nur in beiläufiger Art gesprochen, ohne jedoch damit irgend eine über- zeugende Wirkung auf seine Zeitgenossen zu äußern. Shaw hatte gleichfalls Polypen beobachtet und sich bei Schilderung derselben in seiner Reise (1738) im Allgemeinen der Ansicht Marsigli's angeschlos- sen. Dasselbe that auch Reaumur, welcher bei der Beschreibung der Korallen als "steinerner Pflanzen" die Ansicht Marsigli's zu stützen und eine neue ihm mitgetheilte Erklärung der Natur dieser Wesen zu widerlegen suchte. Jean Antoine Peysonnel hatte nämlich, zuerst 1723 an der Küste der Provence, dann in den folgenden Jah- ren an der Nordküste von Afrika, Polypenstöcke lebend untersucht und, zwar anfangs Marsigli's Deutung folgend, doch bald die Ueberzeugung gewonnen, daß die Lebenserscheinungen der vermeintlichen Blüthen ganz andere seien, als sonst bei Pflanzen vorkommen. Er erklärte sich daher für die thierische Natur derselben, fand aber bei Reaumur, welchem er seine betreffende Abhandlung übersandte, so wenig Gefallen an dieser Neuerung, daß dieser zwar der Akademie (in dem erwähnten Aufsatz) die neue Ansicht vortrug, aber ohne den Urheber derselben mit Namen zu nennen. Eine merkwürdige Erweiterung der Kenntniß dieser Thiere brachten die Beobachtungen und Versuche Trembley's, welche später zu erwähnen sein werden.
Das halbe Jahrhundert, welches hier besprochen wird, hat aber auch noch auf einem andern Gebiete umgestaltend auf die Anschauungen gewirkt. Wenn schon in früheren Zeiten einzelne Stimmen sich erho- ben hatten, daß die auf Bergen vorkommenden, in Steinen eingeschlos- senen Muscheln, Knochen u. s. w. auf thierischen Ursprung hinwiesen, diese Körper daher wirkliche Reste von Thieren wären, so war doch diese Erklärung nicht bloß bei Zoologen auf unfruchtbaren Boden ge- fallen, sondern konnte überhaupt keiner allgemeinen Annahme entgegen- sehen, so lange über die Geschichte der Veränderungen, welche mit der Erdrinde vorgegangen waren, keine nur einigermaßen abgerundete Theorie aufgestellt war. So lange nämlich das Vorkommen von Was- serthieren hoch über dem Spiegel der nächsten größeren Gewässer nicht den Zoologen in irgend einer Form annehmbar vorgestellt war, konnte man bei dem Mangel allgemeiner morphologischer Anschauungen und
Periode der Syſtematik.
nur in beiläufiger Art geſprochen, ohne jedoch damit irgend eine über- zeugende Wirkung auf ſeine Zeitgenoſſen zu äußern. Shaw hatte gleichfalls Polypen beobachtet und ſich bei Schilderung derſelben in ſeiner Reiſe (1738) im Allgemeinen der Anſicht Marſigli's angeſchloſ- ſen. Daſſelbe that auch Reaumur, welcher bei der Beſchreibung der Korallen als „ſteinerner Pflanzen“ die Anſicht Marſigli's zu ſtützen und eine neue ihm mitgetheilte Erklärung der Natur dieſer Weſen zu widerlegen ſuchte. Jean Antoine Peyſonnel hatte nämlich, zuerſt 1723 an der Küſte der Provence, dann in den folgenden Jah- ren an der Nordküſte von Afrika, Polypenſtöcke lebend unterſucht und, zwar anfangs Marſigli's Deutung folgend, doch bald die Ueberzeugung gewonnen, daß die Lebenserſcheinungen der vermeintlichen Blüthen ganz andere ſeien, als ſonſt bei Pflanzen vorkommen. Er erklärte ſich daher für die thieriſche Natur derſelben, fand aber bei Reaumur, welchem er ſeine betreffende Abhandlung überſandte, ſo wenig Gefallen an dieſer Neuerung, daß dieſer zwar der Akademie (in dem erwähnten Aufſatz) die neue Anſicht vortrug, aber ohne den Urheber derſelben mit Namen zu nennen. Eine merkwürdige Erweiterung der Kenntniß dieſer Thiere brachten die Beobachtungen und Verſuche Trembley's, welche ſpäter zu erwähnen ſein werden.
Das halbe Jahrhundert, welches hier beſprochen wird, hat aber auch noch auf einem andern Gebiete umgeſtaltend auf die Anſchauungen gewirkt. Wenn ſchon in früheren Zeiten einzelne Stimmen ſich erho- ben hatten, daß die auf Bergen vorkommenden, in Steinen eingeſchloſ- ſenen Muſcheln, Knochen u. ſ. w. auf thieriſchen Urſprung hinwieſen, dieſe Körper daher wirkliche Reſte von Thieren wären, ſo war doch dieſe Erklärung nicht bloß bei Zoologen auf unfruchtbaren Boden ge- fallen, ſondern konnte überhaupt keiner allgemeinen Annahme entgegen- ſehen, ſo lange über die Geſchichte der Veränderungen, welche mit der Erdrinde vorgegangen waren, keine nur einigermaßen abgerundete Theorie aufgeſtellt war. So lange nämlich das Vorkommen von Waſ- ſerthieren hoch über dem Spiegel der nächſten größeren Gewäſſer nicht den Zoologen in irgend einer Form annehmbar vorgeſtellt war, konnte man bei dem Mangel allgemeiner morphologiſcher Anſchauungen und
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Periode der Syſtematik.
nur in beiläufiger Art geſprochen, ohne jedoch damit irgend eine über-
zeugende Wirkung auf ſeine Zeitgenoſſen zu äußern. Shaw hatte
gleichfalls Polypen beobachtet und ſich bei Schilderung derſelben in
ſeiner Reiſe (1738) im Allgemeinen der Anſicht Marſigli's angeſchloſ-
ſen. Daſſelbe that auch Reaumur, welcher bei der Beſchreibung
der Korallen als „ſteinerner Pflanzen“ die Anſicht Marſigli's zu ſtützen
und eine neue ihm mitgetheilte Erklärung der Natur dieſer Weſen zu
widerlegen ſuchte. Jean Antoine Peyſonnel hatte nämlich,
zuerſt 1723 an der Küſte der Provence, dann in den folgenden Jah-
ren an der Nordküſte von Afrika, Polypenſtöcke lebend unterſucht und,
zwar anfangs Marſigli's Deutung folgend, doch bald die Ueberzeugung
gewonnen, daß die Lebenserſcheinungen der vermeintlichen Blüthen
ganz andere ſeien, als ſonſt bei Pflanzen vorkommen. Er erklärte
ſich daher für die thieriſche Natur derſelben, fand aber bei Reaumur,
welchem er ſeine betreffende Abhandlung überſandte, ſo wenig Gefallen
an dieſer Neuerung, daß dieſer zwar der Akademie (in dem erwähnten
Aufſatz) die neue Anſicht vortrug, aber ohne den Urheber derſelben mit
Namen zu nennen. Eine merkwürdige Erweiterung der Kenntniß
dieſer Thiere brachten die Beobachtungen und Verſuche Trembley's,
welche ſpäter zu erwähnen ſein werden.
Das halbe Jahrhundert, welches hier beſprochen wird, hat aber
auch noch auf einem andern Gebiete umgeſtaltend auf die Anſchauungen
gewirkt. Wenn ſchon in früheren Zeiten einzelne Stimmen ſich erho-
ben hatten, daß die auf Bergen vorkommenden, in Steinen eingeſchloſ-
ſenen Muſcheln, Knochen u. ſ. w. auf thieriſchen Urſprung hinwieſen,
dieſe Körper daher wirkliche Reſte von Thieren wären, ſo war doch
dieſe Erklärung nicht bloß bei Zoologen auf unfruchtbaren Boden ge-
fallen, ſondern konnte überhaupt keiner allgemeinen Annahme entgegen-
ſehen, ſo lange über die Geſchichte der Veränderungen, welche mit der
Erdrinde vorgegangen waren, keine nur einigermaßen abgerundete
Theorie aufgeſtellt war. So lange nämlich das Vorkommen von Waſ-
ſerthieren hoch über dem Spiegel der nächſten größeren Gewäſſer nicht
den Zoologen in irgend einer Form annehmbar vorgeſtellt war, konnte
man bei dem Mangel allgemeiner morphologiſcher Anſchauungen und
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/477>, abgerufen am 16.02.2025.
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