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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Vorrede.
in nichts anders bestehen, als daß man alle
Theile einer solchen Rede mit Erzehlungen
und Geschichten, die anmuthig und bewegend
sind, gleichsam zu durchflechten weiß. Eine
Geschichte deutlich und annehmlich zu erzeh-
len wissen, kan man fast vor mehr, als vor
die Helfte der Beredsamkeit ansehen. Sollte
also einem Redner die allgemeine Geschichts-
wissenschaft nicht eben so dienlich seyn, als er
die Regeln der Vernunftlehre zu wissen unum-
gänglich nöthig hat?

Doch die Gewißheit ist allem andern
Schmucke weit vorzuziehen, in welchen man
die Wahrheit nicht ohne Nutzen einkleiden kan.
Alle Bemühungen der Gelehrten sollen deswe-
gen zuförderst auf jene edle Eigenschaft gerichtet
seyn. Die neuere Lehre von der Wahrschein-
lichkeit aber, würde der Gewißheit einen uner-
setzlichen Schaden zufügen, wenn sie auf die
Art weiter getrieben werden sollte, wie sie ge-
trieben zu werden angefangen hat. Die
Wahrscheinlichkeit ist einmahl nichts anders,
als eine Art der Ungewißheit; und wo man
es nicht weiter als auf eine, obgleich große
Wahrscheinlichkeit, bringen kan, da muß man
sich auch die Ungewißheit gefallen lassen. Man
urtheile, ob meine Bemühung, folgende Sätze

zu

Vorrede.
in nichts anders beſtehen, als daß man alle
Theile einer ſolchen Rede mit Erzehlungen
und Geſchichten, die anmuthig und bewegend
ſind, gleichſam zu durchflechten weiß. Eine
Geſchichte deutlich und annehmlich zu erzeh-
len wiſſen, kan man faſt vor mehr, als vor
die Helfte der Beredſamkeit anſehen. Sollte
alſo einem Redner die allgemeine Geſchichts-
wiſſenſchaft nicht eben ſo dienlich ſeyn, als er
die Regeln der Vernunftlehre zu wiſſen unum-
gaͤnglich noͤthig hat?

Doch die Gewißheit iſt allem andern
Schmucke weit vorzuziehen, in welchen man
die Wahrheit nicht ohne Nutzen einkleiden kan.
Alle Bemuͤhungen der Gelehrten ſollen deswe-
gen zufoͤrderſt auf jene edle Eigenſchaft gerichtet
ſeyn. Die neuere Lehre von der Wahrſchein-
lichkeit aber, wuͤrde der Gewißheit einen uner-
ſetzlichen Schaden zufuͤgen, wenn ſie auf die
Art weiter getrieben werden ſollte, wie ſie ge-
trieben zu werden angefangen hat. Die
Wahrſcheinlichkeit iſt einmahl nichts anders,
als eine Art der Ungewißheit; und wo man
es nicht weiter als auf eine, obgleich große
Wahrſcheinlichkeit, bringen kan, da muß man
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[0024] Vorrede. in nichts anders beſtehen, als daß man alle Theile einer ſolchen Rede mit Erzehlungen und Geſchichten, die anmuthig und bewegend ſind, gleichſam zu durchflechten weiß. Eine Geſchichte deutlich und annehmlich zu erzeh- len wiſſen, kan man faſt vor mehr, als vor die Helfte der Beredſamkeit anſehen. Sollte alſo einem Redner die allgemeine Geſchichts- wiſſenſchaft nicht eben ſo dienlich ſeyn, als er die Regeln der Vernunftlehre zu wiſſen unum- gaͤnglich noͤthig hat? Doch die Gewißheit iſt allem andern Schmucke weit vorzuziehen, in welchen man die Wahrheit nicht ohne Nutzen einkleiden kan. Alle Bemuͤhungen der Gelehrten ſollen deswe- gen zufoͤrderſt auf jene edle Eigenſchaft gerichtet ſeyn. Die neuere Lehre von der Wahrſchein- lichkeit aber, wuͤrde der Gewißheit einen uner- ſetzlichen Schaden zufuͤgen, wenn ſie auf die Art weiter getrieben werden ſollte, wie ſie ge- trieben zu werden angefangen hat. Die Wahrſcheinlichkeit iſt einmahl nichts anders, als eine Art der Ungewißheit; und wo man es nicht weiter als auf eine, obgleich große Wahrſcheinlichkeit, bringen kan, da muß man ſich auch die Ungewißheit gefallen laſſen. Man urtheile, ob meine Bemuͤhung, folgende Saͤtze zu

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/24>, abgerufen am 03.05.2024.