Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Weltanschauung und Religion. weil man eine neue Gruppe bilden will, die der Mystiker, die bis zuBöhme und Angelus Silesius führen soll; und zu diesem Behufe wird Eckhart von Erigena, von Amalrich, von Bonaventura losgerissen! Und damit nichts fehle, was die Künstlichkeit des Systems darthue, bleibt der grosse Franz von Assisi überhaupt ausgeschlossen: der Mann, der vielleicht mehr als irgend ein anderer auf die Richtung der Geister gewirkt hat, der Mann, zu dessen Orden Duns Scotus und Occam gehören, zu dem sich der Erneuerer der Naturforschung, Roger Bacon, bekennt, und der das Wiederaufleben der Mystik, wie kein anderer, durch die Macht seiner Persönlichkeit verursacht hat! Dieser Mann, der nach jeder Richtung hin eine wahre Kulturgewalt bedeutet -- da er auf die Kunst ebenso mächtig wie auf die Weltanschauung gewirkt hat -- kommt überhaupt in der Geschichte der Philosophie nicht vor, wodurch die Lückenhaftigkeit des gerügten Schemas und zugleich auch die Unhaltbarkeit der Vorstellung, Religion und Weltanschauung seien zwei prinzipiell verschiedene Dinge, klar hervortritt. Ich meine nun, den Notbrückenbau, der mich augenblicklich be-Rom und Weltanschauung und Religion. weil man eine neue Gruppe bilden will, die der Mystiker, die bis zuBöhme und Angelus Silesius führen soll; und zu diesem Behufe wird Eckhart von Erigena, von Amalrich, von Bonaventura losgerissen! Und damit nichts fehle, was die Künstlichkeit des Systems darthue, bleibt der grosse Franz von Assisi überhaupt ausgeschlossen: der Mann, der vielleicht mehr als irgend ein anderer auf die Richtung der Geister gewirkt hat, der Mann, zu dessen Orden Duns Scotus und Occam gehören, zu dem sich der Erneuerer der Naturforschung, Roger Bacon, bekennt, und der das Wiederaufleben der Mystik, wie kein anderer, durch die Macht seiner Persönlichkeit verursacht hat! Dieser Mann, der nach jeder Richtung hin eine wahre Kulturgewalt bedeutet — da er auf die Kunst ebenso mächtig wie auf die Weltanschauung gewirkt hat — kommt überhaupt in der Geschichte der Philosophie nicht vor, wodurch die Lückenhaftigkeit des gerügten Schemas und zugleich auch die Unhaltbarkeit der Vorstellung, Religion und Weltanschauung seien zwei prinzipiell verschiedene Dinge, klar hervortritt. 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Was wir<lb/> hier antreffen, ist derselbe Kampf, dieselbe Auflehnung wie an anderen<lb/> Orten: auf der einen Seite das aus dem Völkerchaos hervorgegangene<lb/> römische Ideal, auf der anderen germanische Eigenart. Dass Rom in<lb/> der Philosophie ebenso wie in der Religion und in der Politik sich<lb/> mit nichts Geringerem als dem unbedingt Absoluten zufrieden geben<lb/> kann, habe ich schon früher gezeigt. Der <hi rendition="#i">sacrifizio dell’ intelletto</hi> ist das<lb/> erste Gesetz, das es jedem denkenden Menschen auferlegt. Es ist das auch<lb/> durchaus logisch und gerechtfertigt. Dass sittliche Höhe damit vereinbar<lb/> ist, zeigt gerade Thomas von Aquin. Begabt mit jener eigentümlichen,<lb/> verhängnisvollen Anlage des Germanen, sich in fremde Anschauungen zu<lb/> vertiefen und sie nun, dank seiner ungleich höheren Begabung, gewisser-<lb/> massen verklärt und zu neuem Leben erweckt zu gebären, hat Thomas<lb/> — der das südliche Gift von Kindheit auf eingesogen hatte — ger-<lb/> manische Wissenschaft und Überzeugungskraft in den Dienst der anti-<lb/> germanischen Sache gestellt. Früher hatten die Germanen Soldaten<lb/> und Imperatoren gegen ihre eigenen Völker ins Feld geschickt, jetzt<lb/> stellten sie Theologen und Philosophen in den Dienst des Feindes; es ge-<lb/> schieht heute noch wie seit 2000 Jahren. Doch empfindet jeder unbe-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [867/0346]
Weltanschauung und Religion.
weil man eine neue Gruppe bilden will, die der Mystiker, die bis zu
Böhme und Angelus Silesius führen soll; und zu diesem Behufe wird
Eckhart von Erigena, von Amalrich, von Bonaventura losgerissen! Und
damit nichts fehle, was die Künstlichkeit des Systems darthue, bleibt
der grosse Franz von Assisi überhaupt ausgeschlossen: der Mann, der
vielleicht mehr als irgend ein anderer auf die Richtung der Geister
gewirkt hat, der Mann, zu dessen Orden Duns Scotus und Occam
gehören, zu dem sich der Erneuerer der Naturforschung, Roger Bacon,
bekennt, und der das Wiederaufleben der Mystik, wie kein anderer,
durch die Macht seiner Persönlichkeit verursacht hat! Dieser Mann,
der nach jeder Richtung hin eine wahre Kulturgewalt bedeutet — da
er auf die Kunst ebenso mächtig wie auf die Weltanschauung gewirkt
hat — kommt überhaupt in der Geschichte der Philosophie nicht vor,
wodurch die Lückenhaftigkeit des gerügten Schemas und zugleich auch
die Unhaltbarkeit der Vorstellung, Religion und Weltanschauung seien
zwei prinzipiell verschiedene Dinge, klar hervortritt.
Ich meine nun, den Notbrückenbau, der mich augenblicklich be-
schäftigt, wesentlich gefördert zu haben, wenn es mir gelungen ist,
an Stelle jenes künstlichen Schemas eine lebendige Einsicht zu setzen.
Eine derartige Einsicht muss natürlich (hier wie überall) aus dem Leben
selbst, nicht aus abgezogenen Begriffen gewonnen werden. Was wir
hier antreffen, ist derselbe Kampf, dieselbe Auflehnung wie an anderen
Orten: auf der einen Seite das aus dem Völkerchaos hervorgegangene
römische Ideal, auf der anderen germanische Eigenart. Dass Rom in
der Philosophie ebenso wie in der Religion und in der Politik sich
mit nichts Geringerem als dem unbedingt Absoluten zufrieden geben
kann, habe ich schon früher gezeigt. Der sacrifizio dell’ intelletto ist das
erste Gesetz, das es jedem denkenden Menschen auferlegt. Es ist das auch
durchaus logisch und gerechtfertigt. Dass sittliche Höhe damit vereinbar
ist, zeigt gerade Thomas von Aquin. Begabt mit jener eigentümlichen,
verhängnisvollen Anlage des Germanen, sich in fremde Anschauungen zu
vertiefen und sie nun, dank seiner ungleich höheren Begabung, gewisser-
massen verklärt und zu neuem Leben erweckt zu gebären, hat Thomas
— der das südliche Gift von Kindheit auf eingesogen hatte — ger-
manische Wissenschaft und Überzeugungskraft in den Dienst der anti-
germanischen Sache gestellt. Früher hatten die Germanen Soldaten
und Imperatoren gegen ihre eigenen Völker ins Feld geschickt, jetzt
stellten sie Theologen und Philosophen in den Dienst des Feindes; es ge-
schieht heute noch wie seit 2000 Jahren. Doch empfindet jeder unbe-
Rom und
Anti-Rom.
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