Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.vor. Die Entwickelungsgeschichte von Repräsentanten einzelner Abthei- lungen war ziemlich früh schon bearbeitet worden. Die Möglichkeit, die Structurverhältnisse der verschiedenen Classen auf einander zurück- zuführen, schien daher zunächst mit geringeren Schwierigkeiten verbun- den als bei andern Typen. Bei den wirbellosen Thieren waren alle diese Momente verschieden, so daß man sogar sagen konnte, es könne eine vergleichende Anatomie streng genommen nur von Wirbelthieren gegeben werden. Für die Aufklärung der Gesetzmäßigkeit des Baues der Wirbelthiere war in erster Reihe Heinrich Rathke thätig. Schon die oben erwähnten embryologischen Arbeiten dieses Mannes sind als morphologische Leistungen wichtig. Ihnen schlossen sich weitere an, in welchen er meist von der Entwickelung ausgehend die verschie- denen Bildungszustände einzelner Organe oder die gesammte Organi- sation bestimmter Thiere vergleichend untersuchte und damit häufig erklärte. So hat er die Anatomie mehrerer Fische (so z. B. die von J. Müller wieder vorgenommenen Pricken und den Amphioxus), die Entwickelung der Geschlechtswerkzeuge, der Arterien und Venen, des Brustbeins, des Schädels u. s. f. gegeben. Sämmtliche Arbeiten Rathke's sind wegen der Unbefangenheit der Deutung des Gesehenen und der Fernhaltung fremdartiger Gesichtspunkte von der rein morpho- logischen Betrachtung außerordentlich bedeutungsvoll. Gleichzeitig mit Rathke wirkte ein Mann, welcher als der bedeutendste Forscher auf dem Gebiete der belebten Natur mit Cuvier und C. E. von Baer auch zu den einflußreichsten Förderern der Zoologie in diesem Jahrhundert zu zählen ist, Johannes Müller. Wie er der Physiologie eine völlig neue Gestalt gab und durch eine auf wahrhafte Gelehrsamkeit gestützte Kritik und wichtige eigene Forschungen mit E. H. Weber den Grund zu ihrer jetzigen selbständigen Entwickelung legte, so war er auch der erste, welcher die Morphologie durch umfassende Arbeiten in die ihr gebührende Stellung einführte. Johannes Müller war am 14. Juli 1801 in Coblenz geboren, studirte von 1819 bis 1822, in welchem Jahre er Doctor wurde, in Bonn Medicin, lebte dann anderthalb Jahre in Berlin, wo er besonders von Rudolph wesentlich gefördert wurde, habilitirte sich 1824 in Bonn für Physiologie und vergleichende vor. Die Entwickelungsgeſchichte von Repräſentanten einzelner Abthei- lungen war ziemlich früh ſchon bearbeitet worden. Die Möglichkeit, die Structurverhältniſſe der verſchiedenen Claſſen auf einander zurück- zuführen, ſchien daher zunächſt mit geringeren Schwierigkeiten verbun- den als bei andern Typen. Bei den wirbelloſen Thieren waren alle dieſe Momente verſchieden, ſo daß man ſogar ſagen konnte, es könne eine vergleichende Anatomie ſtreng genommen nur von Wirbelthieren gegeben werden. Für die Aufklärung der Geſetzmäßigkeit des Baues der Wirbelthiere war in erſter Reihe Heinrich Rathke thätig. Schon die oben erwähnten embryologiſchen Arbeiten dieſes Mannes ſind als morphologiſche Leiſtungen wichtig. Ihnen ſchloſſen ſich weitere an, in welchen er meiſt von der Entwickelung ausgehend die verſchie- denen Bildungszuſtände einzelner Organe oder die geſammte Organi- ſation beſtimmter Thiere vergleichend unterſuchte und damit häufig erklärte. So hat er die Anatomie mehrerer Fiſche (ſo z. B. die von J. Müller wieder vorgenommenen Pricken und den Amphioxus), die Entwickelung der Geſchlechtswerkzeuge, der Arterien und Venen, des Bruſtbeins, des Schädels u. ſ. f. gegeben. Sämmtliche Arbeiten Rathke's ſind wegen der Unbefangenheit der Deutung des Geſehenen und der Fernhaltung fremdartiger Geſichtspunkte von der rein morpho- logiſchen Betrachtung außerordentlich bedeutungsvoll. Gleichzeitig mit Rathke wirkte ein Mann, welcher als der bedeutendſte Forſcher auf dem Gebiete der belebten Natur mit Cuvier und C. E. von Baer auch zu den einflußreichſten Förderern der Zoologie in dieſem Jahrhundert zu zählen iſt, Johannes Müller. Wie er der Phyſiologie eine völlig neue Geſtalt gab und durch eine auf wahrhafte Gelehrſamkeit geſtützte Kritik und wichtige eigene Forſchungen mit E. H. Weber den Grund zu ihrer jetzigen ſelbſtändigen Entwickelung legte, ſo war er auch der erſte, welcher die Morphologie durch umfaſſende Arbeiten in die ihr gebührende Stellung einführte. Johannes Müller war am 14. Juli 1801 in Coblenz geboren, ſtudirte von 1819 bis 1822, in welchem Jahre er Doctor wurde, in Bonn Medicin, lebte dann anderthalb Jahre in Berlin, wo er beſonders von Rudolph weſentlich gefördert wurde, habilitirte ſich 1824 in Bonn für Phyſiologie und vergleichende <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0646" n="635"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118585053">Johannes Müller</persName>.</fw><lb/> vor. Die Entwickelungsgeſchichte von Repräſentanten einzelner Abthei-<lb/> lungen war ziemlich früh ſchon bearbeitet worden. Die Möglichkeit,<lb/> die Structurverhältniſſe der verſchiedenen Claſſen auf einander zurück-<lb/> zuführen, ſchien daher zunächſt mit geringeren Schwierigkeiten verbun-<lb/> den als bei andern Typen. Bei den wirbelloſen Thieren waren alle<lb/> dieſe Momente verſchieden, ſo daß man ſogar ſagen konnte, es könne<lb/> eine vergleichende Anatomie ſtreng genommen nur von Wirbelthieren<lb/> gegeben werden. 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Johannes Müller.
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lungen war ziemlich früh ſchon bearbeitet worden. Die Möglichkeit,
die Structurverhältniſſe der verſchiedenen Claſſen auf einander zurück-
zuführen, ſchien daher zunächſt mit geringeren Schwierigkeiten verbun-
den als bei andern Typen. Bei den wirbelloſen Thieren waren alle
dieſe Momente verſchieden, ſo daß man ſogar ſagen konnte, es könne
eine vergleichende Anatomie ſtreng genommen nur von Wirbelthieren
gegeben werden. Für die Aufklärung der Geſetzmäßigkeit des Baues
der Wirbelthiere war in erſter Reihe Heinrich Rathke thätig.
Schon die oben erwähnten embryologiſchen Arbeiten dieſes Mannes
ſind als morphologiſche Leiſtungen wichtig. Ihnen ſchloſſen ſich weitere
an, in welchen er meiſt von der Entwickelung ausgehend die verſchie-
denen Bildungszuſtände einzelner Organe oder die geſammte Organi-
ſation beſtimmter Thiere vergleichend unterſuchte und damit häufig
erklärte. So hat er die Anatomie mehrerer Fiſche (ſo z. B. die von J.
Müller wieder vorgenommenen Pricken und den Amphioxus), die
Entwickelung der Geſchlechtswerkzeuge, der Arterien und Venen, des
Bruſtbeins, des Schädels u. ſ. f. gegeben. Sämmtliche Arbeiten
Rathke's ſind wegen der Unbefangenheit der Deutung des Geſehenen
und der Fernhaltung fremdartiger Geſichtspunkte von der rein morpho-
logiſchen Betrachtung außerordentlich bedeutungsvoll. Gleichzeitig mit
Rathke wirkte ein Mann, welcher als der bedeutendſte Forſcher auf dem
Gebiete der belebten Natur mit Cuvier und C. E. von Baer auch zu
den einflußreichſten Förderern der Zoologie in dieſem Jahrhundert zu
zählen iſt, Johannes Müller. Wie er der Phyſiologie eine völlig
neue Geſtalt gab und durch eine auf wahrhafte Gelehrſamkeit geſtützte
Kritik und wichtige eigene Forſchungen mit E. H. Weber den Grund
zu ihrer jetzigen ſelbſtändigen Entwickelung legte, ſo war er auch der
erſte, welcher die Morphologie durch umfaſſende Arbeiten in die ihr
gebührende Stellung einführte. Johannes Müller war am 14. Juli
1801 in Coblenz geboren, ſtudirte von 1819 bis 1822, in welchem
Jahre er Doctor wurde, in Bonn Medicin, lebte dann anderthalb
Jahre in Berlin, wo er beſonders von Rudolph weſentlich gefördert
wurde, habilitirte ſich 1824 in Bonn für Phyſiologie und vergleichende
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