Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Uebersicht der den Alten bekannten Thierformen. auf noch spätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihrenAusgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde sich daraus der Ursprung des schon in der frühesten christlichen Zeit (schon von Origenes) erwähnten sogenannten "Physiologus", jedenfalls ein zu didaktischen Zwecken zusammengestelltes Büchlein von den Thie- ren sicherer erklären lassen, was um so wichtiger wäre, da derselbe später vollständig oder in Trümmern in den verschiedensten Sprachen wiedererscheint (s. unten). Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes 48) Dies gilt vorzüglich vom Löwen, der nach Herodots Erzählung zwischen
den Flüssen Acheloos und Nestos in Thrakien vorgekommen sein soll. Sundevall (die Thierarten des Aristoteles. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn er die in der Historia animalium des Aristoteles zweimal vorkommende Stelle, worin dieselbe Oertlichkeit mit Anführung derselben Flüsse als europäischer Wohn- ort des Löwen bezeichnet wird (VI, 31. 178 u. VIII, 28. 165) als dem Herodot entnommen annimmt. Plinius, der jene Angabe auch wiederholt, sagt ausdrück- lich: is tradit . . . inter Acheloum etc. Icones esse. Nun war zu Homer's Zeit der Wolf das größte in Griechenland einheimische Raubthier, trotzdem daß in den Homerischen Gesängen der den ionischen Griechen aus Vorder-Asien (Syrien) be- kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt. Jene Angabe des Herodot, die sich auf eine kurz nach seiner Geburt (480 v. Chr.) vorgefallne, aber erst viel später, vielleicht in Thurii am Busen von Tarent, nie- dergeschriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach eine Verwech- selung entweder seitens des Erzählers oder schon der dabei betheiligt gewesenen Personen oder der Zwischenträger, durch die sie zu Herodot's Kenntniß kam, zu Grunde. Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen. auf noch ſpätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihrenAusgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde ſich daraus der Urſprung des ſchon in der früheſten chriſtlichen Zeit (ſchon von Origenes) erwähnten ſogenannten „Phyſiologus“, jedenfalls ein zu didaktiſchen Zwecken zuſammengeſtelltes Büchlein von den Thie- ren ſicherer erklären laſſen, was um ſo wichtiger wäre, da derſelbe ſpäter vollſtändig oder in Trümmern in den verſchiedenſten Sprachen wiedererſcheint (ſ. unten). Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes 48) Dies gilt vorzüglich vom Löwen, der nach Herodots Erzählung zwiſchen
den Flüſſen Acheloos und Neſtos in Thrakien vorgekommen ſein ſoll. Sundevall (die Thierarten des Ariſtoteles. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn er die in der Historia animalium des Ariſtoteles zweimal vorkommende Stelle, worin dieſelbe Oertlichkeit mit Anführung derſelben Flüſſe als europäiſcher Wohn- ort des Löwen bezeichnet wird (VI, 31. 178 u. VIII, 28. 165) als dem Herodot entnommen annimmt. Plinius, der jene Angabe auch wiederholt, ſagt ausdrück- lich: is tradit . . . inter Acheloum etc. Icones esse. Nun war zu Homer's Zeit der Wolf das größte in Griechenland einheimiſche Raubthier, trotzdem daß in den Homeriſchen Geſängen der den ioniſchen Griechen aus Vorder-Aſien (Syrien) be- kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt. Jene Angabe des Herodot, die ſich auf eine kurz nach ſeiner Geburt (480 v. Chr.) vorgefallne, aber erſt viel ſpäter, vielleicht in Thurii am Buſen von Tarent, nie- dergeſchriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrſcheinlichkeit nach eine Verwech- ſelung entweder ſeitens des Erzählers oder ſchon der dabei betheiligt geweſenen Perſonen oder der Zwiſchenträger, durch die ſie zu Herodot's Kenntniß kam, zu Grunde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0052" n="41"/><fw place="top" type="header">Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.</fw><lb/> auf noch ſpätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihren<lb/> Ausgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde<lb/> ſich daraus der Urſprung des ſchon in der früheſten chriſtlichen Zeit<lb/> (ſchon von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118590235">Origenes</persName>) erwähnten ſogenannten „Phyſiologus“, jedenfalls<lb/> ein zu didaktiſchen Zwecken zuſammengeſtelltes Büchlein von den Thie-<lb/> ren ſicherer erklären laſſen, was um ſo wichtiger wäre, da derſelbe<lb/> ſpäter vollſtändig oder in Trümmern in den verſchiedenſten Sprachen<lb/> wiedererſcheint (ſ. unten).</p><lb/> <p>Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes<lb/> ſetzte auch der Kenntniß des Formenreichthums der Thiere eine natürliche<lb/> Grenze. Mögen auch ſchon in ſehr früher Zeit durch die kleinaſiatiſchen<lb/> Colonien und durch beſtändige Berührung mit Phönicien und Aegypten<lb/> Nachrichten über aſiatiſche und afrikaniſche Thiere in das griechiſche<lb/> Volksbewußtſein und die Sprache der Hellenen eingedrungen ſein, im-<lb/> merhin blieben die der poſitiven Grundlage eigener Betrachtung und<lb/> perſönlicher Erfahrung entbehrenden Erzählungen unſicher und der be-<lb/> ſtändigen Ausſchmückung mit fabelhaften Zuthaten ausgeſetzt. Es wur-<lb/> den auch nicht bloß eine Anzahl rein mythiſcher Weſen aus derartigen<lb/> Nachrichten zuſammengeſetzt, ſondern in einzelnen Fällen wurden irriger<lb/> Weiſe ſogar fremde Thiere als in Europa vorkommend aufgeführt<note place="foot" n="48)">Dies gilt vorzüglich vom Löwen, der nach <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName>s Erzählung zwiſchen<lb/> den Flüſſen Acheloos und Neſtos in Thrakien vorgekommen ſein ſoll. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118087460">Sundevall</persName></hi><lb/> (die Thierarten des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ariſtoteles</persName>. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn<lb/> er die in der <hi rendition="#aq">Historia animalium</hi> des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ariſtoteles</persName> zweimal vorkommende Stelle,<lb/> worin dieſelbe Oertlichkeit mit Anführung derſelben Flüſſe als europäiſcher Wohn-<lb/> ort des Löwen bezeichnet wird (<hi rendition="#aq">VI, 31. 178 </hi> u. <hi rendition="#aq"> VIII, 28. 165</hi>) als dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName><lb/> entnommen annimmt. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName>, der jene Angabe auch wiederholt, ſagt ausdrück-<lb/> lich: <hi rendition="#aq">is tradit . . . inter Acheloum etc. Icones esse.</hi> Nun war zu <persName ref="http://d-nb.info/gnd/11855333X">Homer</persName>'s Zeit<lb/> der Wolf das größte in Griechenland einheimiſche Raubthier, trotzdem daß in den<lb/> Homeriſchen Geſängen der den ioniſchen Griechen aus Vorder-Aſien (Syrien) be-<lb/> kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt.<lb/> Jene Angabe des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName>, die ſich auf eine kurz nach ſeiner Geburt (480 v. Chr.)<lb/> vorgefallne, aber erſt viel ſpäter, vielleicht in Thurii am Buſen von Tarent, nie-<lb/> dergeſchriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrſcheinlichkeit nach eine Verwech-<lb/> ſelung entweder ſeitens des Erzählers oder ſchon der dabei betheiligt geweſenen<lb/> Perſonen oder der Zwiſchenträger, durch die ſie zu <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118549855">Herodot</persName>'s Kenntniß kam, zu<lb/> Grunde.</note>.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0052]
Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
auf noch ſpätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihren
Ausgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde
ſich daraus der Urſprung des ſchon in der früheſten chriſtlichen Zeit
(ſchon von Origenes) erwähnten ſogenannten „Phyſiologus“, jedenfalls
ein zu didaktiſchen Zwecken zuſammengeſtelltes Büchlein von den Thie-
ren ſicherer erklären laſſen, was um ſo wichtiger wäre, da derſelbe
ſpäter vollſtändig oder in Trümmern in den verſchiedenſten Sprachen
wiedererſcheint (ſ. unten).
Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes
ſetzte auch der Kenntniß des Formenreichthums der Thiere eine natürliche
Grenze. Mögen auch ſchon in ſehr früher Zeit durch die kleinaſiatiſchen
Colonien und durch beſtändige Berührung mit Phönicien und Aegypten
Nachrichten über aſiatiſche und afrikaniſche Thiere in das griechiſche
Volksbewußtſein und die Sprache der Hellenen eingedrungen ſein, im-
merhin blieben die der poſitiven Grundlage eigener Betrachtung und
perſönlicher Erfahrung entbehrenden Erzählungen unſicher und der be-
ſtändigen Ausſchmückung mit fabelhaften Zuthaten ausgeſetzt. Es wur-
den auch nicht bloß eine Anzahl rein mythiſcher Weſen aus derartigen
Nachrichten zuſammengeſetzt, ſondern in einzelnen Fällen wurden irriger
Weiſe ſogar fremde Thiere als in Europa vorkommend aufgeführt 48).
48) Dies gilt vorzüglich vom Löwen, der nach Herodots Erzählung zwiſchen
den Flüſſen Acheloos und Neſtos in Thrakien vorgekommen ſein ſoll. Sundevall
(die Thierarten des Ariſtoteles. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn
er die in der Historia animalium des Ariſtoteles zweimal vorkommende Stelle,
worin dieſelbe Oertlichkeit mit Anführung derſelben Flüſſe als europäiſcher Wohn-
ort des Löwen bezeichnet wird (VI, 31. 178 u. VIII, 28. 165) als dem Herodot
entnommen annimmt. Plinius, der jene Angabe auch wiederholt, ſagt ausdrück-
lich: is tradit . . . inter Acheloum etc. Icones esse. Nun war zu Homer's Zeit
der Wolf das größte in Griechenland einheimiſche Raubthier, trotzdem daß in den
Homeriſchen Geſängen der den ioniſchen Griechen aus Vorder-Aſien (Syrien) be-
kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt.
Jene Angabe des Herodot, die ſich auf eine kurz nach ſeiner Geburt (480 v. Chr.)
vorgefallne, aber erſt viel ſpäter, vielleicht in Thurii am Buſen von Tarent, nie-
dergeſchriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrſcheinlichkeit nach eine Verwech-
ſelung entweder ſeitens des Erzählers oder ſchon der dabei betheiligt geweſenen
Perſonen oder der Zwiſchenträger, durch die ſie zu Herodot's Kenntniß kam, zu
Grunde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |