Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Römisches Recht.
phantasieloser, so doch nichts weniger als unidealer Mensch. Er
besitzt sogar eine so grosse Macht der Idee, dass dasjenige, was er
recht von Herzen wollte, nie wieder ganz verschwand. Wir sahen
es schon im vorigen Abschnitt: Ideen sind unsterblich. Der römische
Staat wurde zu Grunde gerichtet, seine Idee lebte aber, mächtig
gestaltend, durch die Säcula weiter; am Schlusse des 19. Jahrhunderts
schmücken sich vier mächtige Monarchen Europas mit dem Patrony-
mikon Julius Caesar's, und der Begriff der Res publica gestaltet den
grössten Staat der neuen Welt. Das römische Recht aber lebt
nicht allein als justinianische Mumie, nicht allein als technisches Ge-
heimnis, nur den Technikern zugänglich, weiter; nein, ich glaube,
dass auch der lebenbildende Kern, aus dem jenes Recht im letzten
Grunde erwachsen war, doch, trotz der Finsternis schmachvollst un-
heiliger Jahrhunderte und trotz der auflösenden Gährung, die ihnen
folgte, niemals zu Grunde ging, und dass er in uns als ein kost-
barstes Gut weiterlebt. Wir reden noch heute von der Heiligkeit
der Familie;
wer sie, wie gewisse Sozialisten, leugnet, der wird aus
der Liste urteilsfähiger Politiker gestrichen, und selbst wer kein
gläubiger Katholik ist, wird sich hundertmal lieber mit der Vorstellung
befreunden, die Ehe sei ein religiöses Sakrament (wie es ja im alten
Rom war; hier wie an so vielen Orten fusst das Papsttum unmittelbar
auf altrömischem Pontifikalrecht und bewährt sich als letzter offizieller
Vertreter des Heidentums), als dass er zugeben wird, die Ehe sei,
wie der gelehrte Anarchistenführer Elisee Reclus geschmackvoll sagt:
"lediglich legale Prostitution". Dass wir so fühlen, ist römische
Erbschaft. Auch die hochgeachtete Stellung des Weibes, wodurch
unsere Civilisation sich von der hellenischen und von den ver-
schiedenen Abarten der semitischen und asiatischen so vorteilhaft
unterscheidet, ist nicht, wie Schopenhauer und manche Andere ge-
lehrt haben, "eine christlich-germanische Schöpfung", sondern eine
römische Schöpfung. So weit man urteilen kann, müssen die alten
Germanen ihre Weiber nicht besonders gut behandelt haben, und
hier scheint römischer Einfluss zu allererst gewirkt zu haben; die
ältesten deutschen Rechtsbücher sind in Bezug auf die rechtliche
Stellung der Frau voller wörtlicher Entlehnungen aus römischem Recht
(siehe Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer II, Kap. 1, B 7 u. ff.). Dass
das Weib in Europa eine feste, sichere, rechtliche Stellung erlangte, das
war römisches Werk. Besungen wurde das "schöne Geschlecht" aller-
dings erst von Deutschen, Italienern, Franzosen, Engländern, Spaniern;

12*

Römisches Recht.
phantasieloser, so doch nichts weniger als unidealer Mensch. Er
besitzt sogar eine so grosse Macht der Idee, dass dasjenige, was er
recht von Herzen wollte, nie wieder ganz verschwand. Wir sahen
es schon im vorigen Abschnitt: Ideen sind unsterblich. Der römische
Staat wurde zu Grunde gerichtet, seine Idee lebte aber, mächtig
gestaltend, durch die Säcula weiter; am Schlusse des 19. Jahrhunderts
schmücken sich vier mächtige Monarchen Europas mit dem Patrony-
mikon Julius Caesar’s, und der Begriff der Res publica gestaltet den
grössten Staat der neuen Welt. Das römische Recht aber lebt
nicht allein als justinianische Mumie, nicht allein als technisches Ge-
heimnis, nur den Technikern zugänglich, weiter; nein, ich glaube,
dass auch der lebenbildende Kern, aus dem jenes Recht im letzten
Grunde erwachsen war, doch, trotz der Finsternis schmachvollst un-
heiliger Jahrhunderte und trotz der auflösenden Gährung, die ihnen
folgte, niemals zu Grunde ging, und dass er in uns als ein kost-
barstes Gut weiterlebt. Wir reden noch heute von der Heiligkeit
der Familie;
wer sie, wie gewisse Sozialisten, leugnet, der wird aus
der Liste urteilsfähiger Politiker gestrichen, und selbst wer kein
gläubiger Katholik ist, wird sich hundertmal lieber mit der Vorstellung
befreunden, die Ehe sei ein religiöses Sakrament (wie es ja im alten
Rom war; hier wie an so vielen Orten fusst das Papsttum unmittelbar
auf altrömischem Pontifikalrecht und bewährt sich als letzter offizieller
Vertreter des Heidentums), als dass er zugeben wird, die Ehe sei,
wie der gelehrte Anarchistenführer Elisée Reclus geschmackvoll sagt:
»lediglich legale Prostitution«. Dass wir so fühlen, ist römische
Erbschaft. Auch die hochgeachtete Stellung des Weibes, wodurch
unsere Civilisation sich von der hellenischen und von den ver-
schiedenen Abarten der semitischen und asiatischen so vorteilhaft
unterscheidet, ist nicht, wie Schopenhauer und manche Andere ge-
lehrt haben, »eine christlich-germanische Schöpfung«, sondern eine
römische Schöpfung. So weit man urteilen kann, müssen die alten
Germanen ihre Weiber nicht besonders gut behandelt haben, und
hier scheint römischer Einfluss zu allererst gewirkt zu haben; die
ältesten deutschen Rechtsbücher sind in Bezug auf die rechtliche
Stellung der Frau voller wörtlicher Entlehnungen aus römischem Recht
(siehe Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer II, Kap. 1, B 7 u. ff.). Dass
das Weib in Europa eine feste, sichere, rechtliche Stellung erlangte, das
war römisches Werk. Besungen wurde das »schöne Geschlecht« aller-
dings erst von Deutschen, Italienern, Franzosen, Engländern, Spaniern;

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0202" n="179"/><fw place="top" type="header">Römisches Recht.</fw><lb/>
phantasieloser, so doch nichts weniger als unidealer Mensch. Er<lb/>
besitzt sogar eine so grosse Macht der Idee, dass dasjenige, was er<lb/>
recht von Herzen wollte, nie wieder ganz verschwand. Wir sahen<lb/>
es schon im vorigen Abschnitt: Ideen sind unsterblich. Der römische<lb/>
Staat wurde zu Grunde gerichtet, seine Idee lebte aber, mächtig<lb/>
gestaltend, durch die Säcula weiter; am Schlusse des 19. Jahrhunderts<lb/>
schmücken sich vier mächtige Monarchen Europas mit dem Patrony-<lb/>
mikon Julius Caesar&#x2019;s, und der Begriff der <hi rendition="#i">Res publica</hi> gestaltet den<lb/>
grössten Staat der neuen Welt. Das römische <hi rendition="#g">Recht</hi> aber lebt<lb/>
nicht allein als justinianische Mumie, nicht allein als technisches Ge-<lb/>
heimnis, nur den Technikern zugänglich, weiter; nein, ich glaube,<lb/>
dass auch der lebenbildende Kern, aus dem jenes Recht im letzten<lb/>
Grunde erwachsen war, doch, trotz der Finsternis schmachvollst un-<lb/>
heiliger Jahrhunderte und trotz der auflösenden Gährung, die ihnen<lb/>
folgte, niemals zu Grunde ging, und dass er in uns als ein kost-<lb/>
barstes Gut weiterlebt. Wir reden noch heute von der <hi rendition="#g">Heiligkeit<lb/>
der Familie;</hi> wer sie, wie gewisse Sozialisten, leugnet, der wird aus<lb/>
der Liste urteilsfähiger Politiker gestrichen, und selbst wer kein<lb/>
gläubiger Katholik ist, wird sich hundertmal lieber mit der Vorstellung<lb/>
befreunden, die Ehe sei ein religiöses Sakrament (wie es ja im alten<lb/>
Rom war; hier wie an so vielen Orten fusst das Papsttum unmittelbar<lb/>
auf altrömischem Pontifikalrecht und bewährt sich als letzter offizieller<lb/>
Vertreter des Heidentums), als dass er zugeben wird, die Ehe sei,<lb/>
wie der gelehrte Anarchistenführer Elisée Reclus geschmackvoll sagt:<lb/>
»lediglich legale Prostitution«. Dass wir so fühlen, ist römische<lb/>
Erbschaft. Auch die hochgeachtete Stellung des Weibes, wodurch<lb/>
unsere Civilisation sich von der hellenischen und von den ver-<lb/>
schiedenen Abarten der semitischen und asiatischen so vorteilhaft<lb/>
unterscheidet, ist nicht, wie Schopenhauer und manche Andere ge-<lb/>
lehrt haben, »eine christlich-germanische Schöpfung«, sondern eine<lb/>
römische Schöpfung. So weit man urteilen kann, müssen die alten<lb/>
Germanen ihre Weiber nicht besonders gut behandelt haben, und<lb/>
hier scheint römischer Einfluss zu allererst gewirkt zu haben; die<lb/>
ältesten deutschen Rechtsbücher sind in Bezug auf die rechtliche<lb/>
Stellung der Frau voller wörtlicher Entlehnungen aus römischem Recht<lb/>
(siehe Grimm: <hi rendition="#i">Deutsche Rechtsaltertümer</hi> II, Kap. 1, B 7 u. ff.). Dass<lb/>
das Weib in Europa eine feste, sichere, rechtliche Stellung erlangte, das<lb/>
war römisches Werk. Besungen wurde das »schöne Geschlecht« aller-<lb/>
dings erst von Deutschen, Italienern, Franzosen, Engländern, Spaniern;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0202] Römisches Recht. phantasieloser, so doch nichts weniger als unidealer Mensch. Er besitzt sogar eine so grosse Macht der Idee, dass dasjenige, was er recht von Herzen wollte, nie wieder ganz verschwand. Wir sahen es schon im vorigen Abschnitt: Ideen sind unsterblich. Der römische Staat wurde zu Grunde gerichtet, seine Idee lebte aber, mächtig gestaltend, durch die Säcula weiter; am Schlusse des 19. Jahrhunderts schmücken sich vier mächtige Monarchen Europas mit dem Patrony- mikon Julius Caesar’s, und der Begriff der Res publica gestaltet den grössten Staat der neuen Welt. Das römische Recht aber lebt nicht allein als justinianische Mumie, nicht allein als technisches Ge- heimnis, nur den Technikern zugänglich, weiter; nein, ich glaube, dass auch der lebenbildende Kern, aus dem jenes Recht im letzten Grunde erwachsen war, doch, trotz der Finsternis schmachvollst un- heiliger Jahrhunderte und trotz der auflösenden Gährung, die ihnen folgte, niemals zu Grunde ging, und dass er in uns als ein kost- barstes Gut weiterlebt. Wir reden noch heute von der Heiligkeit der Familie; wer sie, wie gewisse Sozialisten, leugnet, der wird aus der Liste urteilsfähiger Politiker gestrichen, und selbst wer kein gläubiger Katholik ist, wird sich hundertmal lieber mit der Vorstellung befreunden, die Ehe sei ein religiöses Sakrament (wie es ja im alten Rom war; hier wie an so vielen Orten fusst das Papsttum unmittelbar auf altrömischem Pontifikalrecht und bewährt sich als letzter offizieller Vertreter des Heidentums), als dass er zugeben wird, die Ehe sei, wie der gelehrte Anarchistenführer Elisée Reclus geschmackvoll sagt: »lediglich legale Prostitution«. Dass wir so fühlen, ist römische Erbschaft. Auch die hochgeachtete Stellung des Weibes, wodurch unsere Civilisation sich von der hellenischen und von den ver- schiedenen Abarten der semitischen und asiatischen so vorteilhaft unterscheidet, ist nicht, wie Schopenhauer und manche Andere ge- lehrt haben, »eine christlich-germanische Schöpfung«, sondern eine römische Schöpfung. So weit man urteilen kann, müssen die alten Germanen ihre Weiber nicht besonders gut behandelt haben, und hier scheint römischer Einfluss zu allererst gewirkt zu haben; die ältesten deutschen Rechtsbücher sind in Bezug auf die rechtliche Stellung der Frau voller wörtlicher Entlehnungen aus römischem Recht (siehe Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer II, Kap. 1, B 7 u. ff.). Dass das Weib in Europa eine feste, sichere, rechtliche Stellung erlangte, das war römisches Werk. Besungen wurde das »schöne Geschlecht« aller- dings erst von Deutschen, Italienern, Franzosen, Engländern, Spaniern; 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/202
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/202>, abgerufen am 18.05.2024.