konnte. Mit geheimer Schadenfreude sah sie, daß das eitle, duftende Antönchen sich neben Fräulein Babet umsonst bemühte, durch schale Witze zu vergessen, daß ihm für den Abend die holde Gegenwart der Comtesse Albertine geraubt sei, und nahm sich nebenbei vor, von den vor¬ trefflichen Speisen auch nicht eine einzige unan¬ gerührt vorübergehn zu lassen. "Vorhin" begann sie grinsend, und wandte sich an den Kammer¬ herrn, welcher ungern von seiner fetten Trüffel¬ pastete abließe, "vorhin waren wir zu oft in un¬ serm Discours gestöhrt; jetzt ist die Gelegenheit günstiger. Was halten Sie so eigentlich von dem Mädchen, der Tina?" "Englische Frau," erwie¬ derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit und wischte mit der Serviette über den Mund, "ich glaube, das Kind mag so übel nicht sein! Daß sie an hübschen jungen Männern Gefallen findet, die sich ihr so zu sagen zur Auswahl prä¬ sentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬ den? Denken Sie an unsere Jugend, wir mach¬ ten es im Grunde nicht besser. Das arme Kind hat keine Mutter; schon dieser Grund enthält reichliche Entschuldigungen!"
"Mein Himmel!" sagte die Geheimderäthin, und schien betroffen, "welche plötzliche Verände¬
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konnte. Mit geheimer Schadenfreude ſah ſie, daß das eitle, duftende Antoͤnchen ſich neben Fraͤulein Babet umſonſt bemuͤhte, durch ſchale Witze zu vergeſſen, daß ihm fuͤr den Abend die holde Gegenwart der Comteſſe Albertine geraubt ſei, und nahm ſich nebenbei vor, von den vor¬ trefflichen Speiſen auch nicht eine einzige unan¬ geruͤhrt voruͤbergehn zu laſſen. „Vorhin“ begann ſie grinſend, und wandte ſich an den Kammer¬ herrn, welcher ungern von ſeiner fetten Truͤffel¬ paſtete abließe, „vorhin waren wir zu oft in un¬ ſerm Discours geſtoͤhrt; jetzt iſt die Gelegenheit guͤnſtiger. Was halten Sie ſo eigentlich von dem Maͤdchen, der Tina?“ „Engliſche Frau,“ erwie¬ derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit und wiſchte mit der Serviette uͤber den Mund, „ich glaube, das Kind mag ſo uͤbel nicht ſein! Daß ſie an huͤbſchen jungen Maͤnnern Gefallen findet, die ſich ihr ſo zu ſagen zur Auswahl praͤ¬ ſentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬ den? Denken Sie an unſere Jugend, wir mach¬ ten es im Grunde nicht beſſer. Das arme Kind hat keine Mutter; ſchon dieſer Grund enthaͤlt reichliche Entſchuldigungen!“
„Mein Himmel!“ ſagte die Geheimderaͤthin, und ſchien betroffen, „welche ploͤtzliche Veraͤnde¬
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konnte. Mit geheimer Schadenfreude ſah ſie,
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Fraͤulein Babet umſonſt bemuͤhte, durch ſchale
Witze zu vergeſſen, daß ihm fuͤr den Abend die
holde Gegenwart der Comteſſe Albertine geraubt
ſei, und nahm ſich nebenbei vor, von den vor¬
trefflichen Speiſen auch nicht eine einzige unan¬
geruͤhrt voruͤbergehn zu laſſen. „Vorhin“ begann
ſie grinſend, und wandte ſich an den Kammer¬
herrn, welcher ungern von ſeiner fetten Truͤffel¬
paſtete abließe, „vorhin waren wir zu oft in un¬
ſerm Discours geſtoͤhrt; jetzt iſt die Gelegenheit
guͤnſtiger. Was halten Sie ſo eigentlich von dem
Maͤdchen, der Tina?“ „Engliſche Frau,“ erwie¬
derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit
und wiſchte mit der Serviette uͤber den Mund,
„ich glaube, das Kind mag ſo uͤbel nicht ſein!
Daß ſie an huͤbſchen jungen Maͤnnern Gefallen
findet, die ſich ihr ſo zu ſagen zur Auswahl praͤ¬
ſentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬
den? Denken Sie an unſere Jugend, wir mach¬
ten es im Grunde nicht beſſer. Das arme Kind
hat keine Mutter; ſchon dieſer Grund enthaͤlt
reichliche Entſchuldigungen!“
„Mein Himmel!“ ſagte die Geheimderaͤthin,
und ſchien betroffen, „welche ploͤtzliche Veraͤnde¬
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/71>, abgerufen am 16.02.2025.
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