_347.007 keine Sprache der griechischen gleich zu setzen, wegen p1c_347.008 ihres Reichthums an Modification der Vocalen. Ἀπολλων p1c_347.009 ist musikalischer als Apollo, μυρια musikalischer als infinita. p1c_347.010 Die Diphthongen tragen hier viel dazu bey. Daher p1c_347.011 suchen die Dichter oft alte Endungen hervor, die Diphthongen p1c_347.012 haben, z. B. frugiferenteis. Aus diesem Grunde ist p1c_347.013 auch die Erasmische Aussprache der Reuchlinischen beym Lesen p1c_347.014 der griechischen Dichter vorzuziehen. Man lese ἠελιοιο p1c_347.015 nach der Erasmischen Art, welch ein Reichthum von Modificationen p1c_347.016 des Tons, die bey der andern Art zu lesen wegfallen. p1c_347.017 Um die Worte, wie Quinctilian sagt, vocaliora p1c_347.018 zu machen, thut nun besonders der Uebergang aus einem p1c_347.019 Vocal in den andern sehr viel. Die Natur liebt den Sprung p1c_347.020 nicht. Das Schöne in der Tonreihe in Absicht auf Höhe p1c_347.021 und Tiefe wird durch kein gewaltsames, sondern ein allmähliges p1c_347.022 Steigen und Sinken bewirkt. Wurdi, der Name p1c_347.023 einer alten deutschen Göttin, den Klopstock braucht, ist kein p1c_347.024 so musikalisches Wort, als tromba. Warum? Fürs erste p1c_347.025 wird bey Wurdi aus der Tiefe sogleich in das Höchste übergegangen, p1c_347.026 weswegen auch ui kein so musikalischer Diphthong p1c_347.027 ist, als oi, oder ei. Fürs andre sind hier gerade die Gränzen p1c_347.028 der Tonleiter angegeben, und der Ton selbst hat nichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/405
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/405>, abgerufen am 24.11.2024.