Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_348.001
Werdendes. Tromba hingegen hat zwey schwebende Töne, p1c_348.002
und aus dem einen ist der Uebergang zum andern leicht. p1c_348.003
Gewisse Worte bilden in Absicht auf die Tonleiter auch mehr p1c_348.004
ein vollendetes musikalisches Ganze als andre, indem sie p1c_348.005
nichts unvollendet lassen, wie Wurdi, sondern wieder herabsinken p1c_348.006
in den Grundton. sphoiteron. Man nehme nun, p1c_348.007
wenn wir blos auf die Vocale sehen wollen, die Dichter verschiedener p1c_348.008
Sprachen, so wird sich leicht bestimmen lassen, p1c_348.009
welche dieser Sprachen musikalischer sey. Il. b. 477. meta p1c_348.010
de kreion Agamemnon ommata kai kephalen ikelos Dii p1c_348.011
terpikerauno, Arei de zonen sternon te Poseidaoni
. p1c_348.012
Welch ein Gesang durch das Ueberwiegende der o, durch die p1c_348.013
Länge des o, durch die weiten Diphthongen. Die Verse p1c_348.014
zeichnen sich aus, aber man findet ähnlichen Klang überall. p1c_348.015
Am allerwenigsten erscheint das e am Ende der Worte. p1c_348.016
Man nehme dagegen Je chante ce heros, qui regna sur p1c_348.017
la France, et par droit de conquete et par droit de p1c_348.018
naissance
. Wie wenig o, wie viel e. Selbst das Deutsche p1c_348.019
bey den gesangreichsten Dichtern hat einen merklichen p1c_348.020
Mangel an o. "Sing unsterbliche Seele des sündigen Menschen p1c_348.021
Erlösung." Jn diesem Verse sind zwey musikalische p1c_348.022
Worte: sündigen und Erlösung. Aber der Anfang p1c_348.023
ist unmusikalisch durch die Zusammensetzung des i und p1c_348.024
u - und das e ist zu herrschend. Arma virumque p1c_348.025
cano, Troiae qui primus ab oris
, ist musikalisch, aber p1c_348.026
das e und u wird doch schon sehr hervorgehört. Canto p1c_348.027
l'armi pietose e'l Capitano - Che'l gran sepolcro p1c_348.028
libero di Christo. Tasso
. Auch hier triffts ein, daß

p1c_348.001
Werdendes. Tromba hingegen hat zwey schwebende Töne, p1c_348.002
und aus dem einen ist der Uebergang zum andern leicht. p1c_348.003
Gewisse Worte bilden in Absicht auf die Tonleiter auch mehr p1c_348.004
ein vollendetes musikalisches Ganze als andre, indem sie p1c_348.005
nichts unvollendet lassen, wie Wurdi, sondern wieder herabsinken p1c_348.006
in den Grundton. σφωιτερον. Man nehme nun, p1c_348.007
wenn wir blos auf die Vocale sehen wollen, die Dichter verschiedener p1c_348.008
Sprachen, so wird sich leicht bestimmen lassen, p1c_348.009
welche dieser Sprachen musikalischer sey. Il. β. 477. μετα p1c_348.010
δε κρειων Ἀγαμεμνων ὀμματα και κεφαλην ἰκελος Διι p1c_348.011
τερπικεραυνω, Ἀρεϊ δε ζωνην ϛερνον τε Ποσειδαωνι
. p1c_348.012
Welch ein Gesang durch das Ueberwiegende der ο, durch die p1c_348.013
Länge des ω, durch die weiten Diphthongen. Die Verse p1c_348.014
zeichnen sich aus, aber man findet ähnlichen Klang überall. p1c_348.015
Am allerwenigsten erscheint das ε am Ende der Worte. p1c_348.016
Man nehme dagegen Je chante ce heros, qui regna sur p1c_348.017
la France, et par droit de conquete et par droit de p1c_348.018
naissance
. Wie wenig o, wie viel e. Selbst das Deutsche p1c_348.019
bey den gesangreichsten Dichtern hat einen merklichen p1c_348.020
Mangel an o. „Sing unsterbliche Seele des sündigen Menschen p1c_348.021
Erlösung.“ Jn diesem Verse sind zwey musikalische p1c_348.022
Worte: sündigen und Erlösung. Aber der Anfang p1c_348.023
ist unmusikalisch durch die Zusammensetzung des i und p1c_348.024
u ─ und das e ist zu herrschend. Arma virumque p1c_348.025
cano, Troiae qui primus ab oris
, ist musikalisch, aber p1c_348.026
das e und u wird doch schon sehr hervorgehört. Canto p1c_348.027
l'armi pietose e'l Capitano ─ Che'l gran sepolcro p1c_348.028
libero di Christo. Tasso
. Auch hier triffts ein, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0406" n="348"/><lb n="p1c_348.001"/>
Werdendes. <hi rendition="#aq">Tromba</hi> hingegen hat zwey schwebende Töne, <lb n="p1c_348.002"/>
und aus dem einen ist der Uebergang zum andern leicht. <lb n="p1c_348.003"/>
Gewisse Worte bilden in Absicht auf die Tonleiter auch mehr <lb n="p1c_348.004"/>
ein vollendetes musikalisches Ganze als andre, indem sie <lb n="p1c_348.005"/>
nichts unvollendet lassen, wie <hi rendition="#aq">Wurdi</hi>, sondern wieder herabsinken <lb n="p1c_348.006"/>
in den Grundton. <foreign xml:lang="grc">&#x03C3;&#x03C6;&#x03C9;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C1;&#x03BF;&#x03BD;</foreign>. Man nehme nun, <lb n="p1c_348.007"/>
wenn wir blos auf die Vocale sehen wollen, die Dichter verschiedener <lb n="p1c_348.008"/>
Sprachen, so wird sich leicht bestimmen lassen, <lb n="p1c_348.009"/>
welche dieser Sprachen musikalischer sey. <hi rendition="#aq">Il. <foreign xml:lang="grc">&#x03B2;</foreign>. 477. <foreign xml:lang="grc">&#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;</foreign> <lb n="p1c_348.010"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03B4;&#x03B5; &#x03BA;&#x03C1;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F08;&#x03B3;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BC;&#x03BD;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F40;&#x03BC;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1; &#x03BA;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BA;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BB;&#x03B7;&#x03BD; &#x1F30;&#x03BA;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2; &#x0394;&#x03B9;&#x03B9;</foreign> <lb n="p1c_348.011"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03C4;&#x03B5;&#x03C1;&#x03C0;&#x03B9;&#x03BA;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B1;&#x03C5;&#x03BD;&#x03C9;, &#x1F08;&#x03C1;&#x03B5;&#x03CA; &#x03B4;&#x03B5; &#x03B6;&#x03C9;&#x03BD;&#x03B7;&#x03BD; &#x03DB;&#x03B5;&#x03C1;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C4;&#x03B5; &#x03A0;&#x03BF;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B4;&#x03B1;&#x03C9;&#x03BD;&#x03B9;</foreign></hi>. <lb n="p1c_348.012"/>
Welch ein Gesang durch das Ueberwiegende der <foreign xml:lang="grc">&#x03BF;</foreign>, durch die <lb n="p1c_348.013"/>
Länge des <foreign xml:lang="grc">&#x03C9;</foreign>, durch die weiten Diphthongen. Die Verse <lb n="p1c_348.014"/>
zeichnen sich aus, aber man findet ähnlichen Klang überall. <lb n="p1c_348.015"/>
Am allerwenigsten erscheint das <foreign xml:lang="grc">&#x03B5;</foreign> am Ende der Worte. <lb n="p1c_348.016"/>
Man nehme dagegen <hi rendition="#aq">Je chante ce heros, qui regna sur <lb n="p1c_348.017"/>
la France, et par droit de conquete et par droit de <lb n="p1c_348.018"/>
naissance</hi>. Wie wenig <hi rendition="#aq">o</hi>, wie viel <hi rendition="#aq">e</hi>. Selbst das Deutsche <lb n="p1c_348.019"/>
bey den gesangreichsten Dichtern hat einen merklichen <lb n="p1c_348.020"/>
Mangel an <hi rendition="#aq">o</hi>. &#x201E;Sing unsterbliche Seele des sündigen Menschen <lb n="p1c_348.021"/>
Erlösung.&#x201C; Jn diesem Verse sind zwey musikalische <lb n="p1c_348.022"/>
Worte: <hi rendition="#g">sündigen</hi> und <hi rendition="#g">Erlösung.</hi> Aber der Anfang <lb n="p1c_348.023"/>
ist <hi rendition="#g">unmusikalisch</hi> durch die Zusammensetzung des <hi rendition="#aq">i</hi> und <lb n="p1c_348.024"/> <hi rendition="#aq">u</hi> &#x2500; und das <hi rendition="#aq">e</hi> ist zu herrschend. <hi rendition="#aq">Arma virumque <lb n="p1c_348.025"/>
cano, Troiae qui primus ab oris</hi>, ist musikalisch, aber <lb n="p1c_348.026"/>
das <hi rendition="#aq">e</hi> und <hi rendition="#aq">u</hi> wird doch schon sehr hervorgehört. <hi rendition="#aq">Canto <lb n="p1c_348.027"/>
l'armi pietose e'l Capitano &#x2500; Che'l gran sepolcro <lb n="p1c_348.028"/>
libero di Christo. <hi rendition="#g">Tasso</hi></hi>. Auch hier triffts ein, daß
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0406] p1c_348.001 Werdendes. Tromba hingegen hat zwey schwebende Töne, p1c_348.002 und aus dem einen ist der Uebergang zum andern leicht. p1c_348.003 Gewisse Worte bilden in Absicht auf die Tonleiter auch mehr p1c_348.004 ein vollendetes musikalisches Ganze als andre, indem sie p1c_348.005 nichts unvollendet lassen, wie Wurdi, sondern wieder herabsinken p1c_348.006 in den Grundton. σφωιτερον. Man nehme nun, p1c_348.007 wenn wir blos auf die Vocale sehen wollen, die Dichter verschiedener p1c_348.008 Sprachen, so wird sich leicht bestimmen lassen, p1c_348.009 welche dieser Sprachen musikalischer sey. Il. β. 477. μετα p1c_348.010 δε κρειων Ἀγαμεμνων ὀμματα και κεφαλην ἰκελος Διι p1c_348.011 τερπικεραυνω, Ἀρεϊ δε ζωνην ϛερνον τε Ποσειδαωνι. p1c_348.012 Welch ein Gesang durch das Ueberwiegende der ο, durch die p1c_348.013 Länge des ω, durch die weiten Diphthongen. Die Verse p1c_348.014 zeichnen sich aus, aber man findet ähnlichen Klang überall. p1c_348.015 Am allerwenigsten erscheint das ε am Ende der Worte. p1c_348.016 Man nehme dagegen Je chante ce heros, qui regna sur p1c_348.017 la France, et par droit de conquete et par droit de p1c_348.018 naissance. Wie wenig o, wie viel e. Selbst das Deutsche p1c_348.019 bey den gesangreichsten Dichtern hat einen merklichen p1c_348.020 Mangel an o. „Sing unsterbliche Seele des sündigen Menschen p1c_348.021 Erlösung.“ Jn diesem Verse sind zwey musikalische p1c_348.022 Worte: sündigen und Erlösung. Aber der Anfang p1c_348.023 ist unmusikalisch durch die Zusammensetzung des i und p1c_348.024 u ─ und das e ist zu herrschend. Arma virumque p1c_348.025 cano, Troiae qui primus ab oris, ist musikalisch, aber p1c_348.026 das e und u wird doch schon sehr hervorgehört. Canto p1c_348.027 l'armi pietose e'l Capitano ─ Che'l gran sepolcro p1c_348.028 libero di Christo. Tasso. Auch hier triffts ein, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/406
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/406>, abgerufen am 09.11.2024.