Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.specieller anatomischer Kenntnisse nicht auf eine sofortige Zustimmung zu der Ansicht derer rechnen, welche in jenen "Figurensteinen" etwas Anderes als bloße Naturspiele oder besondere Wachsthumserscheinun- gen der Mineralien erblickten. Nun soll nicht gesagt werden, daß man durch Descartes' Theorie oder durch Leibnitz's Protogaea sofort einem bestimmten geologischen Systeme zu folgen veranlaßt worden wäre. Man war aber durch diese Ideen dazu angeregt worden, sich die Mög- lichkeit des Vorkommens von Wasserthieren (denn diese boten scheinbar der Erklärung die größte Schwierigkeit) auf Bergen in Folge irgend welcher die Erdoberfläche umändernder Ereignisse eingehender vorzu- stellen. Als ein solches Ereigniß bot sich von selbst die Sindfluth dar. Schon früher war dieselbe beiläufig in gleicher Absicht herangezogen wor- den; die Beziehung der Versteinerungen auf Reste von Thieren, welche aus einer großen Fluth zurückgeblieben seien, erhielt aber nur dann die Bedeutung einer wissenschaftlichen Erklärung, wenn man über die Natur der fossilen Formen selbst klar war. Es handelt sich also zunächst um das Auftreten der Ueberzeugung, daß die Versteinerungen wirklich das sind, was ihr Name ausdrückt, und nicht bloße Naturspiele32). In Bezug hierauf machten sich anfangs zwei verschiedene Ansichten geltend. Daß unter anderem Aehnlichen z. B. die fossilen Fischzähne wirkliche, von Fischen herrührende Zähne seien, hat wohl mit Entschie- denheit zuerst Agostino Scilla (1670) nachzuweisen versucht33). Er läßt es aber unausgesprochen, wie er sich die Entstehung der Trä- ger dieser Zähne (um bei dem gewählten Fall zu bleiben) in den Ge- 32) Im Jahre 1696 wurde zu Tonna im Gothaischen ein Elefantenskelet ausgegraben und vom Lehrer am Gothaischen Gymnasium Wilh. Ernst Tentzel beschrieben. Er erklärte die Knochen für Reste eines vormals lebenden Thieres. Das Collegium medicum in Gotha aber, vor welches die Sache gebracht wurde, erklärte von Amtswegen, daß es sich hier nur um ein Naturspiel handle. Spielt die Natur, so können auch wir Figurensteine machen, dachten die Würzburger Stu- denten, und brachten dem Professor Beringer alle Arten wunderbarer Steine mit Gestirnen, Kreuzen, Heiligenbildern u. s. f., welche der leichtgläubige Mann in seiner Lithographia Wirceburgensis, 1726, abbilden ließ. Er entdeckte später den Betrug, suchte das Buch zurückzuziehen und starb vor Kummer. 33) La vana speculazione disingannata dal senso. Napoli, 1670. Die früheren Aeußerungen über die Glossopetren s. oben S. 374. 30*
ſpecieller anatomiſcher Kenntniſſe nicht auf eine ſofortige Zuſtimmung zu der Anſicht derer rechnen, welche in jenen „Figurenſteinen“ etwas Anderes als bloße Naturſpiele oder beſondere Wachsthumserſcheinun- gen der Mineralien erblickten. Nun ſoll nicht geſagt werden, daß man durch Descartes' Theorie oder durch Leibnitz's Protogaea ſofort einem beſtimmten geologiſchen Syſteme zu folgen veranlaßt worden wäre. Man war aber durch dieſe Ideen dazu angeregt worden, ſich die Mög- lichkeit des Vorkommens von Waſſerthieren (denn dieſe boten ſcheinbar der Erklärung die größte Schwierigkeit) auf Bergen in Folge irgend welcher die Erdoberfläche umändernder Ereigniſſe eingehender vorzu- ſtellen. Als ein ſolches Ereigniß bot ſich von ſelbſt die Sindfluth dar. Schon früher war dieſelbe beiläufig in gleicher Abſicht herangezogen wor- den; die Beziehung der Verſteinerungen auf Reſte von Thieren, welche aus einer großen Fluth zurückgeblieben ſeien, erhielt aber nur dann die Bedeutung einer wiſſenſchaftlichen Erklärung, wenn man über die Natur der foſſilen Formen ſelbſt klar war. Es handelt ſich alſo zunächſt um das Auftreten der Ueberzeugung, daß die Verſteinerungen wirklich das ſind, was ihr Name ausdrückt, und nicht bloße Naturſpiele32). In Bezug hierauf machten ſich anfangs zwei verſchiedene Anſichten geltend. Daß unter anderem Aehnlichen z. B. die foſſilen Fiſchzähne wirkliche, von Fiſchen herrührende Zähne ſeien, hat wohl mit Entſchie- denheit zuerſt Agoſtino Scilla (1670) nachzuweiſen verſucht33). Er läßt es aber unausgeſprochen, wie er ſich die Entſtehung der Trä- ger dieſer Zähne (um bei dem gewählten Fall zu bleiben) in den Ge- 32) Im Jahre 1696 wurde zu Tonna im Gothaiſchen ein Elefantenſkelet ausgegraben und vom Lehrer am Gothaiſchen Gymnaſium Wilh. Ernſt Tentzel beſchrieben. Er erklärte die Knochen für Reſte eines vormals lebenden Thieres. Das Collegium medicum in Gotha aber, vor welches die Sache gebracht wurde, erklärte von Amtswegen, daß es ſich hier nur um ein Naturſpiel handle. Spielt die Natur, ſo können auch wir Figurenſteine machen, dachten die Würzburger Stu- denten, und brachten dem Profeſſor Beringer alle Arten wunderbarer Steine mit Geſtirnen, Kreuzen, Heiligenbildern u. ſ. f., welche der leichtgläubige Mann in ſeiner Lithographia Wirceburgensis, 1726, abbilden ließ. Er entdeckte ſpäter den Betrug, ſuchte das Buch zurückzuziehen und ſtarb vor Kummer. 33) La vana speculazione disingannata dal senso. Napoli, 1670. Die früheren Aeußerungen über die Gloſſopetren ſ. oben S. 374. 30*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0478" n="467"/><fw place="top" type="header">Die Zeit von <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118788000">Ray</persName> bis <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117523216">Klein</persName>.</fw><lb/> ſpecieller anatomiſcher Kenntniſſe nicht auf eine ſofortige Zuſtimmung<lb/> zu der Anſicht derer rechnen, welche in jenen „Figurenſteinen“ etwas<lb/> Anderes als bloße Naturſpiele oder beſondere Wachsthumserſcheinun-<lb/> gen der Mineralien erblickten. Nun ſoll nicht geſagt werden, daß man<lb/> durch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118524844">Descartes</persName>' Theorie oder durch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118571249">Leibnitz</persName>'s Protogaea ſofort einem<lb/> beſtimmten geologiſchen Syſteme zu folgen veranlaßt worden wäre.<lb/> Man war aber durch dieſe Ideen dazu angeregt worden, ſich die Mög-<lb/> lichkeit des Vorkommens von Waſſerthieren (denn dieſe boten ſcheinbar<lb/> der Erklärung die größte Schwierigkeit) auf Bergen in Folge irgend<lb/> welcher die Erdoberfläche umändernder Ereigniſſe eingehender vorzu-<lb/> ſtellen. Als ein ſolches Ereigniß bot ſich von ſelbſt die Sindfluth dar.<lb/> Schon früher war dieſelbe beiläufig in gleicher Abſicht herangezogen wor-<lb/> den; die Beziehung der Verſteinerungen auf Reſte von Thieren, welche<lb/> aus einer großen Fluth zurückgeblieben ſeien, erhielt aber nur dann<lb/> die Bedeutung einer wiſſenſchaftlichen Erklärung, wenn man über die<lb/> Natur der foſſilen Formen ſelbſt klar war. Es handelt ſich alſo zunächſt<lb/> um das Auftreten der Ueberzeugung, daß die Verſteinerungen wirklich<lb/> das ſind, was ihr Name ausdrückt, und nicht bloße Naturſpiele<note place="foot" n="32)">Im Jahre 1696 wurde zu Tonna im Gothaiſchen ein Elefantenſkelet<lb/> ausgegraben und vom Lehrer am Gothaiſchen Gymnaſium <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117256471">Wilh. Ernſt Tentzel</persName></hi><lb/> beſchrieben. Er erklärte die Knochen für Reſte eines vormals lebenden Thieres.<lb/> Das Collegium medicum in Gotha aber, vor welches die Sache gebracht wurde,<lb/> erklärte von Amtswegen, daß es ſich hier nur um ein Naturſpiel handle. Spielt<lb/> die Natur, ſo können auch wir Figurenſteine machen, dachten die Würzburger Stu-<lb/> denten, und brachten dem Profeſſor <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/100730272">Beringer</persName></hi> alle Arten wunderbarer Steine<lb/> mit Geſtirnen, Kreuzen, Heiligenbildern u. ſ. f., welche der leichtgläubige Mann<lb/> in ſeiner <hi rendition="#aq">Lithographia Wirceburgensis,</hi> 1726, abbilden ließ. Er entdeckte ſpäter<lb/> den Betrug, ſuchte das Buch zurückzuziehen und ſtarb vor Kummer.</note>.<lb/> In Bezug hierauf machten ſich anfangs zwei verſchiedene Anſichten<lb/> geltend. Daß unter anderem Aehnlichen z. B. die foſſilen Fiſchzähne<lb/> wirkliche, von Fiſchen herrührende Zähne ſeien, hat wohl mit Entſchie-<lb/> denheit zuerſt <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/134093828">Agoſtino Scilla</persName></hi> (1670) nachzuweiſen verſucht<note place="foot" n="33)"><hi rendition="#aq">La vana speculazione disingannata dal senso. Napoli,</hi> 1670. Die<lb/> früheren Aeußerungen über die Gloſſopetren ſ. oben S. 374.</note>.<lb/> Er läßt es aber unausgeſprochen, wie er ſich die Entſtehung der Trä-<lb/> ger dieſer Zähne (um bei dem gewählten Fall zu bleiben) in den Ge-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">30*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [467/0478]
Die Zeit von Ray bis Klein.
ſpecieller anatomiſcher Kenntniſſe nicht auf eine ſofortige Zuſtimmung
zu der Anſicht derer rechnen, welche in jenen „Figurenſteinen“ etwas
Anderes als bloße Naturſpiele oder beſondere Wachsthumserſcheinun-
gen der Mineralien erblickten. Nun ſoll nicht geſagt werden, daß man
durch Descartes' Theorie oder durch Leibnitz's Protogaea ſofort einem
beſtimmten geologiſchen Syſteme zu folgen veranlaßt worden wäre.
Man war aber durch dieſe Ideen dazu angeregt worden, ſich die Mög-
lichkeit des Vorkommens von Waſſerthieren (denn dieſe boten ſcheinbar
der Erklärung die größte Schwierigkeit) auf Bergen in Folge irgend
welcher die Erdoberfläche umändernder Ereigniſſe eingehender vorzu-
ſtellen. Als ein ſolches Ereigniß bot ſich von ſelbſt die Sindfluth dar.
Schon früher war dieſelbe beiläufig in gleicher Abſicht herangezogen wor-
den; die Beziehung der Verſteinerungen auf Reſte von Thieren, welche
aus einer großen Fluth zurückgeblieben ſeien, erhielt aber nur dann
die Bedeutung einer wiſſenſchaftlichen Erklärung, wenn man über die
Natur der foſſilen Formen ſelbſt klar war. Es handelt ſich alſo zunächſt
um das Auftreten der Ueberzeugung, daß die Verſteinerungen wirklich
das ſind, was ihr Name ausdrückt, und nicht bloße Naturſpiele 32).
In Bezug hierauf machten ſich anfangs zwei verſchiedene Anſichten
geltend. Daß unter anderem Aehnlichen z. B. die foſſilen Fiſchzähne
wirkliche, von Fiſchen herrührende Zähne ſeien, hat wohl mit Entſchie-
denheit zuerſt Agoſtino Scilla (1670) nachzuweiſen verſucht 33).
Er läßt es aber unausgeſprochen, wie er ſich die Entſtehung der Trä-
ger dieſer Zähne (um bei dem gewählten Fall zu bleiben) in den Ge-
32) Im Jahre 1696 wurde zu Tonna im Gothaiſchen ein Elefantenſkelet
ausgegraben und vom Lehrer am Gothaiſchen Gymnaſium Wilh. Ernſt Tentzel
beſchrieben. Er erklärte die Knochen für Reſte eines vormals lebenden Thieres.
Das Collegium medicum in Gotha aber, vor welches die Sache gebracht wurde,
erklärte von Amtswegen, daß es ſich hier nur um ein Naturſpiel handle. Spielt
die Natur, ſo können auch wir Figurenſteine machen, dachten die Würzburger Stu-
denten, und brachten dem Profeſſor Beringer alle Arten wunderbarer Steine
mit Geſtirnen, Kreuzen, Heiligenbildern u. ſ. f., welche der leichtgläubige Mann
in ſeiner Lithographia Wirceburgensis, 1726, abbilden ließ. Er entdeckte ſpäter
den Betrug, ſuchte das Buch zurückzuziehen und ſtarb vor Kummer.
33) La vana speculazione disingannata dal senso. Napoli, 1670. Die
früheren Aeußerungen über die Gloſſopetren ſ. oben S. 374.
30*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |