eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im acht- zehnten Jahrhundert, zur Zeit der schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an welchem das Volk nur als blindes Instrument Theil nahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wageschale. Die Feld- herren welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden waren Männer die im Auftrag handelten, und eben des- wegen Männer in welchen die Behutsamkeit ein vorherr- schender Charakterzug war; der Gegner der Östreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.
Mußten diese verschiedenen Verhältnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das Äußerste der Unglücksfälle als auf eine nahe Möglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten, und mit- hin zu ganz andern Anstrengungen und Plänen führen, als solche, deren Gegenstand ein Paar Festungen und eine mäßige Provinz sein konnten?
Sie haben es nicht in gehörigem Maaße gethan, wie- wohl die Mächte Preußen und Östreich bei ihren Rüstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphäre hinreichend fühlten. Sie haben es nicht vermocht, weil sie damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzüge von 1805, 1806 und 1809, so wie die späteren, haben es uns so sehr erleichtert den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmettern- den Energie davon zu abstrahiren.
Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahr- scheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politischen Größen und Verhältnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahr-
eine aufmerkſame Betrachtung der Geſchichte. Im acht- zehnten Jahrhundert, zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an welchem das Volk nur als blindes Inſtrument Theil nahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ſtanden die beiderſeitigen Voͤlker in der Wageſchale. Die Feld- herren welche Friedrich dem Großen gegenuͤberſtanden waren Maͤnner die im Auftrag handelten, und eben des- wegen Maͤnner in welchen die Behutſamkeit ein vorherr- ſchender Charakterzug war; der Gegner der Öſtreicher und Preußen war, um es kurz zu ſagen, der Kriegsgott ſelbſt.
Mußten dieſe verſchiedenen Verhaͤltniſſe nicht ganz verſchiedene Betrachtungen veranlaſſen? Mußten ſie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das Äußerſte der Ungluͤcksfaͤlle als auf eine nahe Moͤglichkeit, ja als auf eine große Wahrſcheinlichkeit richten, und mit- hin zu ganz andern Anſtrengungen und Plaͤnen fuͤhren, als ſolche, deren Gegenſtand ein Paar Feſtungen und eine maͤßige Provinz ſein konnten?
Sie haben es nicht in gehoͤrigem Maaße gethan, wie- wohl die Maͤchte Preußen und Öſtreich bei ihren Ruͤſtungen die Gewitterſchwere der politiſchen Atmoſphaͤre hinreichend fuͤhlten. Sie haben es nicht vermocht, weil ſie damals noch nicht ſo deutlich von der Geſchichte entwickelt waren. Eben jene Feldzuͤge von 1805, 1806 und 1809, ſo wie die ſpaͤteren, haben es uns ſo ſehr erleichtert den Begriff des neueren, des abſoluten Krieges in ſeiner zerſchmettern- den Energie davon zu abſtrahiren.
Die Theorie fordert alſo, daß bei jedem Kriege zuerſt ſein Charakter und ſeine großen Umriſſe nach der Wahr- ſcheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politiſchen Groͤßen und Verhaͤltniſſe ergeben. Je mehr nach dieſer Wahr-
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eine aufmerkſame Betrachtung der Geſchichte. Im acht-
zehnten Jahrhundert, zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege, war
der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an
welchem das Volk nur als blindes Inſtrument Theil
nahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ſtanden
die beiderſeitigen Voͤlker in der Wageſchale. Die Feld-
herren welche Friedrich dem Großen gegenuͤberſtanden
waren Maͤnner die im Auftrag handelten, und eben des-
wegen Maͤnner in welchen die Behutſamkeit ein vorherr-
ſchender Charakterzug war; der Gegner der Öſtreicher und
Preußen war, um es kurz zu ſagen, der Kriegsgott ſelbſt.
Mußten dieſe verſchiedenen Verhaͤltniſſe nicht ganz
verſchiedene Betrachtungen veranlaſſen? Mußten ſie nicht
im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das
Äußerſte der Ungluͤcksfaͤlle als auf eine nahe Moͤglichkeit,
ja als auf eine große Wahrſcheinlichkeit richten, und mit-
hin zu ganz andern Anſtrengungen und Plaͤnen fuͤhren, als
ſolche, deren Gegenſtand ein Paar Feſtungen und eine
maͤßige Provinz ſein konnten?
Sie haben es nicht in gehoͤrigem Maaße gethan, wie-
wohl die Maͤchte Preußen und Öſtreich bei ihren Ruͤſtungen
die Gewitterſchwere der politiſchen Atmoſphaͤre hinreichend
fuͤhlten. Sie haben es nicht vermocht, weil ſie damals
noch nicht ſo deutlich von der Geſchichte entwickelt waren.
Eben jene Feldzuͤge von 1805, 1806 und 1809, ſo wie
die ſpaͤteren, haben es uns ſo ſehr erleichtert den Begriff
des neueren, des abſoluten Krieges in ſeiner zerſchmettern-
den Energie davon zu abſtrahiren.
Die Theorie fordert alſo, daß bei jedem Kriege zuerſt
ſein Charakter und ſeine großen Umriſſe nach der Wahr-
ſcheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politiſchen Groͤßen
und Verhaͤltniſſe ergeben. Je mehr nach dieſer Wahr-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten de… [mehr]
Clausewitz' "Vom Kriege" erschien zu Lebzeiten des Autors nicht als selbstständige Publikation. Es wurde posthum, zwischen 1832 und 1834, als Bde. 1-3 der "Hinterlassenen Werke des Generals Carl von Clausewitz" von dessen Witwe Marie von Clausewitz herausgegeben.
Clausewitz, Carl von: Vom Kriege. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clausewitz_krieg03_1834/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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