winnen könne, und erinnerte mich zuletzt an die Scheidestunde. "Sein Sie nicht grausam, theure Antonie," flehte ich mit emporgehobenen Händen, "diese Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie wollen sie mir freventlich abkürzen?" -- "Doch, doch, es muß sein!" sagte meine Marie dringend, und legte ihr Köpfchen an meine Schulter. "Aber wir sehn uns bald wieder! Der Mittwoch sei unserer Zusammenkunft bei Antonie geweiht. Nicht wahr, mein Mädchen, Du wirst nicht böse?" --
Diese süße, holde Natürlichkeit brachte mich ganz aus aller Fassung; ich konnte von dem Engel nicht loskommen, immer zog es mich wieder in ihre keuschen Arme, jeder Kuß, den mir ihre würzigen Lippen mit bräutlicher Hingebung boten, sollte der Abschiedskuß sein, und doch stand ich noch immer, meinen Arm um sie geschlungen, das Land der paradiesischen Liebe hatte sich mir geöffnet, und ihr Zauber umsing meine Sinne! Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie zu arg, sie ergriff eine Weinranke, und verfolgte mich, wie der erzürnte Engel mit dem Flammen¬ schwert im Paradiese, bis zur Gartenthür; noch einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬ nehmen, aber es wurde nicht verstattet, und ich
winnen koͤnne, und erinnerte mich zuletzt an die Scheideſtunde. „Sein Sie nicht grauſam, theure Antonie,“ flehte ich mit emporgehobenen Haͤnden, „dieſe Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie wollen ſie mir freventlich abkuͤrzen?“ — „Doch, doch, es muß ſein!“ ſagte meine Marie dringend, und legte ihr Koͤpfchen an meine Schulter. „Aber wir ſehn uns bald wieder! Der Mittwoch ſei unſerer Zuſammenkunft bei Antonie geweiht. Nicht wahr, mein Maͤdchen, Du wirſt nicht boͤſe?“ —
Dieſe ſuͤße, holde Natuͤrlichkeit brachte mich ganz aus aller Faſſung; ich konnte von dem Engel nicht loskommen, immer zog es mich wieder in ihre keuſchen Arme, jeder Kuß, den mir ihre wuͤrzigen Lippen mit braͤutlicher Hingebung boten, ſollte der Abſchiedskuß ſein, und doch ſtand ich noch immer, meinen Arm um ſie geſchlungen, das Land der paradieſiſchen Liebe hatte ſich mir geoͤffnet, und ihr Zauber umſing meine Sinne! Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie zu arg, ſie ergriff eine Weinranke, und verfolgte mich, wie der erzuͤrnte Engel mit dem Flammen¬ ſchwert im Paradieſe, bis zur Gartenthuͤr; noch einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬ nehmen, aber es wurde nicht verſtattet, und ich
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winnen koͤnne, und erinnerte mich zuletzt an die
Scheideſtunde. „Sein Sie nicht grauſam, theure
Antonie,“ flehte ich mit emporgehobenen Haͤnden,
„dieſe Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie
wollen ſie mir freventlich abkuͤrzen?“ — „Doch,
doch, es muß ſein!“ ſagte meine Marie dringend,
und legte ihr Koͤpfchen an meine Schulter. „Aber
wir ſehn uns bald wieder! Der Mittwoch ſei
unſerer Zuſammenkunft bei Antonie geweiht.
Nicht wahr, mein Maͤdchen, Du wirſt nicht
boͤſe?“ —
Dieſe ſuͤße, holde Natuͤrlichkeit brachte mich
ganz aus aller Faſſung; ich konnte von dem
Engel nicht loskommen, immer zog es mich
wieder in ihre keuſchen Arme, jeder Kuß, den mir
ihre wuͤrzigen Lippen mit braͤutlicher Hingebung
boten, ſollte der Abſchiedskuß ſein, und doch ſtand
ich noch immer, meinen Arm um ſie geſchlungen,
das Land der paradieſiſchen Liebe hatte ſich mir
geoͤffnet, und ihr Zauber umſing meine Sinne!
Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie
zu arg, ſie ergriff eine Weinranke, und verfolgte
mich, wie der erzuͤrnte Engel mit dem Flammen¬
ſchwert im Paradieſe, bis zur Gartenthuͤr; noch
einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬
nehmen, aber es wurde nicht verſtattet, und ich
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/154>, abgerufen am 18.12.2024.
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