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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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, aber wenn zuviel dazwischen kommt, so wird der usus p1c_276.002
beleidigt, quem penes arbitrium est et ius et norma p1c_276.003
loquendi
. - Unter den Römern soll besonders Lucilius p1c_276.004
die Tmesin sehr geliebt haben - non proficit hilum - p1c_276.005
welches man auch beym Lucrez findet. Circum dea fundit p1c_276.006
amictum. Virgil. - Cere-fregit-brum
. - Zu p1c_276.007
dem poetischen Umschaffen der Wörter kann man noch andre p1c_276.008
figuras dictionis rechnen, die Syncope - scuta viraum p1c_276.009
statt virorum. - Die Syllepsis grammatica: p1c_276.010
turba ruunt, pars surgunt - monstrum - quae p1c_276.011
(Horat. L. I. 37. vs
. 21.) wenn wir im Deutschen sagen, p1c_276.012
das Weib, die u. s. w. - Oft sucht auch der Dichter p1c_276.013
wieder den alten Klang der Worte hervor, um seiner Sprache p1c_276.014
eine gewisse Würde zu geben. Olli subridens pro illi p1c_276.015
- urbis ne invisere Caesar pro urbes - aulai - p1c_276.016
frugiferenteis
. - Deshalb sagt Horaz mit Recht: p1c_276.017
multa renascentur, quae iam cecidere vocabula. - p1c_276.018
Besonders wäre dies im Deutschen zu wünschen. Die Sprache p1c_276.019
unsrer Vorfahren nicht lange vor und kurz nach Luther p1c_276.020
war weit kräftiger, reicher an Worten, volltönender als die p1c_276.021
unsrige. Klopstock klagt in der Gelehrtenrepublik: "Unsre p1c_276.022
ältern Vorfahren endeten die meisten Wörter mit Selbstlauten. p1c_276.023
Die Jtaliener und Spanier haben dies angenommen. p1c_276.024
Unsre spätern Vorfahren haben die Selbstlaute bis auf das e p1c_276.025
(und auch dieses kommt eben nicht oft vor) weggeworfen. p1c_276.026
Der Verdruß über diesen Verlust hat mich darauf p1c_276.027
gebracht, die Ursache der Wegwerfung zu finden. Vielleicht p1c_276.028
war man nicht gewiß genug, welchen Selbstlaut man

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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/334>, abgerufen am 27.07.2024.