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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Bewegung; die jungen und ältern Herrn beugten
sich tief vor der Wundergestalt der vollendeten
Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen
Gästen Platz.

Der Probst zeigte sich mir als sehr zuvor¬
kommend und artig; er zog über meine Geige
freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß
ich heute Abend mein Meisterstück machen könne.
"Wir haben," fuhr er fort und zeigte nach einem
im Nebenzimmer befindlichen Notenstoße, bei
welchem mir angst und bange wurde, "wir haben
heute vortreffliche Musikalien; die vor wenigen
Minuten eintretende junge Dame, Fräulein von
Struen, singt köstlich, und nimmt es bei Gott
mit unsern besten Theatersängerinnen auf. Sie
kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unseres
Capellmeisters, das soll uns heute Abend ergötzen,
und Sie sind so gut, und übernehmen die ob¬
ligate Geige!"

Ich erschrak, aber ehe ich einer Antwort fähig
war, hatte sich der Probst entfernt, und sprach
mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erst hatte
ich Zeit und Gelegenheit, das schöne Mädchen
von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war so
etwas noch nicht erschienen, diese himmlische Milde,

Bewegung; die jungen und aͤltern Herrn beugten
ſich tief vor der Wundergeſtalt der vollendeten
Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen
Gaͤſten Platz.

Der Probſt zeigte ſich mir als ſehr zuvor¬
kommend und artig; er zog uͤber meine Geige
freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß
ich heute Abend mein Meiſterſtuͤck machen koͤnne.
„Wir haben,“ fuhr er fort und zeigte nach einem
im Nebenzimmer befindlichen Notenſtoße, bei
welchem mir angſt und bange wurde, „wir haben
heute vortreffliche Muſikalien; die vor wenigen
Minuten eintretende junge Dame, Fraͤulein von
Struen, ſingt koͤſtlich, und nimmt es bei Gott
mit unſern beſten Theaterſaͤngerinnen auf. Sie
kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unſeres
Capellmeiſters, das ſoll uns heute Abend ergoͤtzen,
und Sie ſind ſo gut, und uͤbernehmen die ob¬
ligate Geige!“

Ich erſchrak, aber ehe ich einer Antwort faͤhig
war, hatte ſich der Probſt entfernt, und ſprach
mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erſt hatte
ich Zeit und Gelegenheit, das ſchoͤne Maͤdchen
von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war ſo
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[123/0129] Bewegung; die jungen und aͤltern Herrn beugten ſich tief vor der Wundergeſtalt der vollendeten Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen Gaͤſten Platz. Der Probſt zeigte ſich mir als ſehr zuvor¬ kommend und artig; er zog uͤber meine Geige freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß ich heute Abend mein Meiſterſtuͤck machen koͤnne. „Wir haben,“ fuhr er fort und zeigte nach einem im Nebenzimmer befindlichen Notenſtoße, bei welchem mir angſt und bange wurde, „wir haben heute vortreffliche Muſikalien; die vor wenigen Minuten eintretende junge Dame, Fraͤulein von Struen, ſingt koͤſtlich, und nimmt es bei Gott mit unſern beſten Theaterſaͤngerinnen auf. Sie kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unſeres Capellmeiſters, das ſoll uns heute Abend ergoͤtzen, und Sie ſind ſo gut, und uͤbernehmen die ob¬ ligate Geige!“ Ich erſchrak, aber ehe ich einer Antwort faͤhig war, hatte ſich der Probſt entfernt, und ſprach mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erſt hatte ich Zeit und Gelegenheit, das ſchoͤne Maͤdchen von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war ſo etwas noch nicht erſchienen, dieſe himmliſche Milde,

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/129>, abgerufen am 05.12.2024.