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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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auch erlaubt sei, solchen Betrachtungen zu dieser
Zeit Raum zu geben? "Ich glaube," fuhr sie
heiter fort, und nahm eine Messerspitze Himmbeer¬
gelee in den kleinen Rosenmund, "ich glaube, es
ist an der ganzen Tafel niemand, der sich mit
wahrhaftem Ernste befassen mögte. Hören Sie
um des Himmels Willen diesen Lärm, kaum daß
die Musik unser Ohr erreicht. Aber sehn Sie,
dort kömmt der wahre Genius der Freude!"
Blauenstein sah vom Teller auf, und erblickte die
hin und her springenden Bedienten mit den
Champagnerflaschen, deren tobender Geist empor
spritzte, und die Gläser schäumend überlief. Den
Damen entfuhr ein kleiner Schreckensschrei, sie
fürchteten für ihre Toilette, und streckten doch die
zarten Hände nach dem ungestümen Kreidewein
aus, um mit den lustigen Nachbarn mit den
klappernden Liliengläsern anzustoßen. Tina cre¬
denzte Blauenstein ein volles Glas, und nippte
vorher ein wenig mit dem würzigen Rosenmunde;
er aber faßte ihre bebende Hand, und stürzte den
Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. "Weshalb
so ungestüm, so rasch?" fragte sie den geistig
Berauschten. "Sie sind wie der Wein, den
Sie trinken!"

"Die Freude, die der Himmel uns zumißt,

auch erlaubt ſei, ſolchen Betrachtungen zu dieſer
Zeit Raum zu geben? „Ich glaube,“ fuhr ſie
heiter fort, und nahm eine Meſſerſpitze Himmbeer¬
gelee in den kleinen Roſenmund, „ich glaube, es
iſt an der ganzen Tafel niemand, der ſich mit
wahrhaftem Ernſte befaſſen moͤgte. Hoͤren Sie
um des Himmels Willen dieſen Laͤrm, kaum daß
die Muſik unſer Ohr erreicht. Aber ſehn Sie,
dort koͤmmt der wahre Genius der Freude!“
Blauenſtein ſah vom Teller auf, und erblickte die
hin und her ſpringenden Bedienten mit den
Champagnerflaſchen, deren tobender Geiſt empor
ſpritzte, und die Glaͤſer ſchaͤumend uͤberlief. Den
Damen entfuhr ein kleiner Schreckensſchrei, ſie
fuͤrchteten fuͤr ihre Toilette, und ſtreckten doch die
zarten Haͤnde nach dem ungeſtuͤmen Kreidewein
aus, um mit den luſtigen Nachbarn mit den
klappernden Lilienglaͤſern anzuſtoßen. Tina cre¬
denzte Blauenſtein ein volles Glas, und nippte
vorher ein wenig mit dem wuͤrzigen Roſenmunde;
er aber faßte ihre bebende Hand, und ſtuͤrzte den
Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. „Weshalb
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Berauſchten. „Sie ſind wie der Wein, den
Sie trinken!“

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[71/0077] auch erlaubt ſei, ſolchen Betrachtungen zu dieſer Zeit Raum zu geben? „Ich glaube,“ fuhr ſie heiter fort, und nahm eine Meſſerſpitze Himmbeer¬ gelee in den kleinen Roſenmund, „ich glaube, es iſt an der ganzen Tafel niemand, der ſich mit wahrhaftem Ernſte befaſſen moͤgte. Hoͤren Sie um des Himmels Willen dieſen Laͤrm, kaum daß die Muſik unſer Ohr erreicht. Aber ſehn Sie, dort koͤmmt der wahre Genius der Freude!“ Blauenſtein ſah vom Teller auf, und erblickte die hin und her ſpringenden Bedienten mit den Champagnerflaſchen, deren tobender Geiſt empor ſpritzte, und die Glaͤſer ſchaͤumend uͤberlief. Den Damen entfuhr ein kleiner Schreckensſchrei, ſie fuͤrchteten fuͤr ihre Toilette, und ſtreckten doch die zarten Haͤnde nach dem ungeſtuͤmen Kreidewein aus, um mit den luſtigen Nachbarn mit den klappernden Lilienglaͤſern anzuſtoßen. Tina cre¬ denzte Blauenſtein ein volles Glas, und nippte vorher ein wenig mit dem wuͤrzigen Roſenmunde; er aber faßte ihre bebende Hand, und ſtuͤrzte den Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. „Weshalb ſo ungeſtuͤm, ſo raſch?“ fragte ſie den geiſtig Berauſchten. „Sie ſind wie der Wein, den Sie trinken!“ „Die Freude, die der Himmel uns zumißt,

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/77>, abgerufen am 18.05.2024.