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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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alte Weiber aus der gewöhnlichen Classe saßen
hier, schlürften mit widrigem Appetit Kaffee, und
verschlangen einen Berg von kleinen Milchbroden.
Sie sollten also noch kommen. Wie konnte ich
auch erwarten, die beiden Mädchen schon zu finden,
da ich so über die Maßen gelaufen war! --
Kam nicht durch die hohe eiserne Gartenthür
etwas? Richtig; aber nicht zwei, sondern drei
Damen, und die sehnlich Erwarteten waren nicht
dabei! Es verging eine schmerzliche Viertelstunde
nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬
rückter von einem Gange des herrlichen Gartens
zum andern, und niemand erschien. Wie oft war
ich schon hier gewesen, wie hatte ich mich ergötzt
an den tausend herrlichen Blumen des Auslandes,
die hier in den großen Gewächshäusern so üppig
gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen
Reiz für das ungestüme Herz. Nur um nicht
mehr von dem Burschen verlacht zu werden, denn
der Mensch verlor mich nicht aus dem Auge,
trat ich vor einen Glasverschlag, und blickte gleich¬
gültig nach dem großen Cactus *), dessen gelbliche
Düte so würzigen Duft spendet und in einem
gelben Blätterstrahle wie eine Sonne glänzt,

*) Cactus grandiflorus.

alte Weiber aus der gewoͤhnlichen Claſſe ſaßen
hier, ſchluͤrften mit widrigem Appetit Kaffee, und
verſchlangen einen Berg von kleinen Milchbroden.
Sie ſollten alſo noch kommen. Wie konnte ich
auch erwarten, die beiden Maͤdchen ſchon zu finden,
da ich ſo uͤber die Maßen gelaufen war! —
Kam nicht durch die hohe eiſerne Gartenthuͤr
etwas? Richtig; aber nicht zwei, ſondern drei
Damen, und die ſehnlich Erwarteten waren nicht
dabei! Es verging eine ſchmerzliche Viertelſtunde
nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬
ruͤckter von einem Gange des herrlichen Gartens
zum andern, und niemand erſchien. Wie oft war
ich ſchon hier geweſen, wie hatte ich mich ergoͤtzt
an den tauſend herrlichen Blumen des Auslandes,
die hier in den großen Gewaͤchshaͤuſern ſo uͤppig
gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen
Reiz fuͤr das ungeſtuͤme Herz. Nur um nicht
mehr von dem Burſchen verlacht zu werden, denn
der Menſch verlor mich nicht aus dem Auge,
trat ich vor einen Glasverſchlag, und blickte gleich¬
guͤltig nach dem großen Cactus *), deſſen gelbliche
Duͤte ſo wuͤrzigen Duft ſpendet und in einem
gelben Blaͤtterſtrahle wie eine Sonne glaͤnzt,

*) Cactus grandiflorus.
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[138/0144] alte Weiber aus der gewoͤhnlichen Claſſe ſaßen hier, ſchluͤrften mit widrigem Appetit Kaffee, und verſchlangen einen Berg von kleinen Milchbroden. Sie ſollten alſo noch kommen. Wie konnte ich auch erwarten, die beiden Maͤdchen ſchon zu finden, da ich ſo uͤber die Maßen gelaufen war! — Kam nicht durch die hohe eiſerne Gartenthuͤr etwas? Richtig; aber nicht zwei, ſondern drei Damen, und die ſehnlich Erwarteten waren nicht dabei! Es verging eine ſchmerzliche Viertelſtunde nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬ ruͤckter von einem Gange des herrlichen Gartens zum andern, und niemand erſchien. Wie oft war ich ſchon hier geweſen, wie hatte ich mich ergoͤtzt an den tauſend herrlichen Blumen des Auslandes, die hier in den großen Gewaͤchshaͤuſern ſo uͤppig gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen Reiz fuͤr das ungeſtuͤme Herz. Nur um nicht mehr von dem Burſchen verlacht zu werden, denn der Menſch verlor mich nicht aus dem Auge, trat ich vor einen Glasverſchlag, und blickte gleich¬ guͤltig nach dem großen Cactus *), deſſen gelbliche Duͤte ſo wuͤrzigen Duft ſpendet und in einem gelben Blaͤtterſtrahle wie eine Sonne glaͤnzt, *) Cactus grandiflorus.

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/144>, abgerufen am 18.05.2024.