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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
Zweck derselbe war -- nämlich Vernunft und Theologie in Einklang zu
bringen -- Methode und Ergebnisse so weit auseinandergehen, dass es
geradezu lächerlich ist, derartige Gegensätze, der äusseren Berührungs-
punkte wegen, zusammen zu stellen?1) Und was heisst das, wenn
man die geschworenen Gegner, die diametralen Gegensätze des Thomas,
Duns Scotus und Occam, ganz eng mit dem doctor angelicus paart?
wenn man uns einreden will, es handle sich lediglich um feine meta-
physische Differenzen zwischen Realismus und Nominalismus? Im Gegen-
teil, gerade diese metaphysischen Tüfteleien sind die bloss äussere Schale,
der wahre Unterschied ist die tiefe Kluft, welche eine Geistesrichtung
von der anderen trennt, ist die Thatsache, dass verschiedene Charaktere
aus demselben Metall sich ganz verschiedene Waffen schmieden. Pflicht
des Historikers ist es, dasjenige hervorzuheben, was nicht ein Jeder
sofort einsieht, das zu unterscheiden, was zunächst einförmig dünkt,
während es in Wirklichkeit tief innerlich auseinanderstrebt, und da-
gegen das zu vereinen, was, wie z. B. Duns Scotus und Eckhart, an-
scheinend sich widerspricht, doch im tiefsten Wesen übereinstimmt.
Martin Luther hatte den Unterschied zwischen diesen verschiedenen
Doktoren recht wohl und tief empfunden; in einem Tischgespräch sagt
er: "Duns Scotus hat sehr wohl geschrieben ..... und hat sich be-
flissen, fein ordentlich und richtig von den Sachen zu lehren. Occam
ist ein verständiger und sinnreicher Mann gewesen ..... Thomas
Aquinas ist ein Wäscher und Schwätzer."2) Und ist es nicht vollendet
lächerlich, wenn ein Roger Bacon, der Erfinder des Teleskops, der
Begründer wissenschaftlicher Mathematik und Philologie, der Verkünder
echter Naturforschung, in einen Topf geworfen wird mit den Leuten,
die alles zu wissen vorgaben und darum diesem selben Roger Bacon
den Mund stopften und ihn ins Gefängnis warfen? Zum Schluss frage
ich noch: wenn Erigena ein Scholastiker ist und ebenfalls Amalrich,
wie kommt es, dass Eckhart, der offenbar zu Beiden in unmittelbarem
Lehnsverhältnis steht, keiner mehr ist, und zwar trotzdem er ein Zeit-
genosse von Thomas und Duns ist? Ich weiss, es geschieht lediglich,

1) Da ich mich nicht wiederholen will, verweise ich für Abälard auf S. 469 fg.
und 246 Anm.
2) Ich citiere nach der Ausgabe Jena 1591, Fol. 329; in den verbreiteten
neuen Auswahlen findet man diese Stelle, sowie die übrigen "von den Scholasticis
ingemein", nicht, in denen Luther über seine Studienzeit seufzt: "da feine, geschickte
Leute wären mit unnützen Lectionibus und Büchern zu hören und zu lesen be-
schwert worden, mit seltsamen, undeutschen, sophistischen Worten -- -- -- --."

Die Entstehung einer neuen Welt.
Zweck derselbe war — nämlich Vernunft und Theologie in Einklang zu
bringen — Methode und Ergebnisse so weit auseinandergehen, dass es
geradezu lächerlich ist, derartige Gegensätze, der äusseren Berührungs-
punkte wegen, zusammen zu stellen?1) Und was heisst das, wenn
man die geschworenen Gegner, die diametralen Gegensätze des Thomas,
Duns Scotus und Occam, ganz eng mit dem doctor angelicus paart?
wenn man uns einreden will, es handle sich lediglich um feine meta-
physische Differenzen zwischen Realismus und Nominalismus? Im Gegen-
teil, gerade diese metaphysischen Tüfteleien sind die bloss äussere Schale,
der wahre Unterschied ist die tiefe Kluft, welche eine Geistesrichtung
von der anderen trennt, ist die Thatsache, dass verschiedene Charaktere
aus demselben Metall sich ganz verschiedene Waffen schmieden. Pflicht
des Historikers ist es, dasjenige hervorzuheben, was nicht ein Jeder
sofort einsieht, das zu unterscheiden, was zunächst einförmig dünkt,
während es in Wirklichkeit tief innerlich auseinanderstrebt, und da-
gegen das zu vereinen, was, wie z. B. Duns Scotus und Eckhart, an-
scheinend sich widerspricht, doch im tiefsten Wesen übereinstimmt.
Martin Luther hatte den Unterschied zwischen diesen verschiedenen
Doktoren recht wohl und tief empfunden; in einem Tischgespräch sagt
er: »Duns Scotus hat sehr wohl geschrieben ..... und hat sich be-
flissen, fein ordentlich und richtig von den Sachen zu lehren. Occam
ist ein verständiger und sinnreicher Mann gewesen ..... Thomas
Aquinas ist ein Wäscher und Schwätzer.«2) Und ist es nicht vollendet
lächerlich, wenn ein Roger Bacon, der Erfinder des Teleskops, der
Begründer wissenschaftlicher Mathematik und Philologie, der Verkünder
echter Naturforschung, in einen Topf geworfen wird mit den Leuten,
die alles zu wissen vorgaben und darum diesem selben Roger Bacon
den Mund stopften und ihn ins Gefängnis warfen? Zum Schluss frage
ich noch: wenn Erigena ein Scholastiker ist und ebenfalls Amalrich,
wie kommt es, dass Eckhart, der offenbar zu Beiden in unmittelbarem
Lehnsverhältnis steht, keiner mehr ist, und zwar trotzdem er ein Zeit-
genosse von Thomas und Duns ist? Ich weiss, es geschieht lediglich,

1) Da ich mich nicht wiederholen will, verweise ich für Abälard auf S. 469 fg.
und 246 Anm.
2) Ich citiere nach der Ausgabe Jena 1591, Fol. 329; in den verbreiteten
neuen Auswahlen findet man diese Stelle, sowie die übrigen »von den Scholasticis
ingemein«, nicht, in denen Luther über seine Studienzeit seufzt: »da feine, geschickte
Leute wären mit unnützen Lectionibus und Büchern zu hören und zu lesen be-
schwert worden, mit seltsamen, undeutschen, sophistischen Worten — — — —.«
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[866/0345] Die Entstehung einer neuen Welt. Zweck derselbe war — nämlich Vernunft und Theologie in Einklang zu bringen — Methode und Ergebnisse so weit auseinandergehen, dass es geradezu lächerlich ist, derartige Gegensätze, der äusseren Berührungs- punkte wegen, zusammen zu stellen? 1) Und was heisst das, wenn man die geschworenen Gegner, die diametralen Gegensätze des Thomas, Duns Scotus und Occam, ganz eng mit dem doctor angelicus paart? wenn man uns einreden will, es handle sich lediglich um feine meta- physische Differenzen zwischen Realismus und Nominalismus? Im Gegen- teil, gerade diese metaphysischen Tüfteleien sind die bloss äussere Schale, der wahre Unterschied ist die tiefe Kluft, welche eine Geistesrichtung von der anderen trennt, ist die Thatsache, dass verschiedene Charaktere aus demselben Metall sich ganz verschiedene Waffen schmieden. Pflicht des Historikers ist es, dasjenige hervorzuheben, was nicht ein Jeder sofort einsieht, das zu unterscheiden, was zunächst einförmig dünkt, während es in Wirklichkeit tief innerlich auseinanderstrebt, und da- gegen das zu vereinen, was, wie z. B. Duns Scotus und Eckhart, an- scheinend sich widerspricht, doch im tiefsten Wesen übereinstimmt. Martin Luther hatte den Unterschied zwischen diesen verschiedenen Doktoren recht wohl und tief empfunden; in einem Tischgespräch sagt er: »Duns Scotus hat sehr wohl geschrieben ..... und hat sich be- flissen, fein ordentlich und richtig von den Sachen zu lehren. Occam ist ein verständiger und sinnreicher Mann gewesen ..... Thomas Aquinas ist ein Wäscher und Schwätzer.« 2) Und ist es nicht vollendet lächerlich, wenn ein Roger Bacon, der Erfinder des Teleskops, der Begründer wissenschaftlicher Mathematik und Philologie, der Verkünder echter Naturforschung, in einen Topf geworfen wird mit den Leuten, die alles zu wissen vorgaben und darum diesem selben Roger Bacon den Mund stopften und ihn ins Gefängnis warfen? Zum Schluss frage ich noch: wenn Erigena ein Scholastiker ist und ebenfalls Amalrich, wie kommt es, dass Eckhart, der offenbar zu Beiden in unmittelbarem Lehnsverhältnis steht, keiner mehr ist, und zwar trotzdem er ein Zeit- genosse von Thomas und Duns ist? Ich weiss, es geschieht lediglich, 1) Da ich mich nicht wiederholen will, verweise ich für Abälard auf S. 469 fg. und 246 Anm. 2) Ich citiere nach der Ausgabe Jena 1591, Fol. 329; in den verbreiteten neuen Auswahlen findet man diese Stelle, sowie die übrigen »von den Scholasticis ingemein«, nicht, in denen Luther über seine Studienzeit seufzt: »da feine, geschickte Leute wären mit unnützen Lectionibus und Büchern zu hören und zu lesen be- schwert worden, mit seltsamen, undeutschen, sophistischen Worten — — — —.«

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 866. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/345>, abgerufen am 22.11.2024.