deren zweitem er besonders die Mollusken bespricht, 1796 die Arbeit über Ernährung und Circulation der Mollusken, 1797 Anatomie der Lingula und der Ascidien, 1798 die der Acephalen und der Insecten, 1800 Anatomie der Meduse (Rhizostoma) und die ersten beiden Bände seiner Vorlesungen über vergleichende Anatomie, in welcher außer den genannten und bis dahin über Wirbelthiere veröffentlichten Arbeiten (untrer Kehlkopf der Vögel, 1795 und 98, Gehörorgan und Nase der Walthiere, 1796 und 98, Gehirn der Wirbelthiere, 1799) eine bis- lang nicht gekannte Menge der detailirtesten Untersuchungen über Mus- kel-, Knochen-, Nervensystem und Sinnesorgane planmäßig dargestellt wurden. Die 1805 erschienenen drei Schlußbände, denen eine ziemliche Anzahl charakteristischer und höchst instructiv gehaltener Abbildungen beigegeben sind, vervollständigten dies an Vollständigkeit und Ueber- sichtlichkeit bis dahin einzig dastehende Werk. Im Jahre 1812 erschien zuerst seine große Arbeit über fossile Knochen, in welcher er seine von 1795 an aufgenommenen Untersuchungen über den Bau der ausgestor- benen Thiere unter beständiger Vergleichung derselben mit den lebenden niederlegte.
Aber nicht allein diese außerordentliche Thätigkeit im Zergliedern und überhaupt im Sammeln zootomischer Thatsachen war es, welche Cuvier den Namen eines Gründers der vergleichenden Anatomie ver- schafft hat. Es war vielmehr der Umstand, daß er die Aufmerksamkeit von der Leistung des zu vergleichenden Organs abzog und auf das Thier lenkte, in dessen Nutzen jene Leistung verwendet wurde. Er geht nicht, wie es bis jetzt geschehen war, darauf aus, die Functionen eines bestimmten Organs nachzuweisen und an der Vereinfachung oder der größeren Zusammensetzung eines solchen das Zustandekommen gewisser Functionen zu zeigen, sondern setzt diese letztere gewissermaßen als be- kannt oder gegeben voraus und untersucht nun das Auftreten der ver- schiedenen anatomischen Systeme in ihren zusammenhängenden und gradweise erfolgenden Modificationen. So schildert er z. B. die Ath- mungsorgane der Säugethiere, weist den Mechanismus des Aus- und Einathmens, die Form der Luftwege u. s. w. nach und zeigt dann, wie bei Insecten das Athmen nicht an localisirte Organe, sondern an ein
Periode der Morphologie.
deren zweitem er beſonders die Mollusken beſpricht, 1796 die Arbeit über Ernährung und Circulation der Mollusken, 1797 Anatomie der Lingula und der Ascidien, 1798 die der Acephalen und der Inſecten, 1800 Anatomie der Meduſe (Rhizostoma) und die erſten beiden Bände ſeiner Vorleſungen über vergleichende Anatomie, in welcher außer den genannten und bis dahin über Wirbelthiere veröffentlichten Arbeiten (untrer Kehlkopf der Vögel, 1795 und 98, Gehörorgan und Naſe der Walthiere, 1796 und 98, Gehirn der Wirbelthiere, 1799) eine bis- lang nicht gekannte Menge der detailirteſten Unterſuchungen über Mus- kel-, Knochen-, Nervenſyſtem und Sinnesorgane planmäßig dargeſtellt wurden. Die 1805 erſchienenen drei Schlußbände, denen eine ziemliche Anzahl charakteriſtiſcher und höchſt inſtructiv gehaltener Abbildungen beigegeben ſind, vervollſtändigten dies an Vollſtändigkeit und Ueber- ſichtlichkeit bis dahin einzig daſtehende Werk. Im Jahre 1812 erſchien zuerſt ſeine große Arbeit über foſſile Knochen, in welcher er ſeine von 1795 an aufgenommenen Unterſuchungen über den Bau der ausgeſtor- benen Thiere unter beſtändiger Vergleichung derſelben mit den lebenden niederlegte.
Aber nicht allein dieſe außerordentliche Thätigkeit im Zergliedern und überhaupt im Sammeln zootomiſcher Thatſachen war es, welche Cuvier den Namen eines Gründers der vergleichenden Anatomie ver- ſchafft hat. Es war vielmehr der Umſtand, daß er die Aufmerkſamkeit von der Leiſtung des zu vergleichenden Organs abzog und auf das Thier lenkte, in deſſen Nutzen jene Leiſtung verwendet wurde. Er geht nicht, wie es bis jetzt geſchehen war, darauf aus, die Functionen eines beſtimmten Organs nachzuweiſen und an der Vereinfachung oder der größeren Zuſammenſetzung eines ſolchen das Zuſtandekommen gewiſſer Functionen zu zeigen, ſondern ſetzt dieſe letztere gewiſſermaßen als be- kannt oder gegeben voraus und unterſucht nun das Auftreten der ver- ſchiedenen anatomiſchen Syſteme in ihren zuſammenhängenden und gradweiſe erfolgenden Modificationen. So ſchildert er z. B. die Ath- mungsorgane der Säugethiere, weiſt den Mechanismus des Aus- und Einathmens, die Form der Luftwege u. ſ. w. nach und zeigt dann, wie bei Inſecten das Athmen nicht an localiſirte Organe, ſondern an ein
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Periode der Morphologie.
deren zweitem er beſonders die Mollusken beſpricht, 1796 die Arbeit
über Ernährung und Circulation der Mollusken, 1797 Anatomie der
Lingula und der Ascidien, 1798 die der Acephalen und der Inſecten,
1800 Anatomie der Meduſe (Rhizostoma) und die erſten beiden Bände
ſeiner Vorleſungen über vergleichende Anatomie, in welcher außer den
genannten und bis dahin über Wirbelthiere veröffentlichten Arbeiten
(untrer Kehlkopf der Vögel, 1795 und 98, Gehörorgan und Naſe der
Walthiere, 1796 und 98, Gehirn der Wirbelthiere, 1799) eine bis-
lang nicht gekannte Menge der detailirteſten Unterſuchungen über Mus-
kel-, Knochen-, Nervenſyſtem und Sinnesorgane planmäßig dargeſtellt
wurden. Die 1805 erſchienenen drei Schlußbände, denen eine ziemliche
Anzahl charakteriſtiſcher und höchſt inſtructiv gehaltener Abbildungen
beigegeben ſind, vervollſtändigten dies an Vollſtändigkeit und Ueber-
ſichtlichkeit bis dahin einzig daſtehende Werk. Im Jahre 1812 erſchien
zuerſt ſeine große Arbeit über foſſile Knochen, in welcher er ſeine von
1795 an aufgenommenen Unterſuchungen über den Bau der ausgeſtor-
benen Thiere unter beſtändiger Vergleichung derſelben mit den lebenden
niederlegte.
Aber nicht allein dieſe außerordentliche Thätigkeit im Zergliedern
und überhaupt im Sammeln zootomiſcher Thatſachen war es, welche
Cuvier den Namen eines Gründers der vergleichenden Anatomie ver-
ſchafft hat. Es war vielmehr der Umſtand, daß er die Aufmerkſamkeit
von der Leiſtung des zu vergleichenden Organs abzog und auf das
Thier lenkte, in deſſen Nutzen jene Leiſtung verwendet wurde. Er geht
nicht, wie es bis jetzt geſchehen war, darauf aus, die Functionen eines
beſtimmten Organs nachzuweiſen und an der Vereinfachung oder der
größeren Zuſammenſetzung eines ſolchen das Zuſtandekommen gewiſſer
Functionen zu zeigen, ſondern ſetzt dieſe letztere gewiſſermaßen als be-
kannt oder gegeben voraus und unterſucht nun das Auftreten der ver-
ſchiedenen anatomiſchen Syſteme in ihren zuſammenhängenden und
gradweiſe erfolgenden Modificationen. So ſchildert er z. B. die Ath-
mungsorgane der Säugethiere, weiſt den Mechanismus des Aus- und
Einathmens, die Form der Luftwege u. ſ. w. nach und zeigt dann, wie
bei Inſecten das Athmen nicht an localiſirte Organe, ſondern an ein
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/611>, abgerufen am 22.11.2024.
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