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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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"Nun, nun!" erwiederte der Oncle, "was ist
denn da weiter; ein junges Mädchen kann ja
wohl nach einem Balle ein wenig unpaß sein!
Aber der Ball," fuhr er fort, und wußte sich in
Staunitz gar nicht zu finden, "der Ball war wohl
eigentlich die wahre Ursache nicht. Mir scheint
der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir
einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie
etwas gegen unser Tinchen, ist Ihre Liebe nicht
mehr die alte, ist die treue Anhänglichkeit ver¬
schwunden? -- Es giebt der Fälle mehr in der
Welt, denn für sein Herz kann ja niemand stehn,
das ist bekannt. Aber aus Tinas Benehmen
ging hervor, daß etwas der Art zwischen Euch
Leutchen vorgefallen sein mußte."

"Lieber Vetter!" rief Staunitz und drückte
des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, "wie
können Sie so etwas ahnen, oder glauben! Ich
liebe Albertine wie meine Schwester, und ich
habe keine Ursache, an ihrer Gegenneigung zu
zweifeln. Hat sie Ihnen etwas gesagt, oder
woraus schließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬
keit entstanden sein könne?"

"Aufrichtig gesagt," erwiederte Heinrich, und
war beinahe verlegener, als der junge Mann,

„Nun, nun!“ erwiederte der Oncle, „was iſt
denn da weiter; ein junges Maͤdchen kann ja
wohl nach einem Balle ein wenig unpaß ſein!
Aber der Ball,“ fuhr er fort, und wußte ſich in
Staunitz gar nicht zu finden, „der Ball war wohl
eigentlich die wahre Urſache nicht. Mir ſcheint
der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir
einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie
etwas gegen unſer Tinchen, iſt Ihre Liebe nicht
mehr die alte, iſt die treue Anhaͤnglichkeit ver¬
ſchwunden? — Es giebt der Faͤlle mehr in der
Welt, denn fuͤr ſein Herz kann ja niemand ſtehn,
das iſt bekannt. Aber aus Tinas Benehmen
ging hervor, daß etwas der Art zwiſchen Euch
Leutchen vorgefallen ſein mußte.“

„Lieber Vetter!“ rief Staunitz und druͤckte
des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, „wie
koͤnnen Sie ſo etwas ahnen, oder glauben! Ich
liebe Albertine wie meine Schweſter, und ich
habe keine Urſache, an ihrer Gegenneigung zu
zweifeln. Hat ſie Ihnen etwas geſagt, oder
woraus ſchließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬
keit entſtanden ſein koͤnne?“

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war beinahe verlegener, als der junge Mann,

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[101/0107] „Nun, nun!“ erwiederte der Oncle, „was iſt denn da weiter; ein junges Maͤdchen kann ja wohl nach einem Balle ein wenig unpaß ſein! Aber der Ball,“ fuhr er fort, und wußte ſich in Staunitz gar nicht zu finden, „der Ball war wohl eigentlich die wahre Urſache nicht. Mir ſcheint der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie etwas gegen unſer Tinchen, iſt Ihre Liebe nicht mehr die alte, iſt die treue Anhaͤnglichkeit ver¬ ſchwunden? — Es giebt der Faͤlle mehr in der Welt, denn fuͤr ſein Herz kann ja niemand ſtehn, das iſt bekannt. Aber aus Tinas Benehmen ging hervor, daß etwas der Art zwiſchen Euch Leutchen vorgefallen ſein mußte.“ „Lieber Vetter!“ rief Staunitz und druͤckte des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, „wie koͤnnen Sie ſo etwas ahnen, oder glauben! Ich liebe Albertine wie meine Schweſter, und ich habe keine Urſache, an ihrer Gegenneigung zu zweifeln. Hat ſie Ihnen etwas geſagt, oder woraus ſchließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬ keit entſtanden ſein koͤnne?“ „Aufrichtig geſagt,“ erwiederte Heinrich, und war beinahe verlegener, als der junge Mann,

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/107>, abgerufen am 05.12.2024.