Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Mann ist noch recht hübsch und kräftig; Sie
kennen doch die Lisette, meiner Schwägerin
Kammermädchen, welche früher hier in Blumenau
diente, die erzählte, sacre dieu, es wird einem
warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle
sein holdes Nichtchen oft im Bette überrascht,
und geküßt habe. Das sagte das Mädchen; das
Übrige folgt leicht von selbst. Und dann, wie
oft war sie nicht bei Präsidents, und wie es da
herging, ist ja weltbekannt!" --

"Haben Sie gehört, Herr Kammerherr?"
fragte die Geheimderäthin triumphirend. Ich
irre mich so leicht nicht, und wenn man so zwanzig
Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man
zuletzt seine Leute!"

"Allerdings!" murmelte der Kammerherr, und
besah sich im goldigen Spiegel des gefüllten Kelch¬
glases. "Aber wo bleibt der Mantel christlicher
Liebe, meine Gnädige, den Sie mir neulich so
angepriesen? Ha, ha ha! -- Ich erinnere mich
einst gelesen zu haben, die Welt sei eigentlich ein
großes Mißverständniß; und ich bin überzeugt,
der Autor meinte hauptsächlich hiermit die Welt,
aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer
schöpfen; meinen Sie nicht auch?"

5*

Mann iſt noch recht huͤbſch und kraͤftig; Sie
kennen doch die Liſette, meiner Schwaͤgerin
Kammermaͤdchen, welche fruͤher hier in Blumenau
diente, die erzaͤhlte, sacre dieu, es wird einem
warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle
ſein holdes Nichtchen oft im Bette uͤberraſcht,
und gekuͤßt habe. Das ſagte das Maͤdchen; das
Übrige folgt leicht von ſelbſt. Und dann, wie
oft war ſie nicht bei Praͤſidents, und wie es da
herging, iſt ja weltbekannt!“ —

„Haben Sie gehoͤrt, Herr Kammerherr?“
fragte die Geheimderaͤthin triumphirend. Ich
irre mich ſo leicht nicht, und wenn man ſo zwanzig
Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man
zuletzt ſeine Leute!“

„Allerdings!“ murmelte der Kammerherr, und
beſah ſich im goldigen Spiegel des gefuͤllten Kelch¬
glaſes. „Aber wo bleibt der Mantel chriſtlicher
Liebe, meine Gnaͤdige, den Sie mir neulich ſo
angeprieſen? Ha, ha ha! — Ich erinnere mich
einſt geleſen zu haben, die Welt ſei eigentlich ein
großes Mißverſtaͤndniß; und ich bin uͤberzeugt,
der Autor meinte hauptſaͤchlich hiermit die Welt,
aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer
ſchoͤpfen; meinen Sie nicht auch?“

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="67"/>
Mann i&#x017F;t noch recht hu&#x0364;b&#x017F;ch und kra&#x0364;ftig; Sie<lb/>
kennen doch die Li&#x017F;ette, meiner Schwa&#x0364;gerin<lb/>
Kammerma&#x0364;dchen, welche fru&#x0364;her hier in Blumenau<lb/>
diente, die erza&#x0364;hlte, <hi rendition="#g">sacre dieu</hi>, es wird einem<lb/>
warm bei den Gedanken! daß der <hi rendition="#g">chere</hi> Oncle<lb/>
&#x017F;ein holdes Nichtchen oft im Bette u&#x0364;berra&#x017F;cht,<lb/>
und geku&#x0364;ßt habe. Das &#x017F;agte das Ma&#x0364;dchen; das<lb/>
Übrige folgt leicht von &#x017F;elb&#x017F;t. Und dann, wie<lb/>
oft war &#x017F;ie nicht bei Pra&#x0364;&#x017F;idents, und wie es da<lb/>
herging, i&#x017F;t ja weltbekannt!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Haben Sie geho&#x0364;rt, Herr Kammerherr?&#x201C;<lb/>
fragte die Geheimdera&#x0364;thin triumphirend. Ich<lb/>
irre mich &#x017F;o leicht nicht, und wenn man &#x017F;o zwanzig<lb/>
Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man<lb/>
zuletzt &#x017F;eine Leute!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Allerdings!&#x201C; murmelte der Kammerherr, und<lb/>
be&#x017F;ah &#x017F;ich im goldigen Spiegel des gefu&#x0364;llten Kelch¬<lb/>
gla&#x017F;es. &#x201E;Aber wo bleibt der Mantel chri&#x017F;tlicher<lb/>
Liebe, meine Gna&#x0364;dige, den Sie mir neulich &#x017F;o<lb/>
angeprie&#x017F;en? Ha, ha ha! &#x2014; Ich erinnere mich<lb/>
ein&#x017F;t gele&#x017F;en zu haben, die Welt &#x017F;ei eigentlich ein<lb/>
großes Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß; und ich bin u&#x0364;berzeugt,<lb/>
der Autor meinte haupt&#x017F;a&#x0364;chlich hiermit die Welt,<lb/>
aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfen; meinen Sie nicht auch?&#x201C;<lb/></p>
        <fw place="bottom" type="sig">5*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0073] Mann iſt noch recht huͤbſch und kraͤftig; Sie kennen doch die Liſette, meiner Schwaͤgerin Kammermaͤdchen, welche fruͤher hier in Blumenau diente, die erzaͤhlte, sacre dieu, es wird einem warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle ſein holdes Nichtchen oft im Bette uͤberraſcht, und gekuͤßt habe. Das ſagte das Maͤdchen; das Übrige folgt leicht von ſelbſt. Und dann, wie oft war ſie nicht bei Praͤſidents, und wie es da herging, iſt ja weltbekannt!“ — „Haben Sie gehoͤrt, Herr Kammerherr?“ fragte die Geheimderaͤthin triumphirend. Ich irre mich ſo leicht nicht, und wenn man ſo zwanzig Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man zuletzt ſeine Leute!“ „Allerdings!“ murmelte der Kammerherr, und beſah ſich im goldigen Spiegel des gefuͤllten Kelch¬ glaſes. „Aber wo bleibt der Mantel chriſtlicher Liebe, meine Gnaͤdige, den Sie mir neulich ſo angeprieſen? Ha, ha ha! — Ich erinnere mich einſt geleſen zu haben, die Welt ſei eigentlich ein großes Mißverſtaͤndniß; und ich bin uͤberzeugt, der Autor meinte hauptſaͤchlich hiermit die Welt, aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer ſchoͤpfen; meinen Sie nicht auch?“ 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/73
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/73>, abgerufen am 24.11.2024.