Falschheit war ja eines zarten Mädchens Herz nicht fähig! -- Tausend heiße Thränen fielen aus seinem Auge, seine Hand hatte sich krampfhaft geballt, und die wild tobende Phantasie gauckelte furchtbare Schreckbilder ihm vor! -- Aber wozu dieses Brüten, wozu dieser tödtende Schmerz über die falsche Treulosigkeit eines Mädchens? Blauen¬ stein raffte sich auf; mit hastigen Schritten durch¬ wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt rauschte es in dem nahen Gebüsch; es mußte wer in der Nähe sein, ein bunter Schawl wurde sichtbar, und Albertine stand mit all' ihrer Lieb¬ lichkeit und Anmuth vor ihm. "Weshalb entzogen Sie sich unserer Gesellschaft, Herr Baron? fragte Tina und machte ein Gesicht, als wäre das In¬ quiriren ihr eine höchst geläufige Sache. "Sie sind so düster, so still, ich fürchte, es mißfällt Ihnen in unserm Kreise!"
"Düster, still?" fragte Blauenstein, und ging an der Seite des freundlichen Engels wie ein Verdammter, "düster bei Ihnen, Fräulein?"
"Nun," entgegnete Tina mit einem Seufzer, der ihre Schwanenbrust erfüllte, "zeigt dies nicht Ihr ganzes Äußere? -- Es ist Ihnen unangenehm,
Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬ ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬ wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬ lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬ quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt Ihnen in unſerm Kreiſe!“
„Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging an der Seite des freundlichen Engels wie ein Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“
„Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer, der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0046"n="40"/>
Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz<lb/>
nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus<lb/>ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft<lb/>
geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte<lb/>
furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu<lb/>
dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber<lb/>
die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬<lb/>ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬<lb/>
wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er<lb/>
noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt<lb/>
rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte<lb/>
wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde<lb/>ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬<lb/>
lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen<lb/>
Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte<lb/>
Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬<lb/>
quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie<lb/>ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt<lb/>
Ihnen in unſerm Kreiſe!“</p><lb/><p>„Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging<lb/>
an der Seite des freundlichen Engels wie ein<lb/>
Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“</p><lb/><p>„Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer,<lb/>
der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht<lb/>
Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[40/0046]
Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz
nicht faͤhig! — Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus
ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft
geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte
furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu
dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber
die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬
ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬
wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er
noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt
rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte
wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde
ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬
lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen
Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte
Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬
quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. „Sie
ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt
Ihnen in unſerm Kreiſe!“
„Duͤſter, ſtill?“ fragte Blauenſtein, und ging
an der Seite des freundlichen Engels wie ein
Verdammter, „duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?“
„Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer,
der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, „zeigt dies nicht
Ihr ganzes Äußere? — Es iſt Ihnen unangenehm,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/46>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.