Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war im Stande sich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf Östreich. Es mußte 1809 sich in Spanien beträchtlich schwächen und würde es ganz haben aufgeben müssen, wenn es nicht gegen Östreich schon eine zu große physische und moralische Überlegenheit gehabt hätte.
Jene drei Instanzen muß man sich also wohl über- legen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren den man vor den früheren gewonnen hat und dann in die Kosten verurtheilt zu werden.
Bei dieser Überlegung der Kräfte und dessen was damit ausgerichtet werden kann, stellt sich häufig der Ge- danke ein, nach einer dynamischen Analogie, die Zeit als einen Faktor der Kräfte anzusehen und zu meinen: die halbe Anstrengung, die halbe Summe von Kräften würde hinreichen in zwei Jahren Das zu Stande zu bringen was in einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Diese Ansicht, welche, bald klar bald dunkel, den kriegerischen Entwürfen zum Grunde liegt, ist durchaus falsch.
Der kriegerische Akt braucht seine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das versteht sich; aber von einer Wechselwirkung zwischen Zeit und Kraft, wie sie in der Dynamik statt findet, ist hier keine Spur.
Die Zeit ist beiden Kriegführenden nöthig und es frägt sich nur: welcher von beiden wird, seiner Stellung nach, am ersten besondere Vortheile von ihr zu er- warten haben; dies aber ist, die Eigenthümlichkeit des einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der Unterliegende; freilich nicht nach dynamischen, aber nach
Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war im Stande ſich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf Öſtreich. Es mußte 1809 ſich in Spanien betraͤchtlich ſchwaͤchen und wuͤrde es ganz haben aufgeben muͤſſen, wenn es nicht gegen Öſtreich ſchon eine zu große phyſiſche und moraliſche Überlegenheit gehabt haͤtte.
Jene drei Inſtanzen muß man ſich alſo wohl uͤber- legen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren den man vor den fruͤheren gewonnen hat und dann in die Koſten verurtheilt zu werden.
Bei dieſer Überlegung der Kraͤfte und deſſen was damit ausgerichtet werden kann, ſtellt ſich haͤufig der Ge- danke ein, nach einer dynamiſchen Analogie, die Zeit als einen Faktor der Kraͤfte anzuſehen und zu meinen: die halbe Anſtrengung, die halbe Summe von Kraͤften wuͤrde hinreichen in zwei Jahren Das zu Stande zu bringen was in einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Dieſe Anſicht, welche, bald klar bald dunkel, den kriegeriſchen Entwuͤrfen zum Grunde liegt, iſt durchaus falſch.
Der kriegeriſche Akt braucht ſeine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das verſteht ſich; aber von einer Wechſelwirkung zwiſchen Zeit und Kraft, wie ſie in der Dynamik ſtatt findet, iſt hier keine Spur.
Die Zeit iſt beiden Kriegfuͤhrenden noͤthig und es fraͤgt ſich nur: welcher von beiden wird, ſeiner Stellung nach, am erſten beſondere Vortheile von ihr zu er- warten haben; dies aber iſt, die Eigenthuͤmlichkeit des einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der Unterliegende; freilich nicht nach dynamiſchen, aber nach
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Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war im Stande
ſich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in
Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf
Öſtreich. Es mußte 1809 ſich in Spanien betraͤchtlich
ſchwaͤchen und wuͤrde es ganz haben aufgeben muͤſſen, wenn
es nicht gegen Öſtreich ſchon eine zu große phyſiſche und
moraliſche Überlegenheit gehabt haͤtte.
Jene drei Inſtanzen muß man ſich alſo wohl uͤber-
legen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren
den man vor den fruͤheren gewonnen hat und dann in
die Koſten verurtheilt zu werden.
Bei dieſer Überlegung der Kraͤfte und deſſen was
damit ausgerichtet werden kann, ſtellt ſich haͤufig der Ge-
danke ein, nach einer dynamiſchen Analogie, die Zeit als
einen Faktor der Kraͤfte anzuſehen und zu meinen: die
halbe Anſtrengung, die halbe Summe von Kraͤften wuͤrde
hinreichen in zwei Jahren Das zu Stande zu bringen was in
einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Dieſe
Anſicht, welche, bald klar bald dunkel, den kriegeriſchen
Entwuͤrfen zum Grunde liegt, iſt durchaus falſch.
Der kriegeriſche Akt braucht ſeine Zeit wie jedes
Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß
von Wilna nach Moskau gehen, das verſteht ſich; aber
von einer Wechſelwirkung zwiſchen Zeit und Kraft, wie ſie
in der Dynamik ſtatt findet, iſt hier keine Spur.
Die Zeit iſt beiden Kriegfuͤhrenden noͤthig und es
fraͤgt ſich nur: welcher von beiden wird, ſeiner Stellung
nach, am erſten beſondere Vortheile von ihr zu er-
warten haben; dies aber iſt, die Eigenthuͤmlichkeit des
einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der
Unterliegende; freilich nicht nach dynamiſchen, aber nach
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/140>, abgerufen am 25.11.2024.
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