Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

ergriffen, sie schien einen sonderbaren Kampf mit
sich zu kämpfen, und wir stöhrten sie in dieser
schmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, sie hatte sich
vielleicht überzeugt, daß sie sich gerade keinen
Windbeuteln anvertraut, und einen Plan für ihre
Zukunft ersonnen, wurde sie heiter und wieder
froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in
seiner lieblichen Klarheit, was mir das nächtliche
Dunkel noch neidisch entzogen hatte. Ich bekam
Zeit, das engelgleiche Wesen zu beschaun, und
war in einem Grade überrascht, den ich nicht in
Worte fassen kann. Dieses herrliche Ebenmaß
in Wuchs und Gesichtsbildung, bei aller Schön¬
heit dieser unvergleichlichen Züge dieser Liebreiz,
diese kindliche Ergebenheit und Demuth, diese
Weichheit des Gefühls! -- nein, ich vermag das
Alles nicht zu beschreiben, was in dem Augen¬
blicke mit himmlischer Gewalt auf mein armes
Herz eindrang! -- --

Adeline ergoß sich noch einmal in heißem
Dankgefühl gegen mich und meinen Freund, ver¬
traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr
wohne, in deren Arme sie sich werfen, daß sie
mir daher nicht weiter beschwerlich fallen wolle,
indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, diese
Reise anzutreten. Bis zur nächsten Stadt müsse

ergriffen, ſie ſchien einen ſonderbaren Kampf mit
ſich zu kaͤmpfen, und wir ſtoͤhrten ſie in dieſer
ſchmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, ſie hatte ſich
vielleicht uͤberzeugt, daß ſie ſich gerade keinen
Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fuͤr ihre
Zukunft erſonnen, wurde ſie heiter und wieder
froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in
ſeiner lieblichen Klarheit, was mir das naͤchtliche
Dunkel noch neidiſch entzogen hatte. Ich bekam
Zeit, das engelgleiche Weſen zu beſchaun, und
war in einem Grade uͤberraſcht, den ich nicht in
Worte faſſen kann. Dieſes herrliche Ebenmaß
in Wuchs und Geſichtsbildung, bei aller Schoͤn¬
heit dieſer unvergleichlichen Zuͤge dieſer Liebreiz,
dieſe kindliche Ergebenheit und Demuth, dieſe
Weichheit des Gefuͤhls! — nein, ich vermag das
Alles nicht zu beſchreiben, was in dem Augen¬
blicke mit himmliſcher Gewalt auf mein armes
Herz eindrang! — —

Adeline ergoß ſich noch einmal in heißem
Dankgefuͤhl gegen mich und meinen Freund, ver¬
traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr
wohne, in deren Arme ſie ſich werfen, daß ſie
mir daher nicht weiter beſchwerlich fallen wolle,
indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, dieſe
Reiſe anzutreten. Bis zur naͤchſten Stadt muͤſſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="212"/>
ergriffen, &#x017F;ie &#x017F;chien einen &#x017F;onderbaren Kampf mit<lb/>
&#x017F;ich zu ka&#x0364;mpfen, und wir &#x017F;to&#x0364;hrten &#x017F;ie in die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;chmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, &#x017F;ie hatte &#x017F;ich<lb/>
vielleicht u&#x0364;berzeugt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich gerade keinen<lb/>
Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fu&#x0364;r ihre<lb/>
Zukunft er&#x017F;onnen, wurde &#x017F;ie heiter und wieder<lb/>
froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in<lb/>
&#x017F;einer lieblichen Klarheit, was mir das na&#x0364;chtliche<lb/>
Dunkel noch neidi&#x017F;ch entzogen hatte. Ich bekam<lb/>
Zeit, das engelgleiche We&#x017F;en zu be&#x017F;chaun, und<lb/>
war in einem Grade u&#x0364;berra&#x017F;cht, den ich nicht in<lb/>
Worte fa&#x017F;&#x017F;en kann. Die&#x017F;es herrliche Ebenmaß<lb/>
in Wuchs und Ge&#x017F;ichtsbildung, bei aller Scho&#x0364;<lb/>
heit die&#x017F;er unvergleichlichen Zu&#x0364;ge die&#x017F;er Liebreiz,<lb/>
die&#x017F;e kindliche Ergebenheit und Demuth, die&#x017F;e<lb/>
Weichheit des Gefu&#x0364;hls! &#x2014; nein, ich vermag das<lb/>
Alles nicht zu be&#x017F;chreiben, was in dem Augen¬<lb/>
blicke mit himmli&#x017F;cher Gewalt auf mein armes<lb/>
Herz eindrang! &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Adeline ergoß &#x017F;ich noch einmal in heißem<lb/>
Dankgefu&#x0364;hl gegen mich und meinen Freund, ver¬<lb/>
traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr<lb/>
wohne, in deren Arme &#x017F;ie &#x017F;ich werfen, daß &#x017F;ie<lb/>
mir daher nicht weiter be&#x017F;chwerlich fallen wolle,<lb/>
indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, die&#x017F;e<lb/>
Rei&#x017F;e anzutreten. Bis zur na&#x0364;ch&#x017F;ten Stadt mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0218] ergriffen, ſie ſchien einen ſonderbaren Kampf mit ſich zu kaͤmpfen, und wir ſtoͤhrten ſie in dieſer ſchmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, ſie hatte ſich vielleicht uͤberzeugt, daß ſie ſich gerade keinen Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fuͤr ihre Zukunft erſonnen, wurde ſie heiter und wieder froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in ſeiner lieblichen Klarheit, was mir das naͤchtliche Dunkel noch neidiſch entzogen hatte. Ich bekam Zeit, das engelgleiche Weſen zu beſchaun, und war in einem Grade uͤberraſcht, den ich nicht in Worte faſſen kann. Dieſes herrliche Ebenmaß in Wuchs und Geſichtsbildung, bei aller Schoͤn¬ heit dieſer unvergleichlichen Zuͤge dieſer Liebreiz, dieſe kindliche Ergebenheit und Demuth, dieſe Weichheit des Gefuͤhls! — nein, ich vermag das Alles nicht zu beſchreiben, was in dem Augen¬ blicke mit himmliſcher Gewalt auf mein armes Herz eindrang! — — Adeline ergoß ſich noch einmal in heißem Dankgefuͤhl gegen mich und meinen Freund, ver¬ traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr wohne, in deren Arme ſie ſich werfen, daß ſie mir daher nicht weiter beſchwerlich fallen wolle, indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, dieſe Reiſe anzutreten. Bis zur naͤchſten Stadt muͤſſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/218
Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/218>, abgerufen am 27.11.2024.