Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. lehrern ausgeliefert hätte. Solche kurze Episoden halber Selbständig-keit wie unter Simon Makkabäus genügen nur, um zu zeigen, dass beim Eintritt in das praktische, lebendige Leben dieser Glaube, als echter Volksglaube, sich tiefgehende Modifikationen hätte gefallen lassen müssen, kamen doch die Makkabäer ursprünglich dadurch auf, dass sie (die Kinder aus dem fernen Modin, im früher ephraimistischen Gebirge) eines der strengsten Gesetze, das des Sabbats verletzten.1) Wie unmöglich es gewesen wäre, diesen Priesterglauben, diesen Priesterkultus, dieses Priestergesetz einem unabhängigen Volke aufzuzwingen, ersehen wir schon daraus, dass es selbst unter den gegebenen Bedingungen schwer genug fiel, und ohne die thatkräftige Unterstützung der Könige von Babylon nicht gelungen wäre. Denn waren die Juden auch aus allen Traditionen entwurzelt worden, so hatte dieses Schicksal doch nicht ihre Nachbarn getroffen und ebensowenig jene echtkanaanitische Stammbevölkerung, die in ziemlicher Anzahl in Judäa zurückgelassen worden war. Und so knüpften sich in der ersten Zeit nach der Rückkehr von allen Seiten wieder Beziehungen an. Die hethitisch- amoritischen Bauern wollten als Jahveanbeter wie früher am Opfer teilnehmen, sie ahnten nicht und wollten auch nicht zugeben, dass Jahve, ihr eigener Landesgott, fortan das Monopol der Juden sein sollte; andererseits gingen die begüterten unter den zurückgekehrten Israeliten wie früher Ehen mit den Nachbarvölkern ein, unbekümmert darum, ob diese Milkom, oder Moloch, oder Baal, oder irgend einen anderen Landesgott verehrten; wir erfahren, dass, gerade so wie bei uns der Adel, und sei er noch so antisemitisch, mit Vorliebe reiche Jüdinnen heiratet, ebenso die Mitglieder der hohenpriesterlichen Kaste die Ehe mit einer Ammoniterin oder Edomiterin für "standesgemäss" hielten, wenn nur das Mädchen genug Barschaft besass. Wie hätte unter solchen Bedingungen der Glaube, wie ihn Hesekiel lehrte, ein- geimpft und das neue Gesetz mit seinen unzähligen Vorschriften ein- geübt werden sollen? Nicht eine einzige Generation hätte es gewährt, bis die unnatürliche Frucht der überhitzten Priesterphantasie ad patres gelegt worden wäre. Die Juden bildeten aber keinen unabhängigen Staat. Nach Jerusalem waren sie unter Führung eines halbpersischen Landpflegers zurückgekehrt, der ohne Zweifel genaue Instruktionen hatte, den Pfaffen Vorschub zu leisten, dagegen jede Regung politischen Ehrgeizes zu unterdrücken. Als nun die fromme Partei das kaum be- 1) I Makkabäer II, 41. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 28
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. lehrern ausgeliefert hätte. Solche kurze Episoden halber Selbständig-keit wie unter Simon Makkabäus genügen nur, um zu zeigen, dass beim Eintritt in das praktische, lebendige Leben dieser Glaube, als echter Volksglaube, sich tiefgehende Modifikationen hätte gefallen lassen müssen, kamen doch die Makkabäer ursprünglich dadurch auf, dass sie (die Kinder aus dem fernen Modin, im früher ephraimistischen Gebirge) eines der strengsten Gesetze, das des Sabbats verletzten.1) Wie unmöglich es gewesen wäre, diesen Priesterglauben, diesen Priesterkultus, dieses Priestergesetz einem unabhängigen Volke aufzuzwingen, ersehen wir schon daraus, dass es selbst unter den gegebenen Bedingungen schwer genug fiel, und ohne die thatkräftige Unterstützung der Könige von Babylon nicht gelungen wäre. Denn waren die Juden auch aus allen Traditionen entwurzelt worden, so hatte dieses Schicksal doch nicht ihre Nachbarn getroffen und ebensowenig jene echtkanaanitische Stammbevölkerung, die in ziemlicher Anzahl in Judäa zurückgelassen worden war. Und so knüpften sich in der ersten Zeit nach der Rückkehr von allen Seiten wieder Beziehungen an. Die hethitisch- amoritischen Bauern wollten als Jahveanbeter wie früher am Opfer teilnehmen, sie ahnten nicht und wollten auch nicht zugeben, dass Jahve, ihr eigener Landesgott, fortan das Monopol der Juden sein sollte; andererseits gingen die begüterten unter den zurückgekehrten Israeliten wie früher Ehen mit den Nachbarvölkern ein, unbekümmert darum, ob diese Milkom, oder Moloch, oder Baal, oder irgend einen anderen Landesgott verehrten; wir erfahren, dass, gerade so wie bei uns der Adel, und sei er noch so antisemitisch, mit Vorliebe reiche Jüdinnen heiratet, ebenso die Mitglieder der hohenpriesterlichen Kaste die Ehe mit einer Ammoniterin oder Edomiterin für »standesgemäss« hielten, wenn nur das Mädchen genug Barschaft besass. Wie hätte unter solchen Bedingungen der Glaube, wie ihn Hesekiel lehrte, ein- geimpft und das neue Gesetz mit seinen unzähligen Vorschriften ein- geübt werden sollen? Nicht eine einzige Generation hätte es gewährt, bis die unnatürliche Frucht der überhitzten Priesterphantasie ad patres gelegt worden wäre. Die Juden bildeten aber keinen unabhängigen Staat. Nach Jerusalem waren sie unter Führung eines halbpersischen Landpflegers zurückgekehrt, der ohne Zweifel genaue Instruktionen hatte, den Pfaffen Vorschub zu leisten, dagegen jede Regung politischen Ehrgeizes zu unterdrücken. Als nun die fromme Partei das kaum be- 1) I Makkabäer II, 41. Chamberlain, Grundlagen des XIX. Jahrhunderts. 28
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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
lehrern ausgeliefert hätte. Solche kurze Episoden halber Selbständig-
keit wie unter Simon Makkabäus genügen nur, um zu zeigen, dass
beim Eintritt in das praktische, lebendige Leben dieser Glaube, als
echter Volksglaube, sich tiefgehende Modifikationen hätte gefallen lassen
müssen, kamen doch die Makkabäer ursprünglich dadurch auf, dass sie (die
Kinder aus dem fernen Modin, im früher ephraimistischen Gebirge) eines
der strengsten Gesetze, das des Sabbats verletzten. 1) Wie unmöglich es
gewesen wäre, diesen Priesterglauben, diesen Priesterkultus, dieses
Priestergesetz einem unabhängigen Volke aufzuzwingen, ersehen wir
schon daraus, dass es selbst unter den gegebenen Bedingungen schwer
genug fiel, und ohne die thatkräftige Unterstützung der Könige von
Babylon nicht gelungen wäre. Denn waren die Juden auch aus allen
Traditionen entwurzelt worden, so hatte dieses Schicksal doch nicht
ihre Nachbarn getroffen und ebensowenig jene echtkanaanitische
Stammbevölkerung, die in ziemlicher Anzahl in Judäa zurückgelassen
worden war. Und so knüpften sich in der ersten Zeit nach der
Rückkehr von allen Seiten wieder Beziehungen an. Die hethitisch-
amoritischen Bauern wollten als Jahveanbeter wie früher am Opfer
teilnehmen, sie ahnten nicht und wollten auch nicht zugeben, dass
Jahve, ihr eigener Landesgott, fortan das Monopol der Juden sein
sollte; andererseits gingen die begüterten unter den zurückgekehrten
Israeliten wie früher Ehen mit den Nachbarvölkern ein, unbekümmert
darum, ob diese Milkom, oder Moloch, oder Baal, oder irgend einen
anderen Landesgott verehrten; wir erfahren, dass, gerade so wie bei
uns der Adel, und sei er noch so antisemitisch, mit Vorliebe reiche
Jüdinnen heiratet, ebenso die Mitglieder der hohenpriesterlichen Kaste
die Ehe mit einer Ammoniterin oder Edomiterin für »standesgemäss«
hielten, wenn nur das Mädchen genug Barschaft besass. Wie hätte
unter solchen Bedingungen der Glaube, wie ihn Hesekiel lehrte, ein-
geimpft und das neue Gesetz mit seinen unzähligen Vorschriften ein-
geübt werden sollen? Nicht eine einzige Generation hätte es gewährt,
bis die unnatürliche Frucht der überhitzten Priesterphantasie ad patres
gelegt worden wäre. Die Juden bildeten aber keinen unabhängigen
Staat. Nach Jerusalem waren sie unter Führung eines halbpersischen
Landpflegers zurückgekehrt, der ohne Zweifel genaue Instruktionen
hatte, den Pfaffen Vorschub zu leisten, dagegen jede Regung politischen
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1) I Makkabäer II, 41.
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